Köln – Das Leben ist bekanntlich ein Auf und Ab. Aber ein Leben im Herkules-Hochhaus, das führt so richtig rauf und runter. 1 Minute und 27 Sekunden benötigt der Fahrstuhl vom Erdgeschoss bis in die 31. Etage, auf 102 Meter Höhe. Nettofahrzeit versteht sich, ohne Stopps. Die Fahrt führt vorbei an unzähligen Appartements, Fußmatten, Biografien. „Die meisten Leute hier habe ich im Fahrstuhl kennen gelernt“, sagt Marcel Voy. Er wohnt auf dem 13. Geschoss.
Das Herkules-Hochhaus ist ein Kölner Wahrzeichen. Nicht unbedingt eins zum Vorzeigen, dafür ist das Image des 1972 fertig gestellten Wohnturms zu schlecht. Eher eins, das sich nicht verstecken lässt und bestenfalls verborgene Sympathie erntet. Vor allem allem aber ist es ein Haus, das jeder kennt. Schon weil täglich tausende auf der A 57 an den 427 gestapelten Wohnungen vorbei in die Stadt brausen. Nur um Himmels willen: Wer wohnt da eigentlich?
Stefan Wehling zum Beispiel. Seit zehn Jahren lebt der Zeitarbeiter in seiner 33 Quadratmeter großen Wohnung an der Graeffstraße 1. Kosten: knapp 400 Euro warm. Kleines Bad, die Küche im Schrank versteckt, ein Bett, Schreibtisch. Sein Studium hat er vor Jahren abgebrochen, aber im Regal stauen sich Foucault und Adorno. Vor dem Fenster thront der Colonius. „Man kann sich hier wunderbar zurückziehen“, sagt der 36-Jährige, „ich finde die Anonymität im Hause gut.“ Meist redet er nur ein paar Takte mit den Nachbarn auf der fünften Etage, mit Namen kennt er einen einzigen Hausbewohner.
Ende der 60er Jahre wollte die Stadt, in unmittelbarer Nähe zum Zentrum möglichst viele Wohnungen schaffen. Das Konzept der vertikalen Wohnverdichtung hatte sich durchgesetzt, und der renommierte Architekt Peter Neufert bekam den Auftrag, Kölns „erstes Super-Wohnhaus“ zu bauen. Die Appartements gerieten 24 und 33 Quadratmeter groß, die Wohnungen mit zwei Zimmern 43 Quadratmeter. Auf jeder Etage finden sich zudem zwei größere Wohnungen mit drei Zimmern - zur Domseite hin gelegen.
Die Resonanz in der Stadt war schon in den ersten Jahren verhalten. „Die Wohnfabrik schreckt Nachbarn ab“, heißt es in einer frühen Beurteilung einer Architekturzeitschrift. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. „Es ist wie in jedem Hochhaus, jeder kümmert sich um sich“, sagt einer und eine junge Studentin ruft: „Das willst du gar nicht wissen, wie es hier ist“.
Vor fünf Jahren hat der Kölner Verkehrsverein die „Saure Zitrone“ an das Wohnsilo nahe der namengebenden Herkulesstraße verliehen. Der Verfall des Gebäudes spreche „eine deutliche Sprache“, hieß es in der Begründung, und niemand wisse, was sich darin abspiele. Stefan Wehling hat das sehr geärgert, „das klang ja nach Abrissbirne“. Es komme immer wieder mal die Polizei, klar, aber es besserten sich auch Dinge. Die bunte Fassade, der der Bau den Namen „Papageienhaus“ verdankt, ist saniert worden (und findet sich längst auf alternativen Postkarten). Am Eingang, neben dem altehrwürdigen Friseursalon, Büdchen und Gyros-Betrieb „Peperoni“, sitzt rund um die Uhr ein Pförtner. Und die ruckelnden Fahrstühle sollen auch saniert werden. Es gibt übrigens vier, zwei für die geraden und zwei für die ungeraden Etagen.
Viele Hausbewohner wollen ihren Namen dennoch nicht in der Zeitung lesen. Auch die Eigentümergemeinschaft verweigert jede Auskunft und lässt erklären, es sei zu oft schlecht berichtet worden. Metzger Marcel Voy schätzt vor allem den überragenden Ausblick auf den Dom und die Stadt. „Es gibt schon einige komische Typen hier“, findet der 22-Jährige, „aber wer will, kann auch tolle Menschen kennen lernen.“
Das Herkules-Hochhaus ist ein in die Höhe gebautes Veedel. Und es sind vor allem junge Leute, die hier wohnen. Studenten, die neu in die Stadt kommen - und oft schnell wieder weg sind. „Am Monatsersten ist hier der Teufel los“, sagt eine. Die Bewohner kommen von überall her: aus Polen, Marokko, der Türkei, Ungarn, Russland und Korea. Sabrina Fomani stammt aus dem Iran, zuletzt lebte die Web-Designerin auf Mallorca. „Alle Nationen leben hier“, sagt sie, „jedes Alter.“ Schon spannend, aber ganz so lange werde sie dennoch nicht bleiben.
Dabei gibt es exklusive Angebote: Ganz oben, auf Etage 31 liegen Schwimmbad und Sauna. 90 Cent kostet ein halbstündiger Schwitzgang. Colwyn Hughes ist nicht zuletzt deswegen vom schmucken Rodenkirchen ins „Herkules“ gezogen. Der 33-Jährige ist zurzeit arbeitslos und lebt in Trennung. Die Kinder sind meist am Wochenende bei ihm und schätzen vor allem die Fahrstuhlfahrten. „Wir lernen darin immer die Zahlen“, sagt er. Bis 31.