Umgang mit der KrankheitWie das Demenz-Café in Pulheim einer betroffenen Familie hilft

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Das Foto zeigt drei Hände, die sich berühren.

Berührungen geben der Demenz-Patientin Halt, sie spürt, dass sie nicht alleine ist.

Josef Lehmanns Schwester erkrankte mit Anfang 50 an Demenz. Für die Familie ist seitdem nichts mehr, wie es einmal war.

Die Diagnose war für Josef Lehmann (alle Namen geändert) ein Schock. Vor fünf Jahren hat er erfahren, dass seine Schwester Renate Schmidt an einer mittelschweren Demenz erkrankt ist. Sie war damals Anfang 50. „Es gab schon länger Anzeichen, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Sie war unorganisiert und unordentlich, hatte ihren Haushalt nicht mehr im Griff. Wir haben sie nicht wiedererkannt. Die Diagnose hat uns Gewissheit gegeben.“

Von der Last befreit, nicht zu wissen, woran sie sind, fühlten sich Josef Lehmann und seine Frau Susanne dann allein gelassen. „Meine Schwester hat Medikamente bekommen, sie sollte jedes viertel Jahr zur Kontrolle kommen, aber was weiter zu tun ist, wo wir Hilfe bekommen, erfuhren wir nicht“, erinnert sich Josef Lehmann. Das sei ein großes Problem, weiß Beate Wallraff. „Betroffene und Angehörige bekommen keine Informationen, daher hatte ich die Idee, ein Demenz-Café zu gründen“, sagt die Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Ortsverein Stommeln.

Die Berührungen geben ihr Halt, sie spürt, dass sie nicht alleine ist
Beate Wallraff, Gründerin des Demenz-Cafés

Die Pulheimerin ist bei dem Treffen dabei, wie auch Renate Schmidt. Zumeist lächelt sie, greift gelegentlich Wörter oder Satzfragmente aus dem Gespräch auf. Sie lebt erkennbar in ihrer eigenen Welt. „Sie spricht kaum noch, eine Unterhaltung mit ihr ist nicht mehr möglich“, sagt ihr Bruder. Während des Gesprächs wenden sich Beate Wallraff und Josef Lehmann Renate Schmidt immer wieder zu, streichen ihr über den Arm, berühren ihre Hände. In diesen Momenten schaut Renate Schmidt sie an, strahlt. „Die Berührungen geben ihr Halt, sie spürt, dass sie nicht alleine ist. Sie braucht diese Form der Nähe“, sagt Beate Wallraff.

In ihrer Hilflosigkeit bekommen die Lehmanns unerwartet Unterstützung. „Die Firma meiner Frau bietet einen Service an für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit gesundheitlichen Problemen.“ Dort hätten sie erfahren, was zu tun ist, dass sie eine Pflegestufe beantragen können.

Angehöriger ließ sich zum Demenzbegleiter ausbilden

Ein Satz, der die Krankheit treffend beschreibt, ist Lehmann im Gedächtnis geblieben. „Die Krankheit ist wie ein Bücherregal. Die letzten Bücher fallen zuerst raus, nach und nach fallen alle raus. Dann ist das Bücherregal leer.“

Um die Krankheit zu begreifen, zu lernen, mit ihr umzugehen und schwierige Situationen zu meistern, entscheidet sich Josef Lehmann wenige Monate nach der Diagnose, sich zum Demenzbegleiter ausbilden zu lassen. Über einen privaten Kontakt hat er erfahren, dass die Awo Stommeln die 40-stündige Ausbildung anbietet. „Uns allen war klar, dass es schlimmer wird. Es gibt kein Zurück.“

Bruder gab seinen Job auf, um ganz für seine demenzkranke Schwester da zu sein

In den ersten anderthalb Jahren nach der Diagnose war Renate Schmidt, die Jahre zuvor ihren Mann verloren hatte, stabil. „Es gab einen Stillstand.“ Mitte 2019 ist die Witwe mit ihrer Tochter umgezogen, in eine Wohnung in unmittelbarer Nähe ihres Bruders. Josef Lehmann gab seinen Job auf, um für seine Schwester da zu sein. „Ich war den ganzen Tag mit ihr zusammen, ich habe sie überall mit hingenommen, beispielsweise zum Zahnarzt.“ Überall habe er gesagt, dass seine Schwester dement sei. „Sie hat mich dann immer gefragt, warum ich das allen sage.“

