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WochenkommentarWeihnachten fällt nicht aus

3 min
Das Bild zeigt den Weihnachtsmarkt in Kerpen.

Weihnachten fällt nicht aus: Ein Wochenkommentar zur drohenden Umbenennung des Weihnachtsmarktes in Kerpen.

Jörn Tüffers zu den Reaktionen auf die drohende Umbenennung des Kerpener Weihnachtsmarktes

Diese Form der Öffentlichkeit hätten sich Kerpen und die Aktionsgemeinschaft Kolpingstadt Kerpen (AGK) vermutlich gerne erspart. Doch angesichts der mitunter aufgeheizten und angespannten politischen Lage im Land haben sie die Konsequenzen sowie die Wirkung ihres Handelns offenbar unterschätzt: Die Absage des Kerpener Weihnachtsmarkts und die Ankündigung, ihn durch einen abgespeckten Genussmarkt zu ersetzen, hat bundesweite Aufmerksamkeit erfahren – bedauerlicherweise für die Kolpingstadt und den Rhein-Erft-Kreis in negativer Hinsicht.

Ein Shitstorm ist über die Verantwortlichen der AGK und der Stadtverwaltung hereingebrochen. Der ist auch deshalb so heftig ausgefallen, weil sich längst nicht mehr alle Zeitgenossen die Mühe machen, einen Sachverhalt in seiner Gänze zu betrachten. Denn das ist mühsam – und würde ja zudem verhindern, sich aufgrund weniger Schlagwörter eine Meinung zu bilden. So reicht allein die rudimentäre Nachricht „Kerpen nennt Weihnachtsmarkt nicht mehr Weihnachtsmarkt“ aus, um wildesten Spekulation Raum zu bieten und Verschwörungstheorien zu entwickeln.

Jörn  Tüffers

Jörn Tüffers

Redaktionsleiter der Rheinischen Redaktionsgemeinschaft in Brühl, der gemeinsamen Lokalredaktion von „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Kölnischer Rundschau“. Jahrgang 1965, verheiratet, zwei Söhne. Verantw...

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Da ist in vielen Äußerungen davon die Rede, dass christliche Traditionen aufgegeben werden, ein Ausverkauf der abendländischen Kultur stattfinde. Kurzum: Weihnachten werde abgeschafft! Und überhaupt – so lesen sich die kruden Kommentare weiter –, dass an allem die falsch verstandene Toleranz unserer Gesellschaft gegenüber Minderheiten, in dem Fall Anhängern anderer Glaubensgemeinschaften, schuld sei. Nicht zu vergessen die regierenden Politikerinnen und Politiker. Damit zimmern sich bedauerlicherweise zunehmend mehr Leute ihr Menschenbild zurecht – und werden gehört, auch im Kerpener Fall von der AfD. Die ist dann nicht verlegen darum, einen griffigen Slogan zu formulieren: „Wir müssen die Terroristen loswerden, nicht unsere Tradition!“

Immerhin hat man sich bei der rechtsgerichteten Partei die Mühe gemacht, die Begründung für die beabsichtige Umbenennung bis zum Ende zu lesen. Denn der Verzicht auf Weihnachten im Veranstaltungstitel ist keineswegs als Kniefall vor Teilen der Muslime unter uns misszuverstehen. Vielmehr ist diese Abkehr dem Versuch der AGK geschuldet, zu retten, was zu retten ist. Im Zentrum dieser Überlegungen steht der Umstand, dass es Vereinen durch behördliche Auflagen zunehmend erschwert wird, öffentliche Veranstaltungen durchzuführen: Es scheitert oft am Geld und am Personal, manchmal auch am Wissen, wie die Paragrafen mit den Bestimmungen zu lesen sind. Das betrifft Karnevalisten ebenso wie Schulen und Kindertagesstätten, die in diesen Tagen Martinszüge veranstalten, die Betreiber des Martinsmarkts an diesem Wochenende in Brühl und die Kirmes-Macher des Hubertusmarkts in Bergheim, der am Sonntagabend endet.

Dass erhöhte Sicherheitsauflagen nach den Anschlägen in den Vorjahren, beispielsweise in Berlin und Magdeburg, nicht der Schikane derjenigen dienen, die für eine offene und freie Gesellschaft stehen, sollte differenziert denkenden Menschen klar sein. Daher wäre es umso wichtiger, dass Städte im Rahmen ihrer Möglichkeiten Veranstalter finanziell entlasten und bei der Organisation proaktiv auf sie zugehen, damit das Kind nicht erst in den Brunnen fällt. Im Falle Kerpens ist dies geschehen, aber vielleicht noch nicht zu spät, damit der neue Bürgermeister Thomas Jurczyk (SPD) die Rettung des Weihnachtsmarkts zur Chefsache macht. Damit noch alle in den Genuss einer stimmungsvollen und sicheren Veranstaltung kommen.