Neuer Damm kostet fünf Millionen EuroDas sind die Pläne für die Steinbachtalsperre

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Aus der Luft ist die Scharte an der Steinbachtalsperre deutlich sichtbar.

  • Das Bauwerk soll eine hybride Nutzung ermöglichen.
  • Jetzt wurde eine Simulation zum Dammbruch vorgestellt. Es blieben nur wenige Minuten bis zur Flutwelle.
  • Bis zur Fertigstellung vergehen noch Jahre.

Euskirchen – Hochwasserschutz, Brauch- und Löschwasser sowie Naherholung – die neue Steinbachtalsperre soll allen Ansprüchen, die an sie vor der Flut, aber vor allem nach der Katastrophe gestellt wurde, gerecht werden. Eine eierlegende Wollmilchsau in Form einer Talsperre.

Geht es nach der e-regio als Betreiber und Euskirchens Bürgermeister Sacha Reichelt, ist die Talsperre in zwei Jahren in der gedachten Form nutzbar. Kosten: etwa fünf Millionen Euro für das reine Dammbauwerk, die im Idealfall über den Wiederaufbaufonds gedeckt sind.

Wie ist der Status quo der Talsperre?

Seit der Flutkatastrophe ist die Steinbachtalsperre leer. Es hat sich eine Landschaft gebildet, die in den Augen vieler zwar faszinierend ist, aber doch bitte keine Dauerlösung sein soll. Im Damm ist eine Scharte angelegt worden. Sie ist hat eine maximale Breite von 42 Metern. Im unteren Bereich, ungefähr dort, wo sich der Grundablass befindet, weist die Scharte eine Breite von 7,50 Meter auf.

Seit der Flutkatastrophe wird in der Talsperre kein Wasser mehr gestaut.

Seit der Flutkatastrophe wird in der Talsperre kein Wasser mehr gestaut.

Weil das Staubecken seit dem Hochwasser leer ist, beläuft sich das Stauvolumen aktuell auf 335.000 Kubikmeter – ohne, dass das Wasser über die Scharte aus der Talsperre hinausströmt. Aktuell ist eine Regulierung der Wassermenge in der Talsperre nur über den Grundablass möglich. Sollte Wasser über Scharte austreten, geschieht dies unkontrolliert. Der Spaziergang um die Steinbach ist über den Damm wegen der Scharte nicht möglich.

Was sagen die Experten und der Bürgermeister?

„Wir sehen in dem Konzept viele Vorteile“, sagt Euskirchens Bürgermeister Reichelt, der gleichzeitig Verbandsvorsteher des Wasserversorgungsverbands Euskirchen-Swisttal (WES) ist. Es sei die hybride Nutzung unter Einbeziehung des Hochwasserschutzes, der von vielen Seiten gefordert worden sei.

Nachhaltiges Konzept für die Steinbachtalsperre

Das Konzept sei insofern nachhaltig, weil es die bereits vorhandene Scharte einbeziehe und die Form der Talsperre möglichst wenig verändert werde, sagt Markus Böhm, Geschäftsführer der e-regio: „Die Lösung bietet eine flexible Reaktion auf die verschiedenen Anforderungen wie Trockenheit oder Starkregen.“

Wie soll die Umsetzung aussehen?

Die vorhandene Scharte soll genutzt werden. In sie soll, so die Vorstellung des beauftragten Ingenieurbüros Lorenz aus Bad Münstereifel, ein Regelorgan eingebaut werden. Über die bauliche Vorkehrung soll es möglich sein, Wasser in unterschiedlichen Mengen aus der Talsperre abzulassen.

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Grün statt blau: Die Steinbachtalsperre samt Waldfreibad.

In dem Konzept sind drei Betonkanäle vorgesehen. Zwei Kanäle sollen sich nach Vorstellungen von Ingenieur Marcel Loest mit Schütztafeln verschließen lassen. Darüber soll sich der Staupegel möglichst schnell verändern lassen – beispielsweise um zusätzlichen Stauraum zu schaffen. Der dritte Kanal soll über ein Regelorgan verfügen, beispielsweise in Form eines Schwimmers.

