Nach elf Jahren RegionalligaTraditionsverein Alemannia Aachen kehrt zurück in den Profifußball

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Ist wieder ein Zuschauermagnet: Der Aachener Tivoli.

Ist wieder ein Zuschauermagnet: Der Aachener Tivoli.

Nach elf Jahren Siechtum in der Regionalliga und zwei Insolvenzen kehrt Traditionsclub Alemannia Aachen in den deutschen Profifußball zurück. Am kommenden Samstag soll gefeiert werden.

Der Mann, bei dem bei der Auferstehung von Alemannia Aachen alle Drähte zusammenlaufen, kommt dieser Tage kaum zum Atemholen. Eine Sitzung jagt die nächste. Aber Sascha Eller würde als Geschäftsführer und Sportdirektor jetzt bestimmt nicht klagen, wartet am Wochenende doch die Belohnung für die viele Arbeit der vergangenen Jahre. Bei 14 Punkten Vorsprung als Tabellenführer der Regionalliga West ist der Aufstieg nur noch Formsache. Auch Eller freut sich auf die „große Sause“; die Leute sollen „ihren Gefühlen freien Lauf lassen“. Sollte der Verfolger Wuppertaler SV bereits am Freitag bei Fortuna Köln patzen, könnten die Feierlichkeiten auf der Couch beginnen. Schöner wäre es allerdings, die ersehnte Rückkehr in den Profifußball nach elf schwierigen Jahren im Heimspiel am Samstag gegen den Tabellendritten 1. FC Bocholt perfekt zu machen.

Der Tivoli mit seinen fast 33.000 Plätzen wird aus allen Nähten platzen. Der Heimbereich ist ausverkauft, nun wird mit dem Gast verhandelt, auch dessen Kontingente noch zu veräußern. Schon die jüngsten Auftritte hatten 26.000 (gegen Rot-Weiss Ahlen) und 29.500 Zuschauer (gegen Fortuna Köln) verfolgt. Alle wollen wieder zur Alemannia. „Zum Glück haben wir ein so großes Stadion“, sagt Eller und schmunzelt. Wohl wissend, dass das schwarz-gelbe Schmuckkästchen im Sportpark gleich neben dem Reitgelände fürs weltbekannte CHIO Aachen lange als „schlechtes Omen“ galt. Weil Bau und Betrieb dieser Spielstätte den Klub lange wie Ballast erdrückten.

Wir spielen nicht immer den schönsten Fußball, aber wir geben alles.
Sascha Eller, Geschäftsführer und Sportdirektor

Die Pläne stammten noch aus der erfolgreichsten Zeit unter Jörg Schmadtke, der sich 2001 auf eine Stellenanzeige im Fachmagazin „Kicker“ in einer Mischung aus Neugier und Verzweiflung beworben hatte und den Verein erst in die zweite Liga, dann ins Pokalfinale, den Uefa-Cup und die Bundesliga führte. Der inzwischen beim FC Liverpool für Jürgen Klopp arbeitende Manager nennt seine Zeit bei der Alemannia die wichtigste seiner zweiten Karriere. „Ich habe überall was gelernt, am meisten zu Beginn in Aachen.“ Nur: Seiner Freistellung im Herbst 2008 sollte der sportliche Niedergang folgen. Die Einweihung des neuen Tivoli 2009 erlebte der danach in der Bundesliga für Hannover 96, den 1. FC Köln und VfL Wolfsburg tätige Schmadtke schon gar nicht mehr mit.

2012 stieg die Alemannia aus der 2. Bundesliga ab, gleich die Saison danach wurde der ausgeblutete Klub bis in die Regionalliga durchgereicht. Zwei Insolvenzen (2012 und 2017) kosteten eine Menge Glaubwürdigkeit bei Sponsoren und Fans. Es folgten viele vergebliche, oft verzweifelte Anläufe für den Aufstieg. Martin Bader als Geschäftsführer oder Patrick Helmes als Trainer hießen die letzten prominenten Irrtümer. Erst nach der Beförderung von Eller, der zuvor im Klub als Jugendtrainer, Talentkoordinator und Sportlicher Leiter im Nachwuchsbereich arbeitete, kam der Laden wieder richtig ins Laufen.

„Wir waren ganz viel unterwegs, um Vertrauen zu schaffen.“ Seine Vorgänger hatten verbrannte Erde hinterlassen. In vielen Gesprächen warb der 48-Jährige gerade bei den lokalen Firmen um die dringend nötige Unterstützung. Der Sportetat verdoppelte sich vor dieser Saison auf mehr als zwei Millionen Euro, „wir haben einen großen Angriff gestartet und alles daran gesetzt, endlich aufzusteigen.“ Das Wagnis zahlt sich aus. Natürlich hat auch Trainer Heiner Backhaus großen Anteil. „Er passt wie der Topf auf den Deckel“, sagt Eller. „Wir spielen nicht immer den schönsten Fußball, aber wir geben alles.“ Das zusammengewachsene Gefüge soll als Gerüst bleiben. Natürlich auch der bei den Fans nach drei kunstvollen Freistoßtoren gegen den Hauptkonkurrenten Wuppertal zum „Fußball-Gott“ verklärte Torjäger Anton Heinz.

In der 3. Liga geht es erstmal nur um den Klassenerhalt

Die junge Bevölkerung der studentisch geprägten Kaiserstadt erlebt das erste Mal einen solchen Begeisterungssturm durch den örtlichen Fußballverein. Die Anhänger hier, findet Eller, seien „schon ein besonderes Volk“. Er selbst hatte zuvor mehr als zwei Jahrzehnte im Odenwald gelebt, erst beim SV Darmstadt 98, dann beim FSV Frankfurt in der Jugend gearbeitet, später Wormatia Worms trainiert. Er gibt mit seiner fußballerischen und kaufmännischen Ausbildung genau jenen fleißigen Tausendsassa, den es gebraucht hat, um dem Siechtum zu entfliehen.

Ein Workaholic, der wie die rund ein Dutzend festangestellten Mitarbeiter in den sehr überschaubaren Strukturen kein Problem damit hat, 60 bis 80 Stunden die Woche auf der Geschäftsstelle zu arbeiten. Wegen der Randlage bezeichnet er die Alemannia zwar zuweilen als „Klein-Gallien“, doch das Dreiländereck bietet in Zeiten offener Grenzen natürlich auch Chancen. Die Freundschaft mit Roda Kerkrade in den Niederlanden, die deutsch-belgischen Beziehungen – vielleicht kann das zur positiven Entwicklung beitragen. Der Geschäftsführer weiß, dass auch die 3. Liga eine „kostenintensive Spielklasse“ sein wird; dass es bei einem Budget unterhalb von fünf Millionen Euro erstmal nur ums Überleben geht. Aber Spiele gegen den 1. FC Saarbrücken, TSV 1860 München oder Dynamo Dresden sind genau das, was die Alemannia bei ihrer Auferstehung jetzt braucht.

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