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„Ortsgespräch“ in Bornheim„Ohne Demokraten keine Demokratie“

Lesezeit 4 Minuten
Dominik Pinsdorf und Bundestagspräsident a.D. Norbert Lammert am 24.03.2023 bei Miteinander im Dialog in der Kaiserhalle in Bornheim. Foto Copyright: Petra Reuter

Im Dialog: Dominik Pinsdorf (l.) und der ehemalige Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert.

Namhafte Politiker holt Dominik Pinsdorf regelmäßig nach Bornheim. Diesmal hatte der Bornheimer Ortsvorsteher den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert in der Reihe „Ortsgespräch“ eingeladen.

„Mit einem gewissen Sinn für Humor“ und einer Vorliebe für Klartext hat er zwölf Jahre lang als zweiter Mann im Staat als Präsident den Deutschen Bundestag geleitet. So begrüßte der Bornheimer Ortsvorsteher Dominik Pinsdorf Professor Dr. Norbert Lammert (CDU, 74), den dritten Gast in der Reihe „Ortsgespräche“. Dem prominenten CDU-Politiker wollten deutlich mehr Bürger zuhören als den Gesprächspartnern der ersten beiden Talks, NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und Petra Pau, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages.

Eloquent und diplomatisch zeigte sich der Politprofi, als ihn Pinsdorf in der einleitenden „Entweder-oder-Runde“ danach fragte, welche Stadt er vorziehen würde: Bonn oder Berlin? Lammert betonte, dass er seinerzeit für den Erhalt Bonns als Hauptstadt gestimmt habe, was ihm spontanen Applaus des Bornheimer Publikums bescherte, er aber durchaus auch die Vorzüge Berlins kennengelernt habe. „Die eine Hälfte meines politischen Lebens verbrachte ich in Bonn, die anderen in Berlin, wo ich mich nicht weniger wohlgefühlt habe als in Bonn.“

Den Kanzler düpiert

Lammert erzählte, wie er Ende der 1980er Jahre den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ein wenig düpierte, als der ihn anrief, um ihn zum Parlamentarischen Staatssekretär für Bildung und Wissenschaft zu berufen. Lammert hatte keinerlei Erfahrung in diesem Bereich und wollte die Aufgabe nicht übernehmen, was Kohl verstimmte: „Er ließ es nicht gelten, dass so ein junger Schnösel wie ich keine Lust auf dieses Amt hatte.“ Lammert, damals Anfang 40, übernahm schließlich doch dieses Ressort, das er dann bis 1994 führte, bevor er in selber Funktion das Wirtschaftsministerium (bis 1998) leitete.

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Rückblickend sei die Arbeit im Bildungsministerium für ihn eine gute Zeit gewesen, da er von außen kam und einen anderen Blick auf die Themen mitbrachte. Die Zusammensetzung des Deutschen Bundestages ist laut Lammert viel repräsentativer, als manche Menschen glauben: „Veränderungen in der Gesellschaft zeigen sich rasch in veränderten Kostümierungen und Debattenkulturen.“ Beispiel: Der Einzug der Grünen ins Parlament 1983: „Viele haben das damals als Zivilisationsbruch empfunden, die Abgeordneten zogen ein mit Flora und Fauna und brachten einen anderen Sprachstil mit.“

Gefragt nach Freiheit und Verantwortung in der Gesellschaft meinte Lammert, dass jeder selbst für das verantwortlich sei, was er freiwillig tue, umgekehrt gelte aber auch, dass jeder für das verantwortlich sei, was er nicht mache. Auf den politischen Bereich bezogen meinte der Bundestagspräsident a. D.: „So banal es klingt, Demokratie braucht Demokraten.“ Deutlicher werde dies, wenn der Satz umdreht werde: „Ohne Demokraten gibt es keine Demokratie, genauso wie es ohne Musiker keine Musik und ohne Mediziner keine Medizin gibt.“

Lammert erinnerte daran, dass vor 90 Jahren, am 24. März 1933, das Ermächtigungsgesetz beschlossen wurde. Gegen den erbitterten Widerstand der Sozialdemokratie habe sich damals die Weimarer Republik mit demokratischen Mitteln selbst abgeschafft. Er warnte daher vor demokratiefeindlichen Tendenzen, wie es in vielen Ländern momentan zu sehen sei: „Die schönste Verfassung nützt nichts, wenn wir keine engagierten Demokraten haben, die die Verfassung am Leben halten. Das gilt für die Weimarer Republik damals wie heute für die USA.“ Er warnte vor einer Zunahme an Fanatismus, nicht zuletzt bedingt durch die sogenannten Sozialen Medien.


Die eine Hälfte meines politischen Lebens verbrachte ich in Bonn, die anderen in Berlin, wo ich mich nicht weniger wohlgefühlt habe als in Bonn
Norbert Lammert

Viele Menschen bildeten sich ihre Meinung nicht mehr „durch gut recherchierten Journalismus in Zeitungen oder Nachrichtensendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sondern in parallelen Zirkeln“. Das Internet ist für Lammert eine „enorme Plattform für Verschwörungstheorien“. 2002 erlebte Norbert Lammert auch die Rede des damals gerade einmal seit zwei Jahren in Russland regierenden Präsidenten Wladimir Putin im Bundestag: „Da ich mich an die Rede nicht mehr erinnern kann, scheint sie mich nicht sehr stark beeindruckt zu haben.“

Die eigentliche Zeitenwende hat für Lammert bereits mit dem Georgien-Krieg 2008 begonnen, noch heute seien 20 Prozent des Landes von russischen Truppen besetzt. Und dann natürlich mit der Annexion der Krim: „Wir hätten das damals alles erkennen können und ernst nehmen müssen, als Putin den Zerfall der Sowjetunion als größte politische Katastrophe bezeichnete. Mich beeindrucken daher heute die Schlaumeier in den Talkshows nicht, die es immer schon gewusst haben wollen.“

Gespräche mit Moskau über ein Ende des Krieges sieht Lammert nicht: „Worüber soll verhandelt werden? 20 Prozent des Landes sind besetzt, Tausende Menschen wurden getötet, Städte in Schutt und Asche gelegt. Welcher ukrainische Präsident soll sich an solch einen Tisch setzen?“ Die Reihe der „Ortsgespräche“ wird am Sonntag, 11. Juni, 18.30 Uhr, fortgesetzt. Dann stellt sich der in Hersel lebende Comedian, Sänger und Schriftsteller Bernd Stelter den Fragen. Zugesagt haben laut Pinsdorf außerdem die Grünen-Politiker Anton Hofreiter und Mona Neubaur.

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