Wie viel Wasser darüber abfließen soll, müsse noch definiert werden. „Wie viel Wasser wir ablassen können, hängt von den Hochwasserschutzkonzepten der Orte unterhalb der Steinbach ab – beispielsweise in Schweinheim und Odendorf“, so Reichelt.

Flutwelle wäre in zehn Minuten in Schweinheim

Was passiert bei einem Dammbruch?

Was passiert im Falle eines Dammbruchs der Steinbachtalsperre? Wie hoch fließt in einem solchen Worst-Case-Szenario das Wasser durch Schweinheim? Wie viel Zeit blieb zur Evakuierung? Fragen, die vor dem 14. Juli 2021 niemand konkret beantworten konnte. Fragen, die aber noch am Abend der Hochwasserkatastrophe aufkamen, weil die Dammkrone überspült wurde und die Gefahr des Dammbruchs gegeben war.

Nun – 14 Monate nach der Katastrophe und 86 Jahre nach der Fertigstellung der Talsperre bei Kirchheim – hat sich die Hydrotec Ingenieurgesellschaft für Wasser und Umwelt mbH mit dem theoretischen Fall eines Dammbruchs beschäftigt und Ergebnisse präsentiert. 

1,5 Millionen Kubikmeter Wasser

Für die Berechnungen legten die Experten folgende Parameter zugrunde:

Es ist wie am 14. Juli 2021 zu einem Kronenstau gekommen. In der Talsperre befinden sich 1,5 Millionen Kubikmeter Wasser.

Es gibt keinen zusätzlichen Zufluss durch Regen.

Der Damm bricht innerhalb weniger Sekunden komplett weg.

„Bereits zehn Minuten nach dem Dammbruch wären in Schweinheim Wasserstände von drei bis fünf Metern zu erwarteten“, sagte Tobias Meurer, Abteilungsleiter Gas- und Wasseranlagen bei der e-regio. Und das Wasser würde durch die Topographie zwischen Talsperre und Schweinheim mit sehr hoher Geschwindigkeit durch das Dorf fließen. Meurer sprach von drei Metern pro Sekunde. „Nach dem Dammbruch wäre es für eine Evakuierung zu spät. Das muss vorher passieren“, so Meurer.

Evakuierungen waren richtig

Während das Wasser in Schweinheim in kurzer Zeit steigt, sinkt es an Talsperre. Beträgt der Wasserspiegel laut der Berechnungen zum Zeitpunkt des Dammbruchs 16 Meter, sind es kurze Zeit später noch vier. Die Simulation zeigt auch, dass die Entscheidung der Stadt, Schweinheim, Palmersheim und Flamersheim zu evakuieren, richtig war.

A 61 fungiert als Damm

„Auch wenn der Wasserstand in Palmersheim im Falle eines Dammbruchs unter einem Meter betragen würde“, so Meurer: „Die Evakuierung war vollkommen richtig. Es wurde kein Bereich ausgelassen, in dem ein Dammbruch schwere Schäden angerichtet hätte.“  Eine Stunde nach dem Dammbruch wäre das Wasser der Steinbachtalsperre in Odendorf. Für Heimerzheim, so zeigt es die Simulation, besteht durch einen Dammbruch  keine Gefahr. Die A 61 wirke wie ein Damm, so Meurer. Dort käme das Wasser etwa zweieinhalb Stunden nach dem Dammbruch an. „Der Swistbach  wäre zwar gut gefüllt, in Heimerzheim tritt bei einem solchen Szenario aber kein Wasser über die Ufer“, berichtet Meurer: „Dass Wasser über die Autobahn läuft, ist an manchen Stellen aber nicht auszuschließen.“

Weitere Simulation angekündigt

In gut drei Monaten wollen die Experten eine zweite Simulation vorstellen. Dann auch in Zusammenhang mit einem möglichen Starkregenereignis. Die jetzigen Erkenntnisse sollen nun in bereits seitens der Stadt bestehenden Evakuierungsszenarien eingearbeitet werden. (tom)

Das Wasser soll in eine erosionssichere Schussrinne abgeleitet werden, die aus großen Findlingen besteht. Ein Abrutschen der Luftseite des Damms wie am 14. Juli 2021 soll so ausgeschlossen werden. Zudem soll der Damm geschlossen werden, damit der Spaziergang rund um die Steinbach wieder möglich ist.

