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Ausnahmezustand in KölnSo läuft die riesige Evakuierung ab – Erster Klingelrundgang läuft

Lesezeit 8 Minuten
04.06.2025, Nordrhein-Westfalen, Köln: Eine der Fundstellen wird von Mitarbeitern des Ordnungsamtes bewacht. Am Montag waren im Stadtteil Deutz drei Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Eine der Fundstellen wird von Mitarbeitern des Ordnungsamtes bewacht.

Die größten Evakuierungsmaßnahmen in Köln seit dem Zweiten Weltkrieg haben begonnen. Pflegeheime, Hotels, die Arena und weitere Bereiche sind betroffen. 

Im Kölner Stadtteil Deutz wurden am Montag drei Blindgänger gefunden, die am Mittwoch entschärft werden soll. Die Stadt Köln unternimmt die größte Bombenevakuierung in Köln seit Kriegsende. 

  1. In Köln-Deutz sind am Montag (2. Juni) drei Bombenblindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt worden. Der Kampfmittelbeseitigungsdienst hat einen Evakuierungsradius von 1000 Metern um die Fundstellen festgelegt.
  2. Die gesamte Altstadt und große Teile von Deutz werden geräumt. 20.000 Anwohner müssen ihre Häuser verlassen.
  3. Die Entschärfung soll am Mittwoch (4. Juni) stattfinden, seit 8 Uhr werden Straßen gesperrt. Zeitgleich erfolgt der erste Klingeldurchgang
  4. Stand 11.30 Uhr: Der erste Klingelrundgang hat pünktlich um 8 Uhr begonnen. Gegen 10 Uhr war ein Drittel des Rundgangs absolviert. Wann er beendet ist, kann angesichts der Größe des Gebiets und der Anzahl der Menschen derzeit laut Stadt Köln nicht abgesehen werden. Rund um die Gefahrenzone sind um kurz vor 9 Uhr bereits viele Absperrungen eingerichtet worden.

Was Sie wissen müssen:

Die Aussage in der Mitteilung der KVB bringt es auf den Punkt: „Wir empfehlen unseren Fahrgästen, den Innenstadtbereich zu meiden“. Die Einschränkungen für das öffentliche Leben werden am Mittwoch über viele Stunden sehr massiv sein. Die größte Evakuierung in Köln nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Innenstadt lahm legen. Ab dem frühen Morgen werden die zentralen Verkehrsachsen Severinsbrücke, Deutzer Brücke und Hohenzollnernbrücke gesperrt. 

Wo werden Bürger untergebracht?

Für Anwohner aus dem Rechtsrheinischen wird es eine Anlaufstelle in der Messehalle 10.1 geben. Sie befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Haltestelle Koelnmesse und ist über den Eingang Ost zu erreichen. Für Betroffene wird ein Pendelverkehr eingerichtet. Er startet am Gotenring/Suevenstraße und fährt zum Eingang Ost an der Deutz-Mülheimer-Straße. Ein weiterer Halt befindet sich am Gotenring Ecke Deutz-Kalker-Straße und an der Justinianstraße vor dem Stadthaus. Für Bürger aus dem Linksrheinischen gibt es eine Anlaufstelle im Berufskolleg Humboldtstraße, Außenstelle Perlengraben 101. Busse pendeln über die Nord-Süd-Fahrt zum Berufskolleg am Perlengraben. Sie halten zwischen Breitestraße und Glockengasse und an der Neuköllner Straße zwischen Agrippastraße und Großer Griechenmarkt. Beide Anlaufstellen öffnen um 8 Uhr.

Was passiert mit Amtsterminen?

Am Rathaus macht ein Aushang auf die temporäre Schließung wegen der Bombenentschärfung aufmerksam.

Am Rathaus macht ein Aushang auf die temporäre Schließung wegen der Bombenentschärfung aufmerksam.

Die Evakuierung hat für viele Menschen Auswirkungen, im beruflichen und im privaten Leben. Ob bei RTL, Kunsthochschule für Medien oder vielen anderen Firmen, die im Sicherheitsradius liegen, wird den Mitarbeitern empfohlen, daheim im Home-Office zu bleiben. Aber auch auf den „schönsten Tag im Leben“ haben die Bombenfunde Auswirkungen. Für diejenigen, die ihre Heirat für diesen Mittwoch im Rathaus geplant hatten, hat das Standesamt eine Alternative organisiert. Alle 15 geplanten Trauungen können im Bürgeramt Porz stattfinden. Die Brautpaare seien entsprechend informiert worden und könnten so zumindest am geplanten Datum heiraten, sofern nicht auf deren ausdrücklichen Wunsch ein anderer Termin gesucht werden soll, teilte die Stadt mit.

Was macht die Gastronomie in der Innenstadt?

