100 Jahre Olympische WinterspieleDrei Generationen der Kölner Haie im Rundschau-Gespräch

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Rainer Philipp, Mirko Lüdemann und Moritz Müller

Insgesamt acht Teilnahmen bei Olympischen Winterspielen: (v.l.): Mirko Lüdemann, Rainer Philipp und der aktuelle Haie-Kapitän Moritz Müller. KEC

100 Jahre Olympische Winterspiele bringen drei Generationen Spieler der Kölner Haie zusammen.

Rainer Philipp, Mirko Lüdemann und Moritz Müller plaudern mit Bernd Eyermann und Martin Sauerborn über ihre Teilnahme bei insgesamt acht Winterspielen. Eishockey gehört von Anfang zum olympischen Programm. 1932 und 1976 gab es für Deutschland Bronze, 2018 sogar Silber.

Herr Philipp, woran erinnern Sie sich besonders gern, wenn Sie an Ihre Olympiateilnahmen denken?

Rainer Philipp: Natürlich an die Bronzemedaille 1976 in Innsbruck. Aber direkt danach an Sapporo 1972. Für mich waren das die schönsten Spiele.

Warum?

Philipp: Weil es meine ersten waren und die Atmosphäre so schön war. Wir sind aufgenommen worden, als wären wir einheimische Sportler, die Menschen in Japan waren so herzlich. Wir sind überall in der Stadt vorgelassen worden.

Sportlich lief es nicht so gut. Sie durften nicht um die Medaillen spielen.

Philipp: Wir haben das Ausscheidungsspiel gegen Polen 0:4 verloren und dann nur um Platz 7 gespielt. Und dann hatten wir Pech, weil Alois Schloder wegen Dopings disqualifiziert wurde. Der konnte gar nichts dafür. Wenn andere Spieler getestet worden wären, dann wären die dran gewesen. Unser Mannschaftsarzt hatte an uns ein paar Pillchen verteilt.

Was waren das denn für Pillchen?

Philipp: Da war Ephedrin drin und das stand auf der Dopingliste. Uns ging es nach dem langen Flug schlecht. Wir waren 24 Stunden unterwegs, konnten wenig schlafen und sind erst auf den letzten Drücker angekommen. Da wollte er uns etwas Gutes tun.

Sie können ja vergleichen, wie es in späteren Jahren war.

Philipp: In Lake Placid 1980 war es ganz anders. Da lag das olympische Dorf, das später ein Jugendgefängnis wurde, mitten im Wald, so dass wir immer den Shuttlebus nehmen mussten. Außerdem lagen die Wettkampfstätten weit auseinander. Zentral war nur die Eishalle. Nebenan stand ein alter Saloon, wie man den aus Cowboy-Filmen kennt. Da konnte man sich auch mal eine Dose Bier kaufen. Der war immer voll, für uns war das ein Treffpunkt.

Rainer Philipp, Mirko Lüdemann und Moritz Müller

Haie-Kapitän Moritz Müller, Mirko Lüdemann und Rainer Philipp (v.l.) im Rundschau-Gespräch

Auf dem Eis hatten Sie nichts zu melden.

Philipp: Wir hatten eine schlechte Mannschaft. Unser Trainer Hans Rampf hatte sich mit Alois Schloder und Erich Kühnhackl verkracht, so dass die beiden gar nicht mitgefahren sind. Wir haben direkt eine Klatsche gegen Rumänien bekommen. Da war die Stimmung ganz unten.

Lüdemann: Rumänien, das ist ja auch eine Weltmacht im Eishockey (alle lachen).

Philipp: Gegen die Amerikaner haben wir dann überraschend gut gespielt und nur knapp verloren (2:4). Die haben danach ja sensationell die Goldmedaille gewonnen...

...was als Miracle on Ice in die Sportgeschichte eingegangen ist. Haben Sie den Sieg der USA gegen die Sowjets in der Halle erlebt?

Philipp: Da waren wir dabei. Die Amerikaner sind nur gerannt, die waren überall auf dem Eis. Die Russen wussten wirklich nicht, was sie machen sollten.

Lüdemann: Die Amerikaner hatten vielleicht auch Ephedrin im Blut (alle lachen).

Herr Müller, denken auch Sie zuerst an die Medaille, Ihr Silber 2018, wenn Ihnen Olympia in den Sinn kommt?

Müller: Für mich war es ein Kindheitstraum, einmal bei Olympischen Spielen dabei zu sein, das olympische Dorf zu sehen und die Eröffnungsfeier mitzumachen. Die habe ich total genossen. Es war sehr kalt und alle waren ein bisschen angefroren. Aber als ich da eingelaufen bin, hatte ich das Gefühl, jetzt habe ich es geschafft. Das war ein Gänsehautgefühl. Auch ohne die Medaille wäre es ein Traum gewesen. Schön, dass er in Erfüllung gegangen ist.

