Bei der Neuverhandlung in Bonn wurde der 62-jährige Angeklagte ein zweites Mal verurteilt - diesmal zu sieben Jahren und elf Monaten.
Kranke Enkelin missbrauchtBonner Richterin fällt überraschend mildes Urteil gegen Großvater

Akten liegen auf einem Tisch im Gerichtssaal. Symbolfoto.
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Was Gerechtigkeit ist, ist manchmal schwer zu erkennen. So jetzt auch im Bonner Prozess gegen einen 62-jährigen Angeklagten, der seine schwer kranke Enkelin, auf die er eigentlich aufpassen sollte, über Jahre zum Teil schwer sexuell missbraucht hat. Als der Missbrauch im Haus in Sankt Augustin angefangen hatte, war sie neun Jahre alt gewesen: Der Großvater hatte das Mädchen, das nachts in seinem Bett schlief, zunächst in Unterwäsche fotografiert. Dann kamen die Übergriffe, immer regelmäßiger.
Der Bonner Fall hatte für Schlagzeilen gesorgt, weil der Bundesgerichtshof das erste Urteil, das den Großvater nur mit sechs Jahre Haft bestrafen wollte, aufgehoben und zur Neuverhandlung nach Bonn geschickt hatte: Nicht wegen der Feststellungen zum Missbrauch selbst, der offenbar fraglos ist, sondern weil das Mädchen durch seine schwere epileptische Erkrankung besonders schutzwürdig gewesen sei. Das sei im Strafmaß nicht besonders berücksichtigt worden, so die obersten Richter in Karlsruhe. Das besonders zu prüfen, war die Aufgabe der Jugendschutzkammer im neu aufgerollten Prozess.
Erst als das Opfer 13 Jahre alt war, erfuhr die Mutter von den Übergriffen und zeigte ihren Vater an
Mit überraschendem Ergebnis: „Wir konnten nicht feststellen, dass der Angeklagte die Krankheit des Kindes besonders ausgenutzt hätte“, so die Kammervorsitzende des Bonner Landgerichts jetzt in der Urteils-Begründung. Auch sei nicht festzustellen gewesen, ob das Kind auch in der Nacht im Bett beaufsichtigt werden musste. „Das müssen wir im Zweifel für den Angeklagten berücksichtigen“, so die Kammer.
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Allerdings hatte der Angeklagte in seinem Teil-Geständnis (die Vergewaltigungen hat er bestritten) sich damit entschuldigt, dass das Kind ja neben ihm Bett gelegen habe und der Übergriff „naheliegend“ gewesen sei. Dies ließ die Kammervorsitzende nicht gelten: „Sie sollten ein Auge auf das kranke Kind haben, aber sich nicht neben sie legen.“
Das Mädchen war vier Jahre alt gewesen, als bei ihr die Autoimmun-Erkrankung entdeckt worden war: Neben den Anfällen, war sie besonders lichtempfindlich, musste zum Schutz immer Sonnenbrille und ein Käppi tragen. Sie ging in eine Förderschule, durfte möglichst nicht alleine sein, auch nachts sollte sie wegen der bewusstlosen Zustände immer überwacht werden.
Deswegen war die Ankunft des Großvaters im Jahr 2017 „hochwillkommen“ gewesen: Seine Tochter, die die Erziehung von drei chronisch kranken oder schwierigen Kindern alleine meistern musste, hatte den gelernten Dachdecker in ihrem Haus aufgenommen. Sie sei „froh über die Entlastung“ gewesen. Erst als sich die Anfälle des Kindes drei Jahre später dramatisierten, erfuhr sie von der mittlerweile 13-Jährigen vom „Geheimnis“ - und zeigte ihren Vater sofort an. Die Folgen sind bis heute dramatisch: Das Mädchen leidet unter Schreianfällen, Angstzuständen und „Panik vor Männern, die aussehen wie ihr Großvater“.
Das Gericht in Bonn verurteilte den 62-Jährigen wegen sexuellen Missbrauchs in 15 Fällen
Am Ende fielen die Abwägungen der Kammer zugunsten des Angeklagten stark ins Gewicht: Der haftverschonte 62-Jährige, der selber schwer lungenkrank ist, sei jeden Prozesstag aus dem Norden angereist; schließlich auch, weil die Taten so lange zurückliegen und weil er - wegen der Verurteilung wegen Kindesmissbrauchs - besonders haftempfindlich sei. Im Prozess hatte er zudem einen sehr reuigen Eindruck hinterlassen und seine Scham deutlich gezeigt.
Die 8. Große Strafkammer verurteilte den 62-Jährigen wegen sexuellen Missbrauchs in 15 Fällen, davon sieben schwere sowie wegen Anfertigen von Missbrauchsdarstellungen diesmal zu sieben Jahren und 11 Monaten Haft verurteilt. Darüber hinaus muss er dem Kind 30.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Damit bleibt das Bonner Landgericht erneut weit unter dem Antrag der Staatsanwältin, die elf Jahre und 5 Monate Haft gefordert hatte.