Häreovend und Humba-TätäräSo feiern die Kölner in Pandemiezeiten Karneval

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Karneval trotz Corona: Hääreovend" der Karnevalsgesellschaft „Große Kölner“.

Köln – Runde Tische statt langer Bankreihen, großzügige Verteilung über den Großen Saal im Gürzenich statt gemütlicher Tuchfühlung im angestammten Marsiliussaal. „Man kann es auch mit Verstand machen“, sagt Harald Hahn vom Vorstand der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft (KG). Das bleibt beim Häreovend mit Hämmchenessen der einzige Seitenhieb auf kommerzielle Veranstalter. Ansonsten zuckt der Organisations- und Marketingleiter die Achseln: „Fakt ist, was die Kommerziellen machen, liegt im Rahmen der erlaubten Grenzen.“

Karneval in Köln: Weniger Zuschauer, viel Stimmung

Selbstverständlich hätte die 750 Mitglieder starke KG in dieser Session gerne „richtige“ Sitzungen veranstaltet – mit Bands, Mitsingen, Schunkeln und Auftritt der eigenen Tanzgruppe Höppemötzjer. Die Große hätte auch gerne den Anblick eines proppenvollen Saals von der Bühne geboten, also 1300 statt 320 Gäste hereingelassen. Aber was allein schon die ersten beiden Redner, „dä Tuppes vum Land“ Jörg Runge und „Hausmann“ Jürgen Beckers erlebten, dürfte manche Einschränkung wettgemacht haben. Die Herren im Saal hörten aufmerksam zu, lachten, gingen mit. Sie applaudierten stehend, zündeten Raketen für die Bühnenkünstler.

Eigentlich waren schöne alte Karnevalslieder wie „Mer losse d’r Dom en Kölle“ und „Ach wär’ ich nur ein einzigmal ein schmucker Prinz im Karneval“ als Tusch nach Pointen gedacht. Doch das Publikum sang einfach weiter, textsicher, leidenschaftlich und gut klingend. Zu vorgerückter Stunde gab es nach Soloauftritten von Volker Weininger, Martin Schopps und J.P. Weber als „Herrengedeck“ noch einmal vertraute Musik. Allerdings mit neuen Texten, sodass die Jecken mehr zuhörten als mitsangen – was ganz im Sinne der KG war.

Häreovend der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft: „Ich habe es vermisst“

Michael Peffeköver besuchte zum ersten Mal einen Häreovend der Großen Kölner und war begeistert: „Das Konzept passt, endlich Live-Karneval, es fühlt sich toll an“, lobte der Engelskirchener Karnevalsprinz von 2012. Der Tipp kam von Holger Bluhm, der vor Corona fast alle Sitzungen der Gesellschaft besuchte. 13 sind das in jeder Session, diesmal bleibt der Häreovend die einzige Veranstaltung.

„Ich habe es vermisst, unter Menschen zu sein. Jetzt unter Gleichgesinnten zu sein, die alle ein Stück Normalität im Karneval zurückbekommen wollen, tut gut“, sagte Bluhm. KG-Präsident Dr. Joachim Wüst sprach von einem „besonderen Abend“. Besonders, weil die Veranstaltung erstmals aufgezeichnet und für alle ins Internet gestellt wurde. Besonders auch, weil sich die Hoffnung „Endlich jeit et widder loss“ nicht ganz erfüllen konnte.

Corona und Karneval: Nur kleine Veranstaltungen

400 Sitzