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Neue ErfindungDer Strumpf, der die Prothese schwimmen lässt

Lesezeit 4 Minuten

Damit Prothesen-Träger in Zukunft unerschwert baden können, erfand Carsten Sauer einen Strumpf, der sich einfach über die Prothese ziehen lässt. (Symbolbild: dpa)

„Alles in Ordnung, Carsten“. Das hat sein Freund gesagt, als er seinen Kopf stützte. Alles in Ordnung, die Welt hat sich nicht verändert. Der Himmel ist weit weg, die Erde zieht weiter ihre Bahn um die Sonne. Die Ordnung der Dinge ist die Gleiche geblieben. Es ist nur ein Unfall. Und du bist am Leben. Aber in Wahrheit war alles in Unordnung geraten. Carsten Sauer, der Kämpfer, früherer Manager des VfL Gummersbach, lag am Boden, irgendwo im Gras, sein Körper im Zustand völliger Apathie. „Was ist mit meinem Fuß?“, fragte Carsten Sauer seinen Freund. „Es ist nichts“, sagte er. Aber Carsten Sauer glaubte ihm nicht: „Mein Bein ist ab.“

Der vormalige VfL-Manager war auf einer Motorrad-Tour mit seinen Freunden kurz vor Neuwied mit seiner Maschine in die Leitplanken gefahren, obwohl die Straße eine Kurve machte. Warum, daran kann er sich bis heute nicht erinnern. Das Motorrad wurde durch den Aufprall in tausend Einzelstücke zerlegt. Carsten Sauer verlor bei dem Unfall seinen rechten Fuß. Auch die Ärzte konnten nicht helfen, der Fuß war völlig zerfetzt. Zudem erlitt er mehrfache Knochenbrüche, ein Schädel-Hirn-Trauma, diverse innere Verletzungen. Eine Woche wandelte er auf einem schmalen Grat zwischen Leben und Tod.

Aber wie gesagt, der 45 Jahre alte Carsten Sauer ist ein Kämpfer. Als der VfL Gummersbach im Jahr 2000 in die Insolvenz musste, setzte Unternehmensberater Jochen Kienbaum ihn ein, um den VfL wieder flottzumachen. Schon eineinhalb Jahre später brach der alte Rekordmeister einen Zuschauerweltrekord im Hallenhandball: 19000 Zuschauer bei einem Spiel wie im November 2001 in der Kölnarena, das hatte es noch nie gegeben. Sauer ist gebürtiger Gummersbacher, Handball-Manager wollte er nicht sein ganzes Leben bleiben. Er verließ den VfL und wechselte in die Führungsetage eines mittelständischen Unternehmens. Im April 2009 änderte sich das Leben des Carsten Sauer. Ein Fuß fehlte, und das ist mehr als viele Menschen verkraften können. Das Leben wird umständlich. Ohne einen Fuß gilt der alte Führerschein nicht mehr, das Gehen mit Prothese muss erlernt werden - und überhaupt sorgen die Teile zu Beginn durch diverse Druck- und Reibstellen für erhebliche Schmerzen.

„Es gibt nur zwei Möglichkeiten“, sagt Carsten Sauer. „Entweder läuft man am Strand mit Krücken oder mit der Badeprothese herum, einem relativ einfach gemachten Bein aus Plastik, mit dem man alles andere als gut gehen kann.“ Da es einen Hohlkörper in der Prothese gibt, hat der Badende zudem mit Auftrieb zu kämpfen. Für einen wie Sauer war das völlig unverständlich, ja sogar fast unvorstellbar. „Ich habe wie verrückt rumtelefoniert, um in Erfahrung zu bringen, wie ich am Strandleben überhaupt teilnehmen kann. Da ich frisch aus dem OP kam, war eine Badeprothese für mich keine Alternative.“ Dass es für Menschen, die auf Prothesen angewiesen sind, so wenige Möglichkeiten gibt, hätte er nicht gedacht. Am Gardasee entstand aus seiner Verzweiflung eine Idee: Besser als die Prothese zu wechseln, wäre es, sie zu schützen und dann baden zu gehen. Mit einem Kunststoffstrumpf, der sich über den Körperteilersatz ziehen lässt, könnten Prothesenträger auch so ins Wasser gehen, denkt er sich. Der Vorteil: Sie müssen ihre Prothese nicht vor anderen Menschen wechseln, was vielen peinlich ist. Zudem ist das Laufbild besser - denn Prothesenträger laufen in Ersatzprothesen nun mal schlechter.

Bevor die Idee zur Realität wurde, hat Carsten Sauer viele Telefonate geführt, Unternehmen besucht und Geld investiert. „Ich habe intensiv recherchiert, wie sich meine Idee realisieren lassen könnte.“ Mittlerweile hat er einen Strumpf entwickelt, der sich über eine Prothese ziehen lässt. Nun ist die Testphase abgeschlossen. 1000 Stück hat Sauer vorproduziert, nun will er in den Markt. Die Verhandlungen laufen so gut, dass sein Produkt, das er „Sealprene“ genannt hat, schon bald für viele Prothesenträger erwerblich sein könnte. Sauer hat sich seinen Einfall patentieren lassen. Da das Produkt im Vergleich zu anderen recht billig ist, werden sich die Konkurrenten einiges einfallen lassen müssen. Es soll nur ein Fünftel der Kosten der bislang gängigen Produkte betragen.

Vielleicht ist sein Produkt ein Glied in einer Reihe von Wünschen, die Carsten Sauer nach seinem Unfall hatte: „Ich wollte mir beweisen, dass ich alles noch genauso gut kann wie früher“, erzählt er. Seinen Führerschein hat er schon kurz nach der Entlassung aus der Reha neu gemacht. Er hat sein Haus renoviert, seine jetzige Frau geheiratet und die Eskimorolle im Kanu geübt.