Wolfgang Niedecken„Zu Hause bin ich Clint Eastwood“

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Wolfgang Niedecken ist zu Hause ganz entspannt. (Bild: dpa)

Wolfgang Niedecken ist zu Hause ganz entspannt. (Bild: dpa)

Welche Frage zur Krankheit können Sie nicht mehr hören?

Niedecken: Eigentlich keine. Aber ich will diese Krankengeschichte nicht zum Promo-Stunt machen, und jetzt überall von meinem Leben nach dem Schlaganfall erzählen. Ich habe auf jeden Fall unheimlich viel gelernt über die Erkrankung. Vorher wusste ich gar nicht, was ein Schlaganfall ist. Inzwischen bin ich Experte und weiß vor allem, was ein "Best Outcome" ist. Nämlich so wie ich aus der Nummer rausgekommen bin. Insofern gibt es da überhaupt keine Fragen, die mir auf die Nerven gehen. Ich bin nur froh, dass es so gelaufen ist.

Also wieder "alles em Lot"?

Niedecken: Ja, ich nehme nur noch eine ganz schwache Form von Aspirin zur Blutverdünnung.

Angst als Rocker-Opa mit Schlaganfall zu gelten?

Niedecken: Nein, natürlich will kein Rock'n'Roller einen Schlaganfall als Etikett haben. Keith Richards ist wahrscheinlich auch nicht unbedingt von der Palme gefallen. "Schlaganfall" steht einfach für "alt", aber wir werden nun mal älter. Außerdem weiß ich, wo meine Erkrankung hergekommen ist: Sie hat sich aus einem Husten entwickelt, aus einer Ausbuchtung der Halsschlagader, in der eine kleine Wunde dann ein Blutgerinnsel erzeugt hat.

Und den Ohrring trauen Sie sich noch nicht wieder zu tragen?

Niedecken: Denn genau darunter ist ja die Ader, die die Haarnadelkurve gebildet hat, die da nicht hingehört. Aber ich habe es letztens mal versucht, doch das Loch ist wohl zugewachsen. Also lasse ich es sein. Vielleicht soll ich mit 61 auch keinen Ohrring mehr tragen. Manche Sachen regeln sich einfach von selber.

Nach der Erkrankung haben viele gedacht, warum macht der schon wieder so viel?

Niedecken: Weil mir klar war, da bleibt nichts zurück. Und ich wusste von Anfang an, dass es gut ausgeht. Es war ja teilweise so, dass ich die Ärzte trösten musste, und natürlich habe ich meine Verwandtschaft am Bett gesehen. Die fanden das alles nicht sehr amüsant. Manchmal habe ich mich selber über ihre Blicke erschrocken. Meine großen Söhne standen da wie begossene Pudel: "Scheiße, wat macht der Vatter denn jetzt?" Ich weiß ja auch, was die normalerweise an solchen Abenden treiben.Sehr süß war, wie meine 17-jährige Tochter Isis am 11.11. - neun Tage nach dem Schlaganfall - nach dem Feiern tagsüber, abends zu mir kam: noch im Kostüm, um mit mir ein Fußballspiel im Fernsehen zu gucken. Dann hat sie sich aufs Bett gesetzt, ein bisschen gekuschelt, und auf einmal schlief sie ein (lacht schallend). Anstatt abends irgendwo zu feiern, mit dem Papa Fußball zu gucken und sich dann auch noch zu verabschieden.

Für den Herbst haben Sie auch schon wieder eine Reise in den Ost-Kongo geplant, wo Sie mit dem Projekt "Rebound" ehemaligen Kindersoldaten helfen.

Niedecken: Und meine Frau Tina ist natürlich dagegen. Ich mach es aber auch nur, wenn mein Arzt entscheidet, dass ich es kann. Und ich bin da absolut Teamplayer: Wenn er mir sagt, "Das machst Du besser nicht", dann lasse ich es auch.

Ihr Sohn Robin hat über Ihre Arbeit im Kongo eine Dokumentation gedreht, die auf der DVD "Live - Volles Programm" zu sehen ist. Hat sich durch die gemeinsame Arbeit das Verhältnis zu ihm noch einmal verändert?

Niedecken: Ja, mit Robin teile ich dieses Afrika-Ding. Seine Mutter Carmen ist ja Afrikanistin, er hat sie auch schon öfter in Kenia und Namibia besucht. Und wir waren zusammen 2004 zum ersten Mal in Uganda.Aber wenn man da mit dem Sohn hin fährt, ist es plötzlich etwas ganz anderes: Du bist nicht nur für dich verantwortlich und guckst dich deshalb ganz anders um. Und anschließend dann die Sorge, wie er das verarbeitet bekommt.

Haben Sie beide darüber gesprochen?

Niedecken: Erst nachdem ich hörte, dass es für ihn ein Thema ist. Ansonsten war das so, wie Männer das immer tun: Wenn nix gesagt wird, hältst du dich besser mal geschlossen. Das ist natürlich nicht immer richtig.Auf der anderen Seite muss man das Gleichgewicht halten: zwar interessiert sein, aber nicht zu sehr. Für mich sind Väter Clint-Eastwood-mäßige Typen. Da sind Mütter ja ganz anders: Sie sind immer neugierig, wollen immer alles wissen. Das ist auch manchmal richtig, denn dann bekommen sie einfach mehr Antworten.

Ist man da bei Söhnen und Töchtern unterschiedlich?