Im bekannten Brauhaus Sion in der Altstadt bleibt der Zapfhahn am Mittwoch zu und auch die Küche kalt. „Wir hatten 250 Vorbestellungen. Wir sind gerade dabei unsere Gäste anzurufen“, sagte Betriebsleiter Bruno Haumann der Rundschau. Der wirtschaftliche Schaden durch die Schließung sei enorm. „Wir empfangen unsere Gäste wieder am Donnerstag um 10 Uhr“, sagte Haumann weiter. Auch Josef Rayes, der im Rathaus-Restaurant Consilium Gäste bewirtet, ist von der Evakuierung betroffen. Bei ihm hatte ein Reiseveranstalter eine größere Veranstaltung mit Catering gebucht. „Die musste ich absagen“, erzählt Rayes: „Den Umsatzausfall bezahlt mir leider kein Mensch.“ Mathias Johnen vom Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) kennt dieses Problem.

Viele Gastronomen in der Stadt würden ihre Läden an diesem Mittwoch gar nicht erst öffnen. Schließlich sei völlig unklar, wann die Entschärfung stattfinden und dann wieder geöffnet werden könne. Weil ein solches Ereignis „höhere Gewalt“ sei, dürfe sich auch niemand Hoffnungen machen, den Ausfall an Einnahmen und Verdienst ersetzt zu bekommen. 

Die Grafik zeigt den Evakuierungsradius für die Bombenentschärfung in Köln am 4. Juni 2025.

Die Grafik zeigt den Evakuierungsradius für die Bombenentschärfung in Köln am 4. Juni 2025.

Wie reagieren die Hotels?

Dass es Lerneffekte durch bereits erlebte Evakuierungen geben kann, merkt man, wenn man sich mit Hyatt-Sprecher Dominic Kuck unterhält. Das Hotel der Kette direkt am Deutzer Rheinufer wird auch diesmal von der Räumung betroffen sein. Man habe die Gäste bereits informiert, erklärt Kuck: „Unser Personal wird durch alle Zimmer gehen und überprüfen, ob alle leer sind.“ Viele würden zur Messe Anga Com gehen und könnten sich einfach früher auf den Weg machen. „Diejenigen, die keine Anlaufstelle haben, werden wir zu einem Sammelpunkt begleiten“, sagt Kuck. Beim Maritim-Hotel am Heumarkt sieht das ähnlich aus. „Den Maritim-Gästen kommt dabei sehr zugute, dass wir in naher Umgebung weitere Standorte haben, in die wir die Gäste auf Wunsch gern umgebucht haben“, berichtet eine Sprecherin. Manche seien in die entsprechenden Häuser in Bonn, Königswinter oder Düsseldorf umquartiert worden. Auch eine große Tagung mit 230 Personen habe kurzfristig ins Maritim Hotel Bonn verlegt werden können. Insgesamt sind von der Evakuierung 58 Hotels betroffen. 

Wo kommen Obdachlose unter?

Schwieriger ist die Situation für die Menschen, die gerade im Innenstadtbereich auf der Straße leben. „Unsere Gäste sind genervt, aber nicht besorgt“, heißt es von Noor Abrahimkhail, dem Geschäftsführer der Obdachlosenstation Gulliver. In der Einrichtung in den Brückenbögen nahe dem Hauptbahnhof werden sonst tagsüber Obdachlose betreut. An diesem Mittwoch muss sie schließen. Man hoffe, so Abrahimkhail, dass man abends um 22 Uhr für das Nachtcafé wieder öffnen könne. „Es wäre aber hilfreich gewesen, wenn die Anlaufstellen von der Stadtverwaltung frühzeitig mitgeteilt worden wären“, erklärt der Gulliver-Geschäftsführer. 

Werden Veranstaltungen abgesagt?

Im Hänneschen Theater wird eine Familienvorstellung am Nachmittag ausfallen. Die abendlichen Puppenspiele dagegen sollen stattfinden. Bei der Lanxess Arena dagegen wurde die Show des Komikers und Schauspielers Teddy Teclebrhan für den Mittwochabend abgesagt und auf den kommenden Sonntag verlegt. Bereits erworbene Tickets behalten ihre Gültigkeit. Wer am neuen Termin keine Zeit hat, könne seine Tickets bei der Vorverkaufsstelle erstatten lassen, bei der sie erworben wurden, heißt es vom Veranstalter. Die Situation im „Musical Dome“ blieb unklar. Die Medienmesse Anga Com wird am Mittwoch wie geplant stattfinden. Weil aber viele Gäste Schwierigkeiten mit der Anreise haben dürften oder in evakuierten Hotels untergebracht sind, werden die Türen bereits um sieben Uhr morgens geöffnet – zwei Stunden vor dem offiziellen Beginn. Einer Sprecherin zufolge könne die Wartezeit dort von den registrierten Teilnehmenden mit einem Kaffee-Angebot überbrückt werden. 

Was sagt Kölntourismus?

„Alle von uns angebotenen oder vermittelten Stadtführungen im betroffenen Bereich wurden abgesagt oder verschoben“, teilte eine Sprechern mit. Von der Sperrzone seien viele Orte betroffen, die gerne von den Gästen der Stadt aufgesucht werden. „Auch wenn im Sperrbereich sicherlich viele der touristisch gefragtesten Angebote liegen, gibt es auch außerhalb der Sperrzone viele attraktive Möglichkeiten, seinen Tag in Köln zu gestalten und dabei vielleicht etwas Neues und Unerwartetes zu entdecken“, sagte die Sprecherin von Kölntourismus weiter. 

