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Interview

Ökonom zum Boomer-Soli
Müssen Ältere einen größeren Beitrag leisten?

5 min
„Ich habe nichts gegen Boomer, aber...“: Die Vorschläge von Ökonom Marcel Fratzscher polarisieren.

„Ich habe nichts gegen Boomer, aber...“: Die Vorschläge von Ökonom Marcel Fratzscher polarisieren.

Ökonom Marcel Fratzscher hat zuletzt mit seinen Vorschlägen zum Boomer-Soli und einem sozialen Pflichtjahr für Rentner Aufsehen erregt. Im Interview erklärt der DIW-Chef, warum er Boomer so stark in die Pflicht nehmen will.

Marcel Fratzscher ist der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Zwei seiner Vorschläge haben jüngst Aufmerksamkeit erregt. Etwa der „Boomer-Soli“, eine Abgabe von zehn Prozent auf Renten und Pensionen über einem Freibetrag von 1000 Euro, die in die Rentenkasse fließen soll. Mit dem „sozialen Pflichtjahr für Rentner“ wollte er Ruheständler zudem verpflichten, sich im sozialen Bereich oder der Bundeswehr zu betätigen. Im Interview mit Sören Becker spricht der DIW-Chef über das Thema Generationengerechtigkeit. Sollten Ältere wirklich mehr leisten?

Herr Fratzscher, Sie haben in jüngster Zeit mit dem Boomer-Soli und dem sozialen Pflichtjahr für Rentner einige Vorschläge gemacht, die ältere Menschen belasten würden. Was haben Sie eigentlich gegen Boomer?

Ich habe nichts gegen Boomer, aber ich finde, dass auch sie – und nicht nur die junge Generation – einen größeren Beitrag in dieser schwierigen Zeit leisten müssen. Die Belastungen habe ich mir ja nicht ausgedacht, sondern sie sind ohnehin da. Die Frage ist nur, wie sie verteilt werden. Der Boomer-Soli soll etwa Altersarmut bekämpfen, ohne jüngeren Menschen noch mehr Beiträge abzuverlangen. Das geht am klügsten und am gerechtesten, indem man innerhalb der älteren Generation umverteilt und eine Abgabe auf hohe Alterseinkommen einführt. Nichts anderes ist der Boomer-Soli. Auch das soziale Pflichtjahr für Rentner ist eine Idee, um den Personalmangel in der Pflege und anderen sozialen Bereichen zu decken, ohne jüngeren Menschen ein solches Jahr aufzubrummen. Ich bin der Ansicht, dass wir Herausforderungen wie die Finanzierung unserer Sozialsysteme und den Arbeitskräftemangel nur bewältigen können, wenn alle mitmachen. Dabei sollten starke Schultern mehr tragen als schwache.

Die Boomer sind die starken Schultern?

Nicht unbedingt, aber es gibt auf jeden Fall viele starke Schultern unter den Babyboomern. Beim Vermögen zum Beispiel: Es gibt in Deutschland über 10.000 Milliarden Euro in privatem Vermögen. Das ist wahnsinnig viel, ungefähr das dreifache der jährlichen Wirtschaftsleistung. Und der größte Teil davon liegt nun mal bei den Babyboomern. Als Generation sind sie also sehr reich, auch wenn das natürlich nicht auf jeden Einzelnen zutrifft. Hinzu kommt: Viele Menschen, die gerade in Rente gehen, wären noch in der Lage weiterzuarbeiten. Ihre Arbeitskraft wird dringend gebraucht. Also stellt sich die Frage, wie wir Menschen, die arbeiten können und wollen, aktivieren.

Wenn es Ihnen darum geht, die Belastung auf Wohlhabende abzuwälzen, könnte man ja auch eine Steuer auf Vermögen machen und starke Schultern jeden Alters belasten.

