„Sehr viel Aggressivität“ bei PatientenImpfung macht Hürther Facharzt zu schaffen

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Matthias Schlochtermeier impft Patientin Katrin Stute.

Matthias Schlochtermeier impft Patientin Katrin Stute.

Rhein-Erft-Kreis – Dr. Matthias Schlochtermeier arbeitet seit 2005 als Hausarzt in Hürth-Efferen. Der 50-jährige Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin ist Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung im Rhein-Erft-Kreis. Dennis Vlaminck sprach mit ihm über die Corona-Impfungen in den Hausarztpraxen.

Herr Doktor Schlochtermeier, seit zwei Wochen impfen auch die Hausärzte gegen das Coronavirus. Wie viele Patienten haben Sie bislang impfen dürfen?

Schlochtermeier: In der ersten Woche 30 Patienten, in der zweiten Woche leider nur 18 Patienten. Das wird damit begründet, dass in der ersten Woche nach Ostern viele Kollegen ihre Praxis nicht geöffnet hatten. Jetzt sind mehr Praxen in der Verlosung der Impfstoffe. Ich weiß ja, dass wenig Impfstoff da ist. Aber das ist frustrierend. Die Ankunft des Impfstoffs war ein Festtag bei uns in der Praxis. Als dann von meinem Apotheker die Nachricht kam, dass in der zweiten Woche nur noch 60 Prozent ankommen, hätte ich heulen können. Wir sind so hoffnungsfroh gestartet und wurden dann abrupt abgebremst. Unsere Patienten haben aktuell keine Geduld und rennen uns die Bude ein. Sie verstehen das nicht.

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Wie steht es denn um die pflegebedürftigen Alten zu Hause, die nicht im Impfzentrum oder in Seniorenzentren geimpft werden konnten?

Das sind meine Patienten. Wir Hausärzte haben ihnen ein Sicherheitsversprechen gegeben. Wir haben uns die ganze Zeit um sie gekümmert. Wir haben unter erschwerten Corona-Bedingungen weiter unsere Hausbesuche gemacht. Stand heute, vier Monate nach Impfbeginn, gibt es kein zufriedenstellendes Impfkonzept für diese Menschen, die zu Hause leben und von ihren Angehörigen oder zumeist osteuropäischen Pflegekräften rund um die Uhr versorgt werden. Jetzt wird es so sein, dass wir diese Menschen und zwei Kontaktpersonen gut impfen können, sobald wir den Astrazeneca-Impfstoff im Mai erhalten.

Bisher ging der Blick in der Pandemie immer stark auf die Krankenhäuser und die Intensivstationen, aber wie hoch ist die Belastung in den Hausarztpraxen?

Wir machen 90 Prozent der gesamten Corona-Arbeit, und zwar schon seit einem Jahr. Wir testen, wir impfen, wir halten Infektionssprechstunden – alles zusätzlich zu unseren normalen Tätigkeiten. Es gibt Berufsgruppen, die in dieser Pandemie einen sensationellen, unfassbaren Job gemacht haben, und die haben alle das Bundesverdienstkreuz verdient, weil sie Übermenschliches leisten. Das sind die Medizinischen Fachangestellten, in der Regel Frauen in den Arztpraxen, aber auch die Angestellten der Pflegedienste und die ambulanten Palliativteams, die sich vor jedem Patientenbesuch umziehen und andere Zusatzdienste leisten müssen. Und die Arbeit in den Praxen ist mit dem Impfen um bestimmt noch mal 50 Prozent gestiegen. Das Telefon steht überhaupt nicht mehr still.

90 Prozent der Corona-Arbeit werde von den Hausärzten erledigt, sagt der Hürther Mediziner Matthias Schlochtermeier.

90 Prozent der Corona-Arbeit werde von den Hausärzten erledigt, sagt der Hürther Mediziner Matthias Schlochtermeier.

Die Hausärzte sind beim Impfen auch für die Einhaltung der Impfreihenfolge zuständig. Gelingt das?

