Kölner Serie „Spurensuche“Dowstojewski war zunächst vom Kölner Dom enttäuscht

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Kölner Dom dunkle Wolken

„ Spitzen und Spitzen und nichts als Spitzen“: Zunächst war Dostojewski vom Dom nicht sehr erbaut.

  • Wo hat Napoleon genächtigt? Wo stieg Max Schmeling in den Ring? In unserer „Spurensuche“ stellen wir Personen und ihre Zeit in Köln vor.
  • Anselm Weyer begibt sich dieses Mal auf die Spuren von Fjodor M. Dostojewski, der 200 Jahre alt geworden wäre.

Köln – Seit frühester Kindheit hatte Fjodor Michailowitsch Dostojewski vom Ausland geträumt. Dann aber schien es, als würde der 1821 geborene Arztsohn Russland nie verlassen können. Schließlich war der damals 28-Jährige im Jahr 1849 wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten zum Tode verurteilt worden. Erst in letzter Minute wurde seine Strafe von Zar Nikolaus zu Haft und anschließendem Militärdienst in Sibirien abgemildert. Erst im Dezember 1859 würde er nach St. Petersburg zurückkehren. Erst danach bot sich dem 40-jährigen Schriftsteller die Gelegenheit, die Grenzen seiner Heimat zu verlassen.

Viele Städte in kurzer Zeit bereist

Vom 7. Juni bis August 1862 unternahm er seine erste Auslandsreise. Die dabei gewonnenen „ausländischen Eindrücke“ hielt er im darauffolgenden Winter fest, wobei er geradezu über eine Reizüberflutung klagt: „Ich war in Berlin, in Dresden, in Wiesbaden, in Baden-Baden, in Köln, in Paris, in London, in Luzern, in Genf, in Genua, in Florenz, in Mailand, in Venedig, in Wien, und in noch manchen anderen Städten, in manchen sogar zweimal, und alles das habe ich in genau zweieinhalb Monaten bereist!“, schreibt er. „Kann man denn überhaupt etwas richtig erkennen, wenn man in so kurzer Zeit so vieles sieht?“ Kurze Antwort: Nein.

Fjodor Michailowitsch Dostojewski 

Fjodor Michailowitsch Dostojewski 

Dostojewski reiste über Berlin, das ihn zu seiner Enttäuschung „bis zur Unglaublichkeit an Petersburg erinnert“, und Dresden nach Köln. Obwohl er in keinem anderen Land außerhalb seiner Heimat so viel Zeit verbringt, wie in Deutschland, reift in ihm auf seiner ersten Reise die Überzeugung, „dass man sich an den Deutschen erst besonders gewöhnen muss und dass er, wenn man sich noch nicht an ihn gewöhnt hat, in großen Massen schwer zu ertragen ist.“

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Zunächst vom Kölner Dom enttäuscht

„Ich muss gestehen, ich versprach mir viel vom Kölner Dom“, schreibt Dostojewski über seinen ersten Aufenthalt am Rhein, „schon in meiner Jugend, als ich mich mit Architektur befassen musste, hatte ich ihn mit Ehrfurcht nachgezeichnet.“ Dostojewski hatte nämlich ab 1838 an der renommierten Militärischen ingenieurtechnischen Universität in St. Petersburg studiert und war von 1843 bis 1844 Militärzeichner gewesen. Als er dann aber das Objekt seiner Verehrung am 26. Juni 1862 erstmals vor sich sah, stellte sich Enttäuschung ein. „Er kam mir wie ein Galanteriegegenstand vor, der nur aus Spitzen und Spitzen und nichts als Spitzen bestand, oder wie irgend so ein Ding, das als Briefbeschwerer auf den Schreibtisch zu stellen ist, allerdings von guten siebzig Faden Höhe.“

Der Kölner Dom und Dostojewski: Liebe auf den zweiten Blick

Glücklicherweise allerdings verschlug es ihn etwa einen Monat später, Ende Juli 1862, nachdem er Frankreich, England, die Schweiz und Italien bereist hatte, auf seinem Rückweg wiederum nach Köln.

