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Erste Sessionsbilanz 2022/23Das sind die Tops und Flops im Kölner Karneval

Lesezeit 3 Minuten
Köln, RSK, Drummerholics

Noch frisch dabei: Die Drummerholics gehören zu den Neuentdeckungen.

Starke Musik, neue politische Schärfe und Redner, die gerne mutiger werden dürfen: Unser Autor hat Bilanz gezogen zur ganz besonderen Jubiläumssession in Köln.

Der Kölner Karneval feiert Jubiläum, vor 200 Jahren wurde die Reform des Festes begründet. Zum Höhepunkt des Straßenkarnevals ziehen wir Bilanz:

1. Bands mit vielen tollen Liedern

Dass die Musiker von Kasalla schöne Lieder schreiben können, ist nicht neu. Auch ihr Sieg bei der Kneipenveranstaltung „Loss mer singe“ kam nicht überraschend. Bemerkenswert war eher, dass nach zwei Jahren karnevalistischer Zwangspause mit „Sing mich noh Hus“ eine Ballade zum Sessionshit avancierte. Überraschend und wohltuend ist die Entwicklung vieler anderer Bands. Die Räuber haben mit „Wigga Digga“ ihren lang ersehnten Hit gelandet, ein Lied, das sicherlich auch in den nächsten Jahren noch in den Karnevalskneipen gesungen werden wird. Die personelle Verjüngung scheint sich auszuzahlen. Auch „Stadtrand“ um Sänger Roman Lob hat mit „Ahle Kess“ ein Ausrufezeichen gesetzt. Die Drummerholics haben einen ganz neuen Akzent gesetzt. Fazit: Die Musikszene hat die für sie schwierigen Jahre offenbar recht gut verkraftet.

2. Zülpicher Straße bleibt Diskussionsthema

War das jetzt die lang ersehnte Lösung? Bodenmatten im Grüngürtel und die Bespaßung der Jugend auf der grünen Wiese? Das Kwartier Latäng bleibt an den Karnevalstagen Sperrgebiet, der personelle und materielle Aufwand für die Abriegelung eines ganzen Viertels ist immens. Die Idee von einer Ausweichfläche, die nicht im Univiertel liegt, haben viele Karnevalisten und Gastronomen nicht begraben. Die Diskussion wird sich wiederholen, das Für und Wider ebenfalls. Auch das ist inzwischen Brauchtum.

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3. Die Feierlaune ist spürbar zurück

Der Frohsinn ist zurück auf der Straße und in den Kneipen. Nach zwei nahezu karnevalslosen Jahren hat das Fest den Menschen ein lang ersehntes Ventil zum Ausleben aufgestauter Emotionen geboten. Die Jecken haben es genutzt. Doch die Krise ist nicht spurlos am Karneval vorüber gegangen. Vor allem zu Sessionsbeginn waren viele Sitzungssäle nicht gut gefüllt. Einige Sitzungen und Formate wird es wohl künftig nicht mehr geben. Vor allem die kleinen Vereine werden vor der Herausforderung stehen, neue Veranstaltungskonzepte zu kreieren und sie mit den Mitteln moderner Kommunikation zu bewerben. Die Auslese hat begonnen.

4. Starke politische Haltung tut dem Karneval gut

Der Karneval hat mit dem gigantischen Friedensmarsch und 250 000 Teilnehmenden an Rosenmontag des Jahres 2022 ein Ausrufezeichen gesetzt. Nun folgten viele starke Persiflagewagen – Wladimir Putins Bruderkuss mit dem Satan. Putin, der die Welt durch den Fleischwolf dreht, AfD-Politikerin Alice Weidel, die der italienischen Regierungschefin die Stiefel leckt. So viel Klarheit und Schärfe gab es nicht immer zu sehen. Auch die Verantwortlichen des Geisterzugs haben mit ihrer Entscheidung, als politische Demonstration durch die Stadt zu ziehen, an ihre Ursprünge angeknüpft. Das tut der Vielfalt des Karnevals gut.

5. Die Literaten benötigen mehr Mut

Kasalla, Höhner, Cat Ballou, Brings, dazu noch Bernd Stelter, Guido Cantz, Martin Schopps in der Bütt und eine Tanzgruppe fürs Auge - fertig ist die Kölner Standardsitzung. Gerade nach zwei schwierigen Jahren gehen viele Literaten, die das Sitzungsprogramm verantworten, auf Nummer sicher, um das Stammpublikum nicht zu enttäuschen. Doch der Kölner Karneval hat deutlich mehr zu bieten, viele Elemente hiervon lassen sich in alternativen Formaten und Kneipensitzungen finden, wo historisches Liedgut gepflegt und der Obrigkeit deutlich kritischer der Spiegel vorgehalten wird. Der traditionelle Sitzungskarneval ist vielerorts zur weichgespülten Einheitsshow geworden. Das geht besser.

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