Warten auf gar nichtsDeutsche Bahn streicht S-Bahn-Fahrten

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Wartende Fahrgäste am Gladbacher S-Bahnhof.

Wartende Fahrgäste am Gladbacher S-Bahnhof.

  • Wegen Personalmangels hat die Deutsche Bahn sämtliche Fahrten der S-Bahnlinien der S8, S11, S12 und der S13/19 bis Montag gestrichen.
  • Die Fahrgäste sind sauer, die Bahn in Erklärungsnot.

Sie wartet auf einen Zug, der nicht kommen wird. Immer wieder sieht die junge Frau hoch zur Anzeigetafel am Bahnhof in Bergisch Gladbach. Die nächste Fahrt der S11 in Richtung Düsseldorf fällt aus, steht da. Wie lange sie schon wartet? Sie seufzt. „Lange. Aber es kommt einfach kein Zug.“ Dass das bis mindestens Sonntag auch so bleibt, habe sie nicht gewusst, sagt sie.

Auch nicht, dass es Taxis oder später Busse geben soll, die die ohnehin schon von regelmäßigen Ausfällen und Verspätungen gebeutelten Bergisch Gladbacher nach Köln bringen sollen. Und damit ist sie nicht allein. Eine andere Frau bedankt sich im Gespräch für den Hinweis der Reporterin. „Wie soll man davon erfahren?“, fragt sie und klingt wütend dabei. „Es gibt hier keine Infos. Gar nichts.“

S-Bahn-Netz: Der Fall Bergisch Gladbach

Ausfälle und Verspätungen sind auf der Strecke der S11 keine Seltenheit: Eigentlich fährt alle 20 Minuten eine Bahn von Bergisch Gladbach nach Köln. Doch die Strecke ist bis Köln Dellbrück eingleisig, sodass immer nur ein Zug dort unterwegs sein kann. Wenn es dann zu den üblichen „Verzögerungen im Betriebsablauf“ bei der Deutschen Bahn kommt, ist es nicht unüblich, dass Bahnen der S11 nur bis Dellbrück fahren und dann umkehren, zurück nach Köln. Oder sie fahren gar nicht.

Ein Problem für die beliebte Pendlerstrecke, dem die Bahn in Zukunft mit einem zusätzlichen Gleis begegnen will. Durch das neue Gleis, das hier entstehen soll, kann zu Stoßzeiten alle fünf Minuten und sonst alle zehn Minuten eine Bahn fahren. Außerdem sollen dadurch auch zwei neue S-Bahn-Linien angeschlossen werden.

Wann mit dem Bau begonnen wird, ist nach Auskunft des Nahverkehr Rheinland (NVR) noch nicht absehbar. Auf der Website heißt es, die Vorplanung sei abgeschlossen. Die Ergebnisse werden ausgewertet. Nach dem Ende des folgenden Planfeststellungsverfahrens ließe sich der Baubeginn abschätzen. (ebu)

Warum das so ist, „das kann ich so ad hoc auch nicht sagen“, so ein Sprecher der Deutschen Bahn am Freitagvormittag. Dass ein ganzes Netz komplett lahmgelegt werde, habe er so auch noch nicht erlebt. „Das ist eine sehr ärgerliche Momentsituation.“ Und trotzdem: Es bleibe nicht mehr, als sich für kurzfristigen Ausfälle zu entschuldigen, sagt er. Es gebe ja noch genug Alternativen, auf die die Fahrgäste umsteigen können. „Zugegeben, im ländlicheren Raum ist es jetzt schon schwierig , eine Verbindung zu finden, aber der Autoverkehr in NRW macht ja auch oft keinen Spaß.“

„Als ich von den Ausfällen gehört habe, konnte ich es kaum glauben“; sagt Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn. „Vom Kölner S-Bahn-Netz ist nichts mehr von da.“ Dass nicht einmal eine Mindestabdeckung in Form eines Notfallplans stattfinde, sei „schlicht und einfach unverhältnismäßig“, sagt Ebbers . Selbst bei den Streiks habe es einen Fahrplan gegeben, der die wichtigsten Verbindungen abdeckte.

Bahn schreckt Bestandskunden ab

Die kurzfristige Streichung werde der Bahn schaden. „Das wird nicht nur diejenigen abschrecken, die durch das 9-Euro-Ticket gerade erst den Bahnverkehr entdeckt haben, sondern vor allem langjährige Bestandskunden. Die sagen dann: Jetzt habe ich endgültig die Faxen dicke, das war’s.“ Das Wichtigste für den Fahrgast sei eben, dass er planen könne, so Ebbers „Ausfälle an sich sind nicht so schlimm, solange es Alternativen gibt und die kommuniziert werden.“

Wenn das nicht passiert, sei es wahrscheinlich, dass gerade Abonnenten aussteigen. „Damit fällt die Nutzerfinanzierung weg, und die ist eine wichtige Einnahmequelle.“ Dabei haben gerade die Bestandskunden in der Corona-Zeit der Bahn weiter die Treue gehalten, sagt Ebbers. „Wenn das so weitergeht, können wir das Wort „Verkehrswende“ aus unserem Wortschatz streichen.“

Lust mit dem Zug unterwegs zu sein, hatten am Freitagmorgen die wenigsten. „Wenn die wollen, dass Menschen dauerhaft auf die Bahn umsteigen, muss das anders laufen“, sagt eine Frau, die in Troisdorf aus dem RE9 steigt. Die Kommunikation sei eine Katastrophe. Ein anderer schildert, dass durch den Wegfall der S12 und der S19 viele auf den Regionalzug umsteigen müssen. Der RE9 sei „voll wie ein Viehtransport“ gewesen. Er sieht die Bahn und deren Krisenmanagement in der Verantwortung, die Obere Sieg werde durch die Ausfälle quasi abgehängt. Er spricht von einem „Komplettversagen“ seitens der Deutschen Bahn. Er sieht nicht nur Corona als Grund für den hohen Krankenstand. „Ich habe das Gefühl, es ist ein Hilferuf von Bahnmitarbeitern, die völlig überarbeitet sind.“

Das sagt auch Ebbers vom Fahrgastverband . „Mir kann keiner sagen, dass die alle krank sind.“ Die Bahn versuche, ihre üppigen Überstunden abzubauen, so sei seine Vermutung. „Das ist der Versuch eines Befreiungsschlags.“ Ihm werde immer öfter von schlechten Arbeitsbedingungen und Betriebsklima berichtet. Wenn das nicht stimme, sei der Krankenstand ja bekannterweise höher. „Zu diesen Vorwürfen kann und will ich mich heute nicht äußern“, sagt wiederum der Sprecher der Bahn und klingt etwas wütend dabei.

Am Freitagnachmittag ist es am Kölner Hauptbahnhof ruhig, die S-Bahn-Gleisen sind leer gefegt. Die Information, dass die Linien S8, S11, S12 und S13/19 bis Sonntag entfallen, hat sich schnell verbreitet. Durchsagen und Anzeigetafeln weisen auch die letzten Unwissenden daraufhin, dass sie auf alternative Verbindungen, etwa den Schienenersatzverkehr, ausweichen müssen. Hier wartet niemand auf einen Zug, der nicht kommt. (mit cfs/seb/lil)

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