Als er da den Kölner Dom zum zweiten Male sah, da hätte er ihn, so notiert er „auf den Knieen um Verzeihung bitten mögen, weil ich seine Schönheit das erste Mal nicht begriffen hatte.“ Irritiert fragt er sich, warum er das Bauwerk bei seinem ersten Aufenthalt am Rhein nicht richtig zu würdigen gewusst hatte. Er macht die äußeren Umstände verantwortlich, die bei seinem ersten Besuch nicht optimal gewesen seien. „Sogar ein Sonnenstrahl, ein ganz gewöhnlicher Sonnenstrahl macht in solchen Fällen schon viel aus: hatte er bereits während meines ersten Aufenthaltes in Köln den Dom so beleuchtet, wie er es erst bei meinem zweiten Aufenthalt dortselbst tat, dann wäre der Dom mir sogleich in seinem richtigen Lichte erschienen und nicht so wie an jenem trüben und sogar regnerischen Morgen, der in mir nur eine Aufwallung gekränkter Vaterlandsliebe zuließ.“

Die 1859 neu eröffnete Kölner Brücke, die „Mausefalle“, den Vorgängerbau der Hohenzollernbrücke, nahm er wenig begeistert zur Kenntnis. 

Die 1859 neu eröffnete Kölner Brücke, die „Mausefalle“, den Vorgängerbau der Hohenzollernbrücke, nahm er wenig begeistert zur Kenntnis. 

Vor allem aber schiebt Dostojewski seinen Widerwillen auf zwei Gründe. Der erste davon sei das Kölnisch Wasser gewesen. Der Geschäftssitz von Johann Maria Farina an der Obenmarspforten, Ecke Gülichsplatz nämlich befinde sich „in der nächsten Nähe des Domes, und in welch einem Hotel Sie auch absteigen, in welch einer Stimmung Sie auch sind, wie sehr Sie sich vor Ihren Feinden im allgemeinen und vor Johann Maria Farina im besonderen verstecken möchten, seine Vertreter werden Sie doch unfehlbar auffinden.“ Und diese, so klagt der Russe, seien wenig zimperlich, sodass es bei jedem Treffen heiße: „Eau de Cologne oder das Leben!“

Ärger über Stolz der Stadt auf die „Mausefalle“

Der zweite Umstand, der ihn „erboste und ungerecht machte“, sei die erst 1859 neu eröffnete Kölner Brücke gewesen, jener Mausefalle genannte Vorgängerbau der Hohenzollernbrücke. „Die Brücke ist natürlich vorzüglich und die Stadt ist mit Recht stolz auf sie, aber mir schien doch, dass sie schon gar zu stolz auf ihre Brücke war“, erklärt Dostojewski. „Selbstredend ärgerte mich das sogleich. Und außerdem hätte der Mann am Brückenkopf die an sich ja durchaus vernünftige Brückensteuer doch wirklich nicht mit einer solchen Miene von mir zu erheben brauchen, als fordere er eine Strafzahlung für irgendein von mir unbewusst begangenes Verbrechen.“

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Aus dem anfänglichen Ärger erwuchs im stolzen Russen ein patriotischer Widerwillen. „Ich weiß nicht, ob ich mich täuschte, aber ich glaube doch, dass dieser Deutsche sich ganz besonders wichtig dünkte“, meint der Schriftsteller. „Sicher hat er schon erraten, dass ich ein Ausländer bin, und zwar ein Russe, dachte ich. Wenigstens schien mir sein Blick nahezu wortwörtlich zu sagen: Nun siehst du unsere Brücke, armseliger Russe! So wisse denn, dass du ein Wurm bist vor ihr und vor jedem einzelnen Deutschen, denn eine solche Brücke hast du nicht!“ Obwohl Dostojewski zugibt, dass dies allein Produkt seiner eigenen Imagination war und der Brückenwärter der Köln-Mindener-Eisenbahngesellschaft das gar nicht gesagt und wahrscheinlich auch nicht einmal gedacht hatte. Aber für seinen Eindruck sei das nebensächlich. Im genügte, dass er fest überzeugt war, in seinen Augen diese Gedanken zu lesen. „Kurz, ich wurde wütend und nachdem ich mir doch noch eine Flasche Eau de Cologne gekauft hatte (vor der ich mich schon gar nicht mehr retten konnte), reiste ich geschwind nach Paris, in der Hoffnung, dass die Franzosen bedeutend liebenswürdiger und anziehender sein würden.“

Den Dom, der Dostojewski bei seinem ersten Aufenthalt so gar nicht und bei seinem zweiten Aufenthalt so gut gefiel, sah der Schriftsteller noch ein drittes Mal. Über seinen Köln-Besuch am 4. Januar 1866 hat Dostojewski aber nichts schriftlich festgehalten. Er hatte wohl Besseres zu tun. Ab Januar 1866 erschien schließlich der erste seiner großen sechs Romane, Schuld und Sühne, als Fortsetzungsroman in der Monatsschrift Russki Westnik.

Anselm Weyer ist promovierter Germanist, schreibt Architekturführer und beschäftigt sich vielfältig mit Kölner Stadtgeschichte.

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