Wie stemmt das Eduardus-Krankenhaus die Evakuierung?

Das Eduardus-Krankenhaus in Deutz ist durch die Blindgänger zum ersten Mal von einer Vollevakuierung betroffen. Seit man Montagnachmittag von der Stadt informiert wurde, befinde sich das Team in den Planungen, wie Judith Kniepen aus der Geschäftsführung erklärt. Rund 70 Patientinnen und Patienten müssen am Mittwoch aus der Einrichtung in andere Häuser gebracht werden. Zudem seien rund 20 Operationen abgesagt worden.

Viele Personen konnten die Einrichtung bereits selbstständig verlassen. „Mit den Patienten, die die Möglichkeit haben, eventuell früher nach Hause zu gehen, haben wir kommuniziert und die entlassen wir dann auch.“ 60 Personen seien es bisher gewesen. Dabei gebe es eine ungewöhnliche Herausforderung: „Es ist ein großes Thema, dass der Evakuierungsradius so groß ist.“

Kölnerinnen und Kölner, die in dem betroffenen Gebiet leben, können oft nicht einfach dorthin entlassen werden. „Wir haben ja vor allen Dingen ältere Patienten, die dann vor der Herausforderung stehen würden, in eine die Turnhalle oder ähnliches zu müssen. Sie kommen deshalb auch auf die Evakuierungsliste.“

Unterstützung bekommt die Geschäftsführung bei der Organisation durch Dr. Julia Walder, Chefärztin der Notaufnahme. Die betroffenen Personen seien durch die Oberärztinnen und Oberärzte über die Evakuierung informiert worden, erklärt sie. „Es ist schon eine gewisse Grundaufregung bei den Patientinnen und Patienten da. Aber ein Bombenfund ist in Köln ja leider nichts ganz ausgefallenes.“

Das Eduardus-Krankenhaus in den Vorbereitungen zur Evakuierung: Julia Walder (l.), die Chefärztin der Zentrale Notaufnahme und Judith Kniepen von der Geschäftsführung.

Das Eduardus-Krankenhaus in den Vorbereitungen zur Evakuierung: Julia Walder (l.), Chefärztin der Zentrale Notaufnahme und Judith Kniepen von der Geschäftsführung.

Die Personen auf der Evakuierungsliste werden in umliegende Krankenhäuser wie die Klinik Merheim, das St. Hildegardis Krankenhaus in Lindenthal oder das Krankenhaus in Kalk gebracht. „Netterweise wurden uns teils leerstehende Stationen zur Verfügung gestellt. Laut dem Stand von heute Morgen haben wir genug freie Betten gefunden.“ Den Transport übernehme der Rettungsdienst der Stadt.

Das Krankenhaus plant mit acht Intensivpatienten auf der Evakuierungsliste. Ihre vorübergehende Verlegung müsse akribisch geplant werden, sagt Walder. „Das ist eine logistische Herausforderung. Unser Personal wird vorab in die anderen Krankenhäuser fahren, wird dort alles vorbereiten. Dann wird mit Notärztinnen und Notärzten der Stadt Köln ein Verlegungstransport geplant, sodass die Patienten auch während des Transportes intensivmedizinisch versorgt werden können.“

Die Notaufnahme des Krankenhauses ist noch bis zum heutigen Mittwoch um 6 Uhr geöffnet. Erst dann kann die finale Evakuierung beginnen. Wie lange die Entschärfung tatsächlich dauere sein natürlich noch nicht klar. „Wir hoffen, dass wir die Patientinnen und Patientin noch am selben Tag zurückverlegen können.“

Wie regieren Pflegeheime

Im Bereich der Evakuierung liegt außerdem das Pflegeheim St. Georg in der Nähe des Waidmarkts. Das gilt auch für das Altenzentrums St. Heribert, das direkt hinter den Deutzer Rheintreppen liegt. 105 Bewohner müssen dort anderweitig untergebracht werden.

„Es gibt unterschiedliche Arten der Evakuierung. Einige Bewohnende werden von ihren Angehörigen abgeholt und von ihnen zuhause betreut. Andere werden von uns in von der KVB bereitgestellten Bussen in andere Einrichtungen begleitet. Für den Großteil werden Krankentransporte benötigt. Das trifft zum Beispiel auf mobil eingeschränkte Menschen im Rollstuhl und mit Rollator sowie auf schwerstpflegebedürftige Menschen zu“, erklärt Ellen Bertke, Sprecherin der Caritas Köln.

75 Bewohner von St. Heribert seien auf einen Krankentransport angewiesen. Organisiert wird dieser vom Rettungsdienst der Stadt. „Die Bewohnenden haben natürlich Fragen und es gibt Unbehagen aufgrund der ungewohnten Situation und Ungewissheit. Die Mitarbeitenden sind geschult in der Begleitung und Betreuung durch offene Gespräche und stehen für alle Fragen zur Verfügung, damit sich alle Bewohnenden so sicher wie möglich fühlen können.“