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In Rheinbach zu HauseJakiv Syromiatnykov ist mit seiner Familie aus der Ukraine geflohen

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Haben viel gemeinsam erlebt: Jakiv Syromiatnykov mit seiner Frau Viktoriia und Tochter Mariia.

Haben viel gemeinsam erlebt: Jakiv Syromiatnykov mit seiner Frau Viktoriia und Tochter Mariia.

Jakiv Syromiatnykov ist mit seiner Familie aus der Ukraine geflohen. Mit „Rheinbach hilft“ schlägt er eine Brücke zu seinen Landsleuten.

Diese Bilder vergisst man nicht mehr. Alte, hilflose Menschen, die auf schmutzigen Unterlagen liegen müssen. Kranke Senioren, die seit Wochen keinen anderen Menschen mehr gesehen haben, ohne Hilfe oder Medikamente. Vom Krieg Gezeichnete, die die Freiwilligen, die ihnen Hilfsgüter bringen, herzlich umarmen und sie gar nicht mehr loslassen wollen.

Jakiv Syromiatnykov, genannt Jakob, kennt all diese Szenen. Aber er ist mit Frau und Tochter in Sicherheit. Sofort zu Kriegsbeginn ist er aus der Ukraine geflüchtet und wohnt jetzt in Oberdrees, hat aber nie aufgehört, sein Heimatland zu lieben und seinen Landsleuten zu helfen. „Jakob“ ist ein wichtiger Teil der Organisation „Rheinbach hilft“, die all diese herzzerreißenden Szenen erlebt. Gerade zu Weihnachten ist es schwer, alle vermissen ihre Familie in der Ukraine. Dies ist seine Geschichte.

400 Autos an der Tankstelle

Der Tisch ist hübsch gedeckt, Tee dampft in der Kanne, Viktoriia Syromiatnykova hat Süßigkeiten vorbereitet, es ist sehr gemütlich, Tochter Mariia schaut noch etwas skeptisch. In der Ecke steht der Weihnachtsbaum, auf dem TV-Bildschirm prasselt Kaminfeuer. Andreas Klassen, Jakobs Kollege bei „Rheinbach hilft“ und zweiter Vorsitzender des Vereins, übersetzt.

Jakiv Syromiatnykov war in Charkiw zu Hause, war selbstständig und hat Klimaanlagen gebaut. Als der Krieg am 24. Februar 2022 anfing, hat er nicht lange gefackelt. „Wir sind nachts wach geworden, es gab Explosionen, wir wussten erst nicht, was los ist“, erinnert sich der 44-Jährige, „aber wir haben dann verstanden, der Krieg hat angefangen.“ Um 4 Uhr morgens sammelte seine Frau die wichtigsten Utensilien und Papiere zusammen, er fuhr zur Tankstelle, um den Wagen vollzutanken. Da standen schon gut 400 Autos.

Freunde aus Amerika hatten sie vorgewarnt, es werde Krieg geben, aber sie konnten es zunächst nicht glauben. Nun war er da, der Angriff. Nach vier Stunden haben sie sich auf den Weg gemacht in Richtung Polen. Bekannte, die schon vorgefahren waren, warnten, Kiew werde beschossen, sie sollten eine andere Route nehmen. Aber ein festes Ziel gab es nicht.

Männer durften nicht mehr  ausreisen

In drei Tagen fuhren sie 1000 Kilometer und kamen um Mitternacht an der Grenze an, just als der Befehl kam, keine Männer mehr aus dem Land zu lassen. Derweil waren die Bekannten schon in Deutschland, in Detmold, und haben gewartet. In Ostwestfalen-Lippe wohnten die einzigen Leute, die sie in Deutschland kannten.

Es blieb nichts anderes übrig: An der rumänischen Grenze ließ er seine Familie weiterfahren, er selbst ging ins gut 100 Kilometer entfernte Luzk, eine Stadt in der nordwestlichen Ukraine. Das schreibt sich so leicht, aber man muss sich das vorstellen: Sie wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, ob und wann sie sich wiedersehen! Eine sehr belastende Situation.

Jakiv Syromiatnykov zeigt ein Foto von seinem Bruder in Charkiw.

Jakiv Syromiatnykov zeigt ein Foto von seinem Bruder in Charkiw.

Ein Bekannter verwaltete in Luzk ein Sommerlager, das sie jetzt gemeinsam zum Flüchtlingscamp für seine Landsleute umbauten. Schon eine Woche nach Kriegsbeginn wohnten dort die ersten Ukrainer, die alles verloren hatten. In diesem Lager lernten Jakob und sein Bruder auch Alfred Eich von „Rheinbach hilft“ kennen, noch heute ist es der Zwischenstopp auf den Hilfstouren.

Ein Jahr lang hatte er Frau und Kind nicht gesehen, die in Detmold untergekommen waren und dort eine Wohnung bekommen hatten. Bis er Papiere bekam, dass er ausreisen und für drei Monate in Deutschland bleiben durfte. Zweimal nutzte er diese Gelegenheit, auch um Hilfsgüter zu holen. In Charkiw, seinem Heimatort, wurde eine weitere Anlaufstelle aufgebaut, „Rheinbach hilft“ hatte dort ein Lager angemietet. Gemeinsam fuhren sie in die umliegenden zerstörten Dörfer, lieferten Lebensmittel. Die Rheinbacher brachten Feuerwehrautos, einen Krankenwagen, Kleidung, Krankenbetten, Rollatoren, Hygieneartikel und weitere Lebensmittel. Im Winter kamen kleine Öfen an.