Niedecken: Ich verhalt mich da Geschlechter-unspezifisch. Ich bin immer Clint Eastwood zu Hause. Sie werden schon sagen, wenn was ist - und wissen auch, dass das geht. Deshalb darf ich beispielsweise beim 18. Geburtstag von Isis im Haus sein. Meine Frau nicht. Weil ich mich nicht in die Fete einmische. Meine Frau würde das niemals durchhalten.Sie würde dann soviel organisieren, dass sie morgens um 2 Uhr immer noch mitten drin ist. Mütter sind so. (lächelt) Gott sei Dank! Das ist Aufgabenteilung.

Am 3. und 4. Mai stehen dann die Aufwärmkonzerte für die Tournee in Worpswede an. Was wird anders?

Niedecken: Als ich aus dem Krankenhaus wieder zu Hause war, habe ich den Koffer, den ich mit auf Tour nehmen wollte, wieder ausgepackt. Und da war auch die alte Setliste drin. Nun werden auch ein paar andere Lieder mit ins Programm genommen. Zum Beispiel "Wann immer do nit wiggerweiß", vielleicht sogar als Eröffnungsnummer. Ein Lied über Freundschaft: Es erzählt davon, dass Du nicht weißt, wie es weitergehen soll, aber es gibt Leute um Dich herum, die sind einfach da. Ich hatte ja das Glück zu erleben, dass ganz viele einfach da waren, als es mir nicht so gut ging.

Eine acht Jahre alte Nummer vom Album "Sonx".

Niedecken: Wenn ich jetzt täglich eine Stunde auf dem Heimtrainer sitze, gucke ich mir endlich mal alte DVDs an. Und dabei habe ich das Lied wiederentdeckt. Ich war übrigens bisher immer zu feige, eigene DVDs anzugucken. Auch keine Fernsehauftritte, ich hasse es mich im Fernsehen zu sehen. Weil ich genau weiß, dass ich dann womöglich beim nächsten Auftritt zu kontrolliert bin. Alles, was nicht gut war, mache ich dann nicht mehr - was bleibt denn dann noch übrig? Aber wenn meine Familie sich einen Auftritt im TV anguckt, frage ich schon, ob es okay war - so feige bin ich dann auch...

Wie planen Sie generell ein Konzert?

Niedecken: Ich denke mir unheimlich gerne Setlisten aus. Ich weiß, ich brauch' ein Drittel Lieder, die jeder kennt, und ein Drittel, die vielleicht jeder kennt. Und ein Drittel neue oder entlegenere. Ich will ja alle zufriedenstellen - auch die auf der Bühne. Wenn ich zum Beispiel weiß, unser Bassist oder unserer Trommler hält irgendeinen Song nicht aus, dann habe ich auch keinen Bock mehr, den zu spielen.Es kann dann auch auf Tour vorkommen, dass uns noch einfällt, ein Lied zu spielen. Das probieren wir dann beim Soundcheck aus, gucken wie's geht. Das ist toll, beim Soundcheck noch richtig arbeiten zu können und nicht nur in Routine zu erstarren.

Gibt's ein Beispiel für so ein Lied, das nicht gespielt wird?

Niedecken: Ich nenne die Titel nicht, denn dann sind vielleicht Leute enttäuscht, weil es ihr absolutes Lieblingslied ist. Das muss man einfach mal für sich behalten.

Was ist für die Auftritte am 6. und 7. Mai im Palladium geplant?

Niedecken: Es wird einige Überraschungen geben, vor allem beim zweiten Kölner Konzert wird es sich lohnen, ganz bis zum Schluss zu bleiben. Die Idee, im Palladium aufzutreten, ist nach den Konzerten im Sommer am Dom entstanden, als wir wegen des Geläuts später anfangen und nur bis 22 Uhr und mit gebremster Lautstärke spielen durften. Wir haben dann gesagt, lasst uns den Kölnern doch auch "das volle Programm" geben. Und wir spielen allerdings gerne in kleineren Hallen. Aber der Vorteil der Arena ist ja, dass es da Sitzplätze gibt.

Inwiefern ein Vorteil?

Niedecken: Du machst drei Stunden Konzerte als Kundendienst, und die Leute ab einem bestimmten Alter bleiben aber vielleicht irgendwann weg, weil ihnen drei Stunden Stehen zu lang sind. Lasst uns ehrlich sei, wir sitzen alle mittlerweile gerne mal. Aber wir haben mit BAP noch keine Lösung dafür.

Könnten Sie sich vorstellen, auch irgendwann mal im Sitzen zu singen?

Niedecken: Da hätte ich kein Problem mit - das macht B.B. King doch seit Jahren, und der ist großartig!

Haben Sie nach dem Schlaganfall schon neue Texte, neue Lieder geschrieben?

Niedecken: Ich hatte noch nicht das Gefühl, dass das vorherige Projekt abgeschlossen ist, weil wir ja noch nicht auf Tournee waren. Aber es kommt der Punkt, wo ich der Band wieder sage, "Ihr könnt wieder abliefern!".

Wird es eine Neuauflage Ihrer Biographie mit einem Zusatz-Kapitel zum Schlaganfall geben?

Niedecken: Nein. Aber Oliver Kobold und ich schreiben an einem neuen Buch, das nächstes Jahr im Herbst erscheinen soll. Es gibt ja noch so viele Geschichten, die ich noch nicht erzählt habe.

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