Allerdings soll der Weg ein geringfügiges Profil aufweisen. Die so entstehende Mulde soll das Wasser im Fall eines Überströmens über die Dammkrone in den erosionsgeschützten Bereich der Luftseite leiten. „Das wäre dann der Hosenträger zum Gürtel – für den absoluten Notfall“, so Loest.

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So wäre der Wasserstand eine Stunde nach einem Dammbruch der Steinbachtalsperre.

Wie groß der Dauerstau sein wird, muss noch erörtert werden. „Das hängt davon ab, wie die einzelnen Positionen, beispielsweise der Hochwasserschutz, gewertet werden“, berichtete Loest. Als mögliches Volumen für einen Dauerstau sind im Konzept 755.000 Kubikmeter vorgesehen.

Es könnte aber auch weniger Wasser beim Dauerstau in der Talsperre sein. Dann könnten Kosten für Uferbefestigungen entstehen. Insgesamt sollen – wie vor dem 14. Juli 2021 – wieder 1,06 Millionen Kubikmeter gestaut werden können.

Aus der Flut gelernt

Wie die verschiedenen Sicherheits- und Schließmechanismen gesteuert werden – ob beispielsweise per Fernsteuerung oder ob ein Talsperrenwächter permanent an dem See sein wird –, werde in einem Betriebskonzept zu erörtern sein, sagte e-regio-Geschäftsführer Böhm. Feststehe, dass es verschiedene Sicherheitsmechanismen und Redundanzen geben werde. „Wir wissen, dass der Strom ausfallen kann. Wir werden auf alles vorbereitet sein“, so Reichelt.

Was gilt es noch zu erarbeiten?

Unter anderem müssen WES, Bezirksregierung und Erftverband den vorzuhaltenden Hochwasserschutzraum festlegen. Der wiederum könnte im Sommer ein anderer als im Winter sein. Zudem muss ein Betriebskonzept erstellt werden – mit Rücksicht auf das übergeordnete Hochwasserschutzkonzept für Erft, Swist, Orbach und Steinbach.

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Für Euskirchener immer noch ein komischer Anblick: die leere Steinbachtalsperre.

Und die Bemessungsgrundlagen – 100-jährliches und 1000-jährliches Hochwasser – müssen überarbeitet werden. Dafür ist die Bezirksregierung zuständig. „Die Berechnungen zur Simulation des Hochwassers vom Juli 2021 werden derzeit erarbeitet“, sagt Vanessa Nolte, Pressesprecherin der Bezirksregierung.

Mit der Berechnung der neuen Überschwemmungsgebiete könne erst anschließend begonnen werden. Der Abfluss aus der Steinbachtalsperre sei entscheidend von der Nutzung der Talsperre abhängig. „Wenn die Talsperre künftig mit einem großen Hochwasserschutzraum betrieben wird, werden vor allem die Hochwässer mit kleiner statistischer Wahrscheinlichkeit gepuffert“, so Nolte.

Was sind die nächsten Schritte?

Das Konzept wurde am Mittwoch in der Verbandsversammlung des WES vorgestellt. Die Mitglieder stimmten einstimmig für das Konzept. Jetzt, wo der WES grünes Licht gegeben hat, werden laut Böhm die Planungsleistung ausgeschrieben.

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Laut Reichelt werden Gespräche mit Erftverband, Bezirksregierung und Land gesucht. Aber auch mit den anderen Kommunen, um ein gemeinsames Hochwasserschutzkonzept zu erarbeiten. Böhm geht davon aus, dass kein Planfeststellungsverfahren nötig ist, weil an der Talsperre „in der eigentlichen Form“ nichts verändert werde. Auch das Stauvolumen bleibe unverändert.

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