Schachstudie in Köln beweistHohe Feinstaubwerte stören beim Denken

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Eines der größten Traditionsturniere in der Region: Seit 26 Jahren laden die Ford Schachfreunde zum Open.

Eines der größten Traditionsturniere in der Region: Seit 26 Jahren laden die Ford Schachfreunde zum Open.

Köln – Schachspielern raucht öfter mal der Kopf, wenn sie über den nächsten Zug oder eine schwierige Stellung auf dem Brett nachdenken. Dass es aber wirklich einen Zusammenhang zwischen dicker Luft und Denkleistung gibt, haben jetzt Wissenschaftler aus Bonn und dem niederländischen Maastricht nachgewiesen: Sie haben über fünf Jahre die Schadstoffbelastung bei einem großen Turnier des Kölner Vereins Ford Schachfreunde nachgewiesen und in der Studie festgestellt: Je höher besonders die Feinstaubwerte in einem Turniersaal sind, desto mehr wirkt sich das auf die schachlichen Leistungen der Spieler aus.

Zunächst an Investmentbankern ausprobiert

Die Idee, ausgerechnet Schachspieler zum Objekt ihrer Studie zu machen, haben die Arbeitsökonomen in einem Brainstorming entwickelt. Untersuchungen bei Investmentbankern oder Mitarbeitern von Callcentern brachten zuvor keine wirklich belastbaren Ergebnisse. Schachspieler, so der Ansatz, stellen sich intellektuell besonders großen Herausforderungen, bei denen es kaum auf die körperlichen Voraussetzungen ankommt.

Dass ausgerechnet die Kölner Turnierspieler als „Versuchskaninchen“ herhalten durften, ist dem Zufall zu verdanken. Der Bonner Wissenschaftler Dr. Nico Pestel, der die Studie mit verantwortet. kommt aus Niederkassel, hatte sich in der Region umgehört und war auf das Traditionsturnier der Ford Schachfreunde gestoßen. Das seit 26 Jahren ausgetragene Ford Open ist eines der größten Turniere in der Region, regelmäßig nehmen Internationale Meister teil. Stephan Distelrath, Vorsitzender des Vereins, gab sein Einverständnis für die Untersuchung, und so stellten die Forscher drei Jahre lang auf einem separaten Tisch des Turniersaals im Pfarrheim von Christ König in Longerich Messgeräte auf, die nicht nur Feinstaub, sondern auch Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Co2-Werte registrierten. Das Turnier wird über einen Zeitraum von zwei Wochen in sieben Runden ausgetragen. Das hatte für die Wissenschaftler den Vorteil, dass auch unterschiedliche klimatische und verkehrliche Verhältnisse einfließen konnten.

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596 Partien ausgewertet

Die Daten lieferten die Partieformulare, auf denen die Schachspieler alle Züge notieren müssen. 596 Partien mit rund 30.000 Zügen wurden für die Studie ausgewertet. Eines der besten Schachprogramme (Stockfish) warf aus, unter welchen Bedingungen und wann die meisten Fehler gemacht wurden. Die ersten Züge der Partien wurden dabei gar nicht berücksichtigt, die Eröffnungen kennen viele Spieler auf semi-professionellem Niveau auswendig, sie ziehen, ohne groß nachzudenken. Besonders viele Fehler entdeckte Stockfish zwischen dem 30. und 40. Zug, also kurz vor der Zeitkontrolle, wenn die Spieler unter extremem Druck stehen.

Schachspieler weichen wegen Corona ins Internet aus

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Jahre wird der Kölner Schachverband, dem auch die Ford Schachfreunde angehören, in diesem Jahr. Das sollte eigentlich Mitte Mai mit einem großen Turnier und vielen anderen Veranstaltungen im Sport- und Olympiamuseum gefeiert werden – bis Corona kam. Die Jubiläumsfeier musste abgesagt werden und soll nun im kommenden Jahr nachgeholt werden. Auch der Ligabetrieb ruht seit Wochen, wie es weiter geht, ist nicht absehbar.

Die Ford Schachfreunde haben ihr Open ebenfalls absagen müssen. Es soll nun voraussichtlich vom 17. August an nachgeholt werden. Anmeldungen für den siebenrundigen Wettkampf sind unter www. ford-schachfreunde.de noch möglich.

Die nationale und internationale Schachgemeinde, ohnehin sehr internet-affin, ist in Corona-Zeiten in den online-Betrieb gegangen. Auf der kostenlos zu nutzenden Plattform lichess.org. gibt es täglich Dutzende von Turnieren vom Blitzschach bis zu Partien mit regulärer Bedenkzeit. Inzwischen werden dort sogar Wettkämpfe in einer „Quarantäne-Liga“ ausgetragen, in der auch Großmeister ihre Kräfte messen. (EB)

Das Resultat der dreijährigen Studie ist unmissverständlich: Steigt der Feinstaubwert um 10 Mikrogramm pro Kubikmeter, so wächst die Fehlerquote um rund 26 Prozent. Gute Luft bedeutet also für Schachspieler auch bessere Aussichten auf Erfolg auf dem Brett, mit den 64 Feldern, die für sie die Welt bedeuten. Aber natürlich geht es den Wissenschaftlern nicht um die Denksportler. „Im Zentrum stand die Frage nach der Arbeitsproduktivität“, sagt Nico Pestel. Die Schlussfolgerung seiner Untersuchung liegt auf der Hand: Wenn Arbeitgeber für eine bessere Raumluft sorgen, können die Mitarbeiter, die komplexe kognitive Aufgaben zu erledigen haben, mehr leisten. Weil sich viele solcher Arbeitsplätze derzeit noch in den Zentren von Großstädten befinden, wo die Feinstaubbelastung eher hoch ist, könnte auch ein Standortwechsel ein Beitrag zum größerer Effektivität und Arbeitsproduktivität sein.

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