Das eine schließt das andere nicht aus. Der Boomer-Soli löst ja auch nicht alle Probleme unserer Gesellschaft. Die gesetzliche Rente verteilt nicht nur von Jung zu Alt, sondern auch von Arm zu Reich um. Ärmere Menschen haben eine sechs bis sieben Jahre kürzere Lebenserwartung. Sie haben also weniger von den Beiträgen, die sie zahlen, und finanzieren damit die höhere Rente für Wohlhabendere mit. So kann ein Sozialstaat nicht funktionieren. Wir müssen also Menschen mit viel Vermögen stärker heranziehen. Etwa über höhere Steuern auf große Vermögen und Erbschaften.

Viele jüngere Menschen haben den Eindruck, dass die ältere Generation in Saus und Braus gelebt hat und sie es nun ausbaden müssen. Stimmt das Ihrer Ansicht nach?

Laut einer Studie der Universität in Bonn glauben 80 Prozent der Deutschen, dass es den künftigen Generationen schlechter gehen wird als uns heute. Und mit Blick auf die Zukunft haben sie wahrscheinlich recht. Beispiel Bildung: Wenn die Eltern nicht studiert haben, werden die Kinder es wahrscheinlich auch nicht tun. Dadurch sind sie von vielen gut bezahlten Karrieren ausgeschlossen. Dieser Zusammenhang ist in Deutschland stärker als in jedem anderen westlichen Land, abgesehen von den USA. Außerdem ist diese Abhängigkeit vom Erfolg der Eltern in den vergangenen Jahrzehnten stärker geworden. Die Aufstiegsmöglichkeiten durch Bildung sind also deutlich schlechter als in der Jugend der Babyboomer.

Schlechtere Aussichten auf ein Eigenheim und hohe Mieten frustrieren viele junge Menschen. Haben die Boomer etwas damit zu tun?

Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Die allermeisten jungen Menschen wohnen zur Miete, während Babyboomer oft ein Eigenheim haben. Die Immobilienpreise sind aber so hoch, dass man ohne reiche Eltern oft keine Chance auf ein Eigenheim hat. Vor 40 Jahren war das deutlich leichter. Ganz zu schweigen vom Krieg in Europa und der zunehmenden Vermögensungleichheit, die ihre ganz eigenen Probleme verursachen.

Der Krieg in Europa und die Vermögensungleichheit ist ja nicht unbedingt die Schuld der Babyboomer.

Es geht nicht um Schuld, sondern um Verantwortung. Die letzten dreißig Jahre waren wirtschaftlich sehr gut. Die Babyboomer haben vieles richtig gemacht. Die Wiedervereinigung war zum Beispiel ein voller Erfolg, wenn man sich anschaut, wie rasant die neuen Bundesländer zu den alten aufgeschlossen haben. Das mag mancher anders sehen, aber der Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Menschen in der ehemaligen DDR Beachtliches geleistet haben. Dennoch muss jede Generation Verantwortung für ihre Taten und Entscheidungen übernehmen. Die Babyboomer haben etwa die Verteidigung unseres Landes schleifen lassen und sich mit dem Geld Steuersenkungen und mehr Sozialstaat gegönnt. Jetzt ist es 2025 und wir haben Krieg in Europa. Die junge Generation muss die Entscheidung von damals heute ausbaden. Denn sie würden bei einer etwaigen Wehrpflicht eingezogen und müssen für die Verteidigungsschulden aufkommen. Das ist nicht nur unfair, sondern auch undemokratisch.

Eine Gruppe von jungen Unions-Abgeordneten will die Verlängerung der Rentengarantie blockieren. Ist das klug?

Ich bin auf der Seite der jungen Abgeordneten. Das Rentenniveau festzuschreiben, wenn es eigentlich sinken müsste, verschärft sowohl die Umverteilung von unten nach oben als auch die von Alt nach Jung. Wenn das aktuelle Rentenniveau aufrechterhalten wird, profitieren davon vor allem die Babyboomer. Sie haben ihre Beiträge ja schon bezahlt und bekommen eine Rente, die mit den Löhnen mitwächst. Die jüngeren Generationen müssen dafür dann über höhere Beiträge oder mehr Staatsschulden aufkommen. Das soll eigentlich über den Nachhaltigkeitsfaktor korrigiert werden, aber die Rentengarantie überschreibt dieses 20 Jahre alte Versprechen. Das ist ein expliziter Bruch des Generationenvertrags.