Die Prioliste ist ein Verwaltungsmonster, von Verwaltungsfachleuten sicherlich gewissenhaft und eindrucksvoll entworfen. Bei uns ist sie nicht umsetzbar. Streng genommen müssten die Medizinischen Fachangestellten vorn an der Theke auch noch die Priorisierung vornehmen. Das ist so, wie sich das Bundesgesundheitsministerium das vorstellt, nicht am Tresen der Arztpraxen zu leisten. Die Praxen waren auch ohne Corona schon ausgelastet und voll, Corona kommt noch obendrauf. Man kann sich Mühe geben, das tun wir ja auch. Aber ich würde wirklich zu einem System kommen wollen, in dem der Hausarzt entscheidet. Priorisierung, wenn man sie in einer Arztpraxis machen will, müsste auf einen Bierdeckel passen. 22 Unterstriche für die Priorisierungsgruppe 2 im Ministerialentwurf vom 11. März passen nicht in die Realität von Arztpraxen. Das geht einfach nicht. Was für eine Verantwortung geben wir damit auch den Menschen? Wir müssen doch nicht Gott spielen, das wollen wir – um Gottes willen – auch gar nicht. Was, wenn jemand bei der Priorisierung einen Fehler macht und ein noch kränkerer Mensch kommt noch mal in eine vierwöchige Warteschleife? So was kommt sicher vor. Das ist ein moralischer Anspruch, dem kein Mensch genügen kann. Ich betone: Wir sind mit dem Impfen nicht überfordert. Wir impfen hier jedes Jahr über 1000 Menschen mit dem Grippeimpfstoff. Wir können impfen. Und wir wollen impfen. Aber dieser Priorisierungsquatsch ist absolut weltfremd.

Wie würden Sie die Impfungen denn handhaben?

Wir kennen unsere Patienten. Ich habe über 100 extrem kranke Patienten zu versorgen, von denen ich weiß, dass sie jetzt ganz schnell eine Impfung brauchen. Und alle anderen müssen sich nach Verfügbarkeit einfach hinten anstellen. Wir brauchen viel mehr Impfstoff. Wenn wir genug Munition haben, stellt sich auch die Gerechtigkeitsfrage nicht mehr. Ich bitte die Menschen, ihren Ärzten zu vertrauen.

Es gibt Klagen aus Praxen, dass Patienten massiv Druck aufbauen, um an die Impfung zu gelangen. Können Sie das bestätigen?

Das stimmt absolut, massiv. Es herrscht sehr viel Aggressivität, die Menschen sind sehr fordernd. Ich verstehe das auch, die Leute haben ja auch niemanden mehr, mit dem sie reden können. Und in der Arztpraxis kann man immer anrufen. Wir bekommen da viel von dem Corona-Frust mit, der in der Bevölkerung herrscht. Das kriegen alles meine Damen vorne ab. Wir haben jetzt gerade einen Patienten verloren, der uns schriftlich und unter Absingen schmutziger Lieder mitgeteilt hat, er habe jetzt einen anderen Arzt in Köln gefunden, der ihn geimpft habe. Der Mann war faktisch in der Priorisierungsgruppe 3. Der hat sich jetzt woanders reingedrängelt und voller Aggression von uns abgewandt, obwohl wir alles richtig gemacht haben. Das war ein Patient, den ich schon 15 Jahre betreut hatte.

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In den USA kann man sich beim Einkauf im Supermarkt impfen lassen – in Deutschland scheint die Bürokratie zu regieren, und auch von Hausärzten kommen Beschwerden, dass der Aufwand zu hoch ist. Eine zutreffende Kritik?

Was den bürokratischen Aufwand angeht: Der ist nach deutschen Maßstäben extrem gering. Da muss ich der Kassenärztlichen Vereinigung ein großes Lob aussprechen. Das Melden der Impfung nimmt gerade mal fünf Minuten am Tag in Anspruch. Die Bürokratie beim Impfen in den Altenheimen war da noch extrem, aber jetzt nicht mehr. Impfen im Supermarkt oder wie in Israel am Strand – das ist super. Ich würde das extrem begrüßen. Ich hätte richtig Spaß daran, mich ins Einkaufszentrum zu stellen und da zu impfen. Ich würde das sofort machen. Ich wünsche mir, dass viel mehr Niedergelassene, auch Gynäkologen, Kinderärzte und HNO-Ärzte impfen. Die Kinderimpfung wird oder ist ein Riesenthema.

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