2024 zieht die Familie nach Rheinbach

Mehrfach hatte Jakob die Möglichkeit, seine Familie zu besuchen und dann in Rheinbach Hilfsgüter einzuladen. Er hat aus eigener Tasche einen Ford Kleinbus bezahlt, um die Güter in die Ukraine zu transportieren. Für seine Tochter waren die stetigen Trennungen aber furchtbar, sie weinte tagelang und schlief in seinem T-Shirt, bis er zurückkam. „Das hat mich psychisch fertig gemacht“, beschreibt es Jakob.

Er stand vor der Entscheidung: „Entweder kommt die Familie wieder mit zurück, oder ich bleibe in Deutschland. Es war so nicht mehr zu ertragen.“ Die Entscheidung fiel für Deutschland: „In meinem Herzen habe ich den Wunsch, Menschen zu helfen“, sagt Jakob. In der Ukraine hätte er diese Möglichkeit dann nicht mehr gehabt. Außerdem wollte er seine Familie schützen. Im Sommer 2024 zogen sie nach Rheinbach.

Er sieht es als Fügung. „Wir sind tiefgläubige Menschen und glauben nicht an Zufälle. Das, was uns geschieht, ist für uns bestimmt, es war Gottes Wille, dass wir hierher kommen.“ Tochter Mariia wurde gleich in die fünfte Klasse der Gesamtschule im Klostergarten in Oedekoven aufgenommen, er bekam sofort eine Anstellung in einer Kfz-Werkstatt in Rheinbach. „Er kann einfach alles und ist sich für nichts zu schade“, ergänzt Andreas Klassen.

Man kann nicht einfach Sachen in die Ukraine bringen. Es ist viel Papierkram, wir müssen jede Kiste abwiegen, alles muss deklariert werden.
Andreas Klassen, 2. Vorsitzender von „Rheinbach hilft“

Von hier aus checkt Jakiv Syromiatnykov ab, was gerade am nötigsten in seiner Heimat gebraucht wird. Folien, um Fenster abzukleben, Hygieneartikel. Der Verein schaut, ob er das alles besorgen kann. Außerdem muss alles korrekt ablaufen: „Man kann nicht einfach Sachen in die Ukraine bringen. Es ist viel Papierkram, wir müssen jede Kiste abwiegen, alles muss deklariert werden. Bevor der Lkw losfährt, müssen die Unterlagen in die Ukraine geschickt und dort geprüft werden. Es kommt ein Fax zurück, und damit fährt der Lkw dann los.“ Jeder, der etwas bekommt, muss es gegenzeichnen. Man wird beobachtet und kontrolliert.

Jakobs Aufgabe in der Ukraine hat jetzt sein Bruder Eugen übernommen. Mit einem Ärzteteam, das dorthin fährt, wo keine Unterstützung mehr ankommt, ist er unterwegs. „Er schickt grauenhafte Fotos“, sagt Klassen. Medikamente und Hilfsgüter kommen von „Rheinbach hilft“. Oft sei der Bruder gerade noch mit dem Leben davongekommen, jüngst sei eine Rakete vor seinem Fenster explodiert, die Druckwelle habe Autos herumgeschleudert. „Unter solchen Umständen führt er unsere Arbeit dort weiter“, schildert Jakob bewegt.

Außerdem sei niemand abgesichert und gefeit davor, nicht doch noch an die Waffen gerufen zu werden. Es bestehe immer die Gefahr, aus dem Auto gezerrt und an die Front gefahren zu werden. Aber sein Bruder denke positiv, sage als ebenfalls sehr gläubiger Mensch immer, er stehe unter einem höheren Schutz, erzählt Jakob. Natürlich hat er Angst um ihn, um seine Eltern und Geschwister, die in der Ukraine geblieben sind. Jakob stammt aus einer Großfamilie, hat fünf Brüder und eine Schwester.

Jakiv Syromiatnykov vermisst seine Heimat

Die Eltern, zwei Brüder und die Schwester sind geblieben, zwei wohnen wie er in Deutschland. „Wir versuchen alles zu tun, was in unserer Macht steht“, sagt Jakob mit Blick auch auf seinen Bruder Eugen. Speziell für ihn würden gerade nach Sponsoren, oder besser gesagt nach Paten gesucht, die spenden, um ihn zu unterstützen, weil er wegen des Krieges nicht arbeiten könne.

Auf die Frage, ob er seine Heimat sehr vermisst, kommt ein sehr spontanes „Ja!“ von Jakob. „Wenn der Krieg aufhört, fahre ich gerne wieder zurück.“ Tochter Mariia sieht das anders: „Ich möchte schon lieber hierbleiben.“ Sie hat sich gut eingelebt, spricht sehr gut Deutsch, hat Freunde gefunden. Sehr schwierig.

Was ist der Unterschied zwischen Deutschland und der Ukraine? „Es herrscht Ordnung, es gibt Gesetze, die eingehalten werden, es ist ein viel ruhigeres Leben“, beschreibt es Viktoriia Syromiatnykova. „Allein beim Autofahren ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht“, schmunzelt sie. „Der Lebensstandard hier ist gut“, ergänzt Jakob, „aber in der Ukraine kannst Du Dich schneller selbstständig machen. Die Möglichkeiten sind größer.“

Ukrainer sind für ihre Gastfreundschaft bekannt. „Ja“, sagt Jakob, „wenn Du kommst, stellen sie alles auf den Tisch und Du denkst, Mensch, die sind ja reich. Aber wenn Du weg bist, essen sie die ganze Woche nur noch Brot. Aber auch die Deutschen sind gastfreundlich. Sie sind mitfühlender, sie leiden mehr mit und sie geben viel ab.“ Auch beim Spendensammeln von „Rheinbach hilft“ in der Pallottikirche habe er gemerkt, viele geben nicht aus Überfluss, sondern weil sie die Not sehen. Hat Familie Syromiatnykov einen Weihnachtswunsch? Eine Waffenruhe in ihrer Heimat Ukraine!