Wie hat sich der Traum angefühlt? Was haben Sie mitgenommen von den Spielen?

Müller: Ich habe versucht, so viel wie möglich mitzumachen, bin zu anderen Wettkämpfen gegangen, war im deutschen Haus und habe mich viel mit anderen Sportlern unterhalten.

Ist die Atmosphäre bei Olympia anders als bei einer Weltmeisterschaft?

Müller: Ja schon. Im olympischen Dorf herrscht eine ganz besondere Stimmung, viel Energie, eine positive Grundeinstellung, man ist sehr aufgeschlossen füreinander.

Das deutsche Team hat 2018 in Pyeongchang mit 14 Goldmedaillen so erfolgreich wie nie zuvor abgeschnitten. War das so ein besonderes deutsches Team, ein besonderes deutsches Haus?

Müller: Es war schön, die Erfolge der anderen Sportler mitzufeiern. Wenn jemand vier Jahre oder ein ganzes Leben auf so einen Event hintrainiert, dann sein Ziel erreicht und gefeiert wird, ist das ja auch ein ganz besonderes Gefühl. Sportler können vielleicht noch mehr nachvollziehen, wie besonders das ist.

Haben Sie von den anderen Sportlern auch was gelernt, wie die trainieren, sich vorbereiten?

Müller: Bei einer der Feiern im deutschen Haus waren die österreichischen Bobanschieber dabei. Einer von denen hat eine dieser massiven bayerischen Holzbänke die Treppe runter geworfen. Ich wusste gar nicht, dass man die überhaupt anheben kann. Was die Männer für Kräfte hatten (alle lachen).

Lüdemann: Die Feiern im deutschen Haus waren immer schon legendär.

Sie waren 1994 in Lillehammer, 1998 in Nagano und 2002 in Salt Lake City dabei.

Lüdemann: Ich erinnere mich an Schorsch Hackl. Der hat an den ersten drei, vier Tagen Gold oder Silber geholt und danach jeden Tag gefeiert. Der hat die zwei Wochen Olympia immer voll ausgekostet (lacht). Das eine oder andere Bierchen hat man da gern mitgetrunken, wenn es der Zeitplan zugelassen hat.

Sie mussten ja in der Regel jeden zweiten Tag spielen.

Lüdemann: Nach den Spielen konnte man schon noch auf einen Absacker vorbeigehen. Und wenn wir gewonnen hatten, wurde es vielleicht auch ein bisschen mehr.

Müller: Man darf ja nicht vergessen, dass Mirko Lüdemann Deutschland zu den Olympischen Spielen 2002 geschossen hat.

Lüdemann: Das ist nicht ganz richtig, ich habe die Mannschaft nur zur nächsten Qualifikationsrunde geschossen.

Aber wenn Sie im Spiel gegen Italien acht Sekunden vor Schluss nicht das 2:1-Siegtor erzielt hätten, wäre die Mannschaft schon nach dem ersten Qualifikationsturnier ausgeschieden und nicht in Salt Lake City dabei gewesen.

Lüdemann: Klar, das war schon ein besonderes Glücksgefühl. Bei den Spielen selbst wäre ich dann beinahe gar nicht dabei gewesen. Ich war vorher verletzt und bin in den Kader gekommen, weil sich Jörg Mayr im ersten Spiel einen Kieferbruch zugezogen hat.

Es hat sich viel verändert in den vergangenen 50 Jahren. Die Spiele sind größer und kommerzieller geworden. In jüngster Zeit fanden sie auch nicht mehr in klassischen Wintersportnationen statt. Wie sehen Sie das?

Müller: Die Spiele von Peking während der Corona-Zeit waren für mich eine Enttäuschung. Es war von der Atmosphäre her sehr kalt und ungemütlich. Man hat keinen Kontakt zur Außenwelt gehabt. Wir waren wie einkaserniert. Es ging mit dem Bus zur Halle und wieder zurück zum Dorf. Die Menschen, die da waren, hatten drei Masken auf. Da ist kein olympisches Gefühl aufgekommen. Korea vier Jahre vorher war anders. Die Spiele konnte ich genießen.

Lüdemann: Ich hatte immer das Gefühl, dass wir überall willkommen sind. Das Problem in Japan 1998 war, dass die Wettkampfstätten verstreut lagen. In Norwegen vier Jahre vorher war alles kompakt.

Die Winterspiele 1994 in Lillehammer gelten als die stimmungsvollsten überhaupt. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Lüdemann: Ich war mit 20 noch recht jung, habe mich im ersten oder zweiten Spiel verletzt und dann einen auf Olympia-Tourist gemacht, bin morgens los und habe mir alles angeguckt, was es gab. Das war schon toll, die Sportler alle zu sehen. Die Eiskunstläuferinnen, die Biathleten, den Jens Weißflog, die alle ihre Medaillen gewonnen haben. Da war immer schön Party.

Philipp: Bei Euch waren das ja ganz andere Dimensionen. In Sapporo bestand das ganze Team mit Trainern und Betreuern nur aus 100 Leuten. Heute sind es ja bestimmt mehrere hundert.

Erinnern Sie sich auch an Kontakte mit Sportlern aus Ländern, wo so etwas nicht gern gesehen war?

Philipp: Im olympischen Dorf waren wir neben der DDR untergebracht. Wenn die Offiziellen dabei waren, war es schwierig, aber in der Stadt haben wir uns schon getroffen.

Müller: Wir haben ja mit vielen Athleten Pins getauscht. Das wollte ich auch mit den Nordkoreanern machen. Die saßen am Tisch immer zusammen und hatten Offizielle dabei. Zudem standen etwas weiter weg zwei von der Security, damit keiner abhaut. Irgendwann bin ich hin und habe gefragt. Da sagt einer auf Deutsch: „Wir tauschen keine Pins.“ Der hatte wohl mal in der DDR gelebt. Am nächsten Tag hat er mir doch einen gegeben.

Haben Sie den Pin behalten?

Müller: Ja, den habe ich noch.

Wie ist es mit der olympischen Ausrüstung. Haben Sie die noch als Souvenirs?

Philipp: Ja, die Ausgehjacke von 1976.

Lüdemann: Ich habe nichts aufgehoben, denn für mich war ja immer klar: In vier Jahren fahre ich zur nächsten Olympiade (lacht).

Müller: Ich habe viele Sachen behalten. Mir hat es auch viel bedeutet, zur Einkleidung zu gehen. Wenn ich manche T-Shirts sehe, dann erinnere ich mich an die Spiele. Ich würde sie nie wegwerfen.

Herr Philipp, Sie haben zu Beginn die so sensationelle Bronzemedaille 1976 angesprochen. Wie war das, als das letzte Spiel zu Ende war und Sie dachten, es reicht nicht?

Philipp: Wir saßen zu Tode betrübt in der Kabine, weil wir gegen die USA nur 4:1 gewonnen hatten. Wir wussten, dass mit einem Tor mehr die Medaille sicher gewesen wäre. Da kommt ein Offizieller rein und sagt: „Ihr habt die Bronzemedaille.“ Da haben wir gesagt: „Der hat sie nicht mehr alle.“ Als die Betreuer dann mit Bier, Sekt und allem Möglichen reinkamen, wussten wir, dass es stimmte.

Am Ende hatten drei Teams 4:6 Punkte, so dass die Spiele untereinander zählten. Da hatten alle 2:2 Punkte. Als Entscheidungskriterium wurden dann nicht die Tordifferenz oder die Anzahl der mehr erzielten Tore herangezogen, sondern der Quotient. Und da war Ihr 7:6 besser als das 9:8 der Finnen.

Philipp: Man muss fairerweise sagen, dass wir da auch keine tolle Mannschaft hatten. Die Vorbereitungsspiele gegen Polen hatten wir vergeigt, so dass IOC-Präsident Willi Daume uns gar nicht mitnehmen wollte. Unsere Teilnahme stand auf der Kippe. Wir waren ja schon froh, wenn wir gegen die Sowjetunion nicht mit mehr als zehn Toren Unterschied verloren. Irgendwann haben wir mal 26:1 auf den Senkel bekommen. Das war nicht gerade aufbauend (alle lachen). Wenn Schweden und Kanada bei Olympia gewesen wären, hätten wir gar keine Chance gehabt.

Aber dann haben Sie Bronze geholt und waren bei den Spielen aus deutscher Sicht neben Rosi Mittermaier das Highlight.

Philipp: Das haben wir dann auch mit der ganzen deutschen Mannschaft kräftig gefeiert. Aber ich muss auch sagen: Wenn ich Euch, Moritz, heute so sehe, welches Tempo Ihr habt und mit welcher Athletik Ihr spielt, das ist doch was ganz anderes als früher.

Womit wir bei der anderen Medaille wären. Ihr Silber 2018, Herr Müller, war noch sensationeller als Bronze 1976. Wie sind Sie in den Flow gekommen?

Müller: Die Geschichte fängt eigentlich früher an. Das deutsche Eishockey kam aus einer etwas schwierigeren Zeit mit einigen Kanadiern in den Mannschaften und gleichzeitig deutschen Spielern, die kaum tragende Rollen hatten. Marco Sturm wurde 2015 Bundestrainer und hat uns neues Selbstvertrauen gegeben. Er hat nicht akzeptiert, dass wir so viel verlieren und uns den Glauben an uns selbst zurückgegeben. Begonnen hat es bei der WM in Russland 2016, als wir im Viertelfinale nur 1:4 gegen die Gastgeber verloren. Wir waren happy, dass wir es so knapp gehalten haben, aber er war total enttäuscht. Bei der Heim-WM 2017 haben wir gegen Kanada im Viertelfinale 1:2 verloren und waren selbst enttäuscht.

Dazwischen, im September 2016, lag die Olympia-Qualifikation.

Müller: Vom Talent her war das die beste deutsche Mannschaft, in der ich je gespielt habe. Leon Draisaitl war dabei, Tom Kühnhackl, Philipp Grubauer im Tor. Wir mussten in Riga Lettland schlagen. Das haben wir mit 3:2 geschafft. Vorher kam ein Offizieller rein und sagte: „Wenn wir das Spiel nicht gewinnen, verlieren wir die Förderung vom DOSB.“ Man konnte die Luft schneiden, so viel Druck war da. Als wir es geschafft hatten, war die Erleichterung groß, überhaupt einmal an Olympischen Spielen teilnehmen zu können und dieses Erlebnis voll auszukosten. Wir waren ja 2014 nicht dabei. Gleichzeitig war dieser Reifeprozess im Kopf da, um zu sagen: Wenn wir schon da sind, dann lasst uns probieren, etwas zu gewinnen.

Und das ist Ihnen gelungen.

Müller: Wir haben in der Vorrunde zwar gegen die Finnen 2:5 und die Schweden 0:1 verloren, aber auch schon gut gespielt. Dann kam das Glück dazu: Gegen die Norweger haben wir im Penaltyschießen gewonnen, dann im Achtelfinale gegen die Schweizer 2:1 und im Viertelfinale gegen die Schweden 4:3 jeweils nach Verlängerung. Die Spiele hätten auch anders ausgehen können. Im Finale hatten wir das Glück dann nicht. 55,5 Sekunden vor Schluss erzielten die Russen den 3:3-Ausgleich.Müller: Aber vorher hatten wir das Glück. Sonst wären wir ja gar nicht dahin gekommen.

Morgens um 5 Uhr saß halb Deutschland vor dem Fernseher und fieberte beim Finale mit. Hat Sie das als Mannschaft stolz gemacht?

Müller: Total, es hat mein Leben verändert. Es hat geholfen, Eishockey-Deutschland wieder mehr in den Mittelpunkt der Sportwelt zu rücken. Die Nachrichten, die wir bekommen haben und der Empfang zu Hause – das war etwas ganz Besonderes.

Kritiker sagen zuweilen, dass das nur möglich war, weil die NHL-Stars nicht dabei waren.

Müller: Als Sportler kann man nur gegen die antreten, die da sind. Klar, es wäre schwer geworden, wenn die Besten der Besten dabei gewesen wären. Aber es ändert nichts an der Wertigkeit einer Olympiamedaille.

Philipp: Ich habe bewundert, dass Ihr als Mannschaft so gewachsen seid. Das war bei uns 1976 ähnlich. Wir standen auch unter Druck und sind gewachsen, bis wir die Medaille hatten.

Wie fänden Sie es, wenn Olympische Spiele nochmal in Deutschland stattfinden würden?

Lüdemann: Wenn ich noch Sportler wäre, würde ich sagen: Nein. In Deutschland spielt man die ganze Zeit, da will man auch mal woanders hin. Außerdem müsste man hier die Infrastruktur schaffen und das für das eine Mal? Vermutlich würde da eine Kosten-Nutzen-Bilanz nicht positiv ausfallen.

Müller: Ich fände es super. Es würde Sport-Deutschland guttun. Und ich glaube auch, dass man die Wettkampfstätten nach den Spielen hier besser nutzen würde als zum Beispiel in China, wo Skigebiete in die Wildnis gebaut wurden.

In zwei Jahren finden die Winterspiele in Mailand und Cortina d'Ampezzo statt.

Müller: Da freue ich mich für alle, die dabei sind. Ein absolutes Highlight.

Wäre das noch etwas für Sie?

Müller: Ich denke, eher nicht. Ich bin in einem Alter, da schaue ich von Tag zu Tag. Philipp: Aber Du bist doch noch topfit. Ich sehe ja, wie gut Du spielst. Ich trau Dir das zu.

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