Das sei eine große Schwierigkeit, weiß Beate Wallraff aus Erfahrung. „Die Betroffenen wollen die Krankheit verbergen, sie fühlen sich minderwertig und hilflos, weil sie nicht mehr so wie früher am Leben teilnehmen können.“ Vielen gelinge das sehr gut. Susanne Lehmann, damals noch berufstätig, unterstützte ihren Mann nach Kräften. „Sie hat sehr viel gemacht und macht immer noch viel. Ohne sie hätte ich es nicht geschafft.“

Die Krankheit verschlimmert sich in immer größeren Schüben

Da sich die Krankheit zunehmend verschlimmert hat – „sie hatte alle drei bis vier Monate Schübe“ – bemühten sich die Lehmanns um 24-Stunden-Hilfen. „Sie wechseln sich ab. Eine bleibt sechs Wochen, die andere acht Wochen.“ An den gemeinsamen Urlauben in den Oster- und Sommerferien hielten sie vorerst fest Daran sei heute allerdings nicht mehr zu denken, sagt der 63-Jährige. Die Schübe seien jetzt extrem.

Inzwischen gehe seine Schwester nur noch ein paar Schritte mit dem Rollator. Auch ihr Schlafrhythmus habe sich verändert. „Sie hat immer viel und lange geschlafen. Nun ist sie nachts aktiv.“ Auch die einfachsten Dinge wisse sie inzwischen nicht mehr, beispielsweise wie man eine Gabel benutzt. Nach wie vor hat Renate Schmidt ihr Wochenprogramm. „Sie geht zur Ergotherapie, zum Tanzen in einem speziellen Kurs, zweimal pro Woche in die Tagespflege und jeden Donnerstag ins Demenz-Café.“

Noch gut erinnert sich Josef Lehmann an den Donnerstag vor sechs Jahren, als seine Schwester zum ersten Mal im Demenz-Café war. „Ich hatte vier Stunden Pause. Das war sehr befreiend. Ich konnte etwas für mich machen.“ Renate Schmidts Tochter, sie ist jetzt im Teenager-Alter, lebt seit fünf Jahren bei Tante und Onkel. „Wir sind ihr Elternersatz. Sie kommt mit der Situation weitestgehend klar, weil sie aufgefangen wird.“

Den Verfall seiner Schwester täglich mitzuerleben, sei sehr belastend. „Es ist furchtbar. Das trifft mich sehr.“ Es komme immer wieder vor, dass er ungehalten reagiere, es falle ihm einfach schwer, die Situation zu akzeptieren und zu verstehen. Und gelegentlich komme ihm der Gedanke, „hoffentlich bekommst du die Krankheit, die dein Vater und dessen Mutter hatten, nicht auch noch“.


So unterstützt das Demenz-Café in Stommeln Betroffene und Angehörige

Das Demenz-Café der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Ortsverein Stommeln, Hauptstraße 59, ist jeden Donnerstag von 9 bis 12.30 Uhr geöffnet. An Demenz Erkrankte mit und ohne Angehörige frühstücken gemeinsam, „sie haben die Möglichkeit, sich auszutauschen, sie geben sich Halt“, sagt die Ortsvereins-Vorsitzende Beate Wallraff.

Nach dem Frühstück bietet das Team der ehrenamtlichen Demenzbegleiterinnen und -begleiter ein Gedächtnistraining an und ein Bewegungsprogramm für die, die es noch können, unter anderem mit Gleichgewichtsübungen und Ballspielen, auch Singen steht auf dem Programm.

Außerdem bietet das Team Beratungen und Unterstützung rund um die Themen Pflegeversicherung, Pflegestufen, Unterbringung in einem Heim an. Die Ratsuchenden erfahren auch, wo es weitere Hilfsangebote gibt. Ansprechbar ist Beate Wallraff unter 0172/1901357 sowie per E-Mail.

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