Noch vor der Sommerpause will der Bundestag über eine gesetzliche Regelung entscheiden. Zwei Entwürfe stehen zur Abstimmung. Wie die ausgehen könnte, ist allerdings offen. Das Thema bleibt umstritten.
Rundschau-Debatte des TagesKommt jetzt der Durchbruch bei der Sterbehilfe?

Ein Altenpfleger hält in einem Pflegeheim die Hand einer Frau. Mehr als zwei Jahre nach einem wegweisenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts befasst sich der Bundestag am Freitag mit konkreten Vorschlägen zur Regelung der Sterbehilfe in Deutschland.
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In die Diskussion über gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe in Deutschland kommt Bewegung. Zwei Abgeordnetengruppen im Bundestag haben ihre Initiativen jetzt zu einem gemeinsamen Entwurf zusammengeführt, wie sie am Dienstag in Berlin mitteilten. Renate Künast (Grüne) sagte: „Ausgangspunkt ist, dass eine Regelung nicht ins Strafgesetzbuch gehört.“ Katrin Helling-Plahr (FDP) betonte: „Suizidhilfe in Deutschland braucht Menschlichkeit und keine Verbotsgesetze.“ Voraussetzung für die Unterstützung sei, dass der Sterbewunsch „mit innerer Festigkeit, in freier Verantwortung und ohne Druck von außen“ gefasst werde, sagte Lukas Benner (Grüne). Mit ihrem Antrag wollen die beteiligten Abgeordneten verhindern, dass sich im Bundestag die Anhänger einer restriktiven Linie durchsetzen. Deren Antrag liegt bereits vor. Zu einer Abstimmung ohne Fraktionsvorgaben könnte es noch im Juli kommen.
Die Ausgangslage
Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 2020 ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hatte, da es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzte. Dabei hat „geschäftsmäßig“ nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet „auf Wiederholung angelegt“. Das wegweisende Urteil stößt eine Tür für organisierte Angebote auf – ausdrücklich auch mit Regulierungsmöglichkeiten wie Beratungspflichten oder Wartefristen.
Der kombinierte Vorschlag
Der neue gemeinsame Gesetzentwurf sieht vor, dass Ärztinnen und Ärzte Volljährigen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben „aus autonom gebildetem, freiem Willen“ beenden möchten. Dazu sollen aber Voraussetzungen zu Beratung und Aufklärung geregelt werden. Entsprechende Arzneimittel sollen frühestens drei Wochen und höchstens zwölf Wochen nach der Beratung verordnet werden dürfen. Das Gesetz solle „eine unwürdige, unzumutbare und nicht von freiem Willen getragene Umsetzung des Sterbewunsches verhindern“. Gewährleistet werden soll ein sicherer Zugang zu Arznei- und Betäubungsmitteln.
Die Länder sollen ein „ausreichendes Angebot an Beratungsstellen“ sicherstellen. Der Bundesrat müsste dem Gesetz daher zustimmen. „Die Beratung ist ergebnisoffen zu führen, darf nicht bevormunden und muss vom Grundwert jedes Menschenlebens ausgehen“, heißt es im Entwurf. Für Beratungen soll es eine Bescheinigung geben. Vorgesehen ist auch eine Härtefallregelung, wenn Suizidwillige in einem „existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen“ sind, die sie in der gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. Dann sollen Ärzte auch ohne Beratungsbescheinigung Arzneimittel verordnen können, wenn ein zweiter Arzt es ebenfalls so einschätzen.
Die strengere Variante
Die neue Vorlage positioniert sich gegen einen restriktiveren Gesetzesentwurf einer Abgeordnetengruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU). Sie will eine geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe zu stellen – aber mit einer Ausnahme für Volljährige. Um deren freie Entscheidung zum Suizid ohne Druck festzustellen, sollen in der Regel zwei Untersuchungen durch einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende ergebnisoffene Beratung vorgegeben werden.
Das weitere Vorgehen
Über eine mögliche Regelung soll voraussichtlich in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im Bundestag abgestimmt werden, wie es hieß. Welcher Vorschlag im Plenum letztlich eine Mehrheit finde, sei schwer zu prognostizieren, sagte Helling-Plahr. Ihre eigene Gruppe sei aber „gut aufgestellt, was die Unterstützerzahl angeht“. Sie will auch um Unterstützung aus der Unionsfraktion werben, die an der Ausarbeitung des Vorschlags nicht beteiligt war. Castellucci betonte: „Der Zugang zum assistierten Suizid sollte ermöglicht und klar geregelt werden, ohne daraus ein Modell zu machen. Kein Mensch ist überflüssig.“ Einen wirksamen Schutz des freien Willens aller Menschen biete nur der Gesetzentwurf seiner Gruppe. (dpa/mit afp)
Prävention
Zusätzlich zu den beiden Entwürfen setzen sich in einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag zahlreiche Abgeordnete für eine Stärkung der Suizidprävention ein. Sie fordern eine Enttabuisierung von Suizidgedanken durch mehr Information und Aufklärung. Der Selbstmordgefahr müsse vorgebeugt werden, etwa durch Armutsbekämpfung und Konzepte gegen Vereinsamung. Vorgeschlagen wird auch ein bundesweiter Präventionsdienst, der Menschen mit Suizidgedanken rund um die Uhr online Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht. (kna)
Reaktionen
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, wandte sich gegen ein Gesetz für eine organisierte Sterbehilfe. Die Selbstbestimmung der Sterbewilligen und der Schutz vor Fremdbestimmung seien viel zu komplex, um sie in Paragrafen zu pressen, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben forderte, eine Medikamentenabgabe an erwachsene Sterbewillige ohne Pflichtberatung zu ermöglichen. „Was für die Menschen wichtig ist: dass sie sich auf einen Notausgang verlassen können“, sagte Präsident Robert Roßbruch dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Zentralrat der Konfessionsfreien appellierte an die Bundestagsabgeordneten, dem neuen Vorschlag nicht zuzustimmen. „Keiner der vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Suizidhilfe ermöglicht echte Selbstbestimmung am Lebensende“, sagte der Vorsitzende Philipp Möller unserer Redaktion. Es fehlten wichtige Voraussetzungen für eine humane und effektive Regelung, so ein wirksames Präventionskonzept, die Vermeidung gewaltsamer Suizide und die Schaffung von Angeboten zur Suizidhilfe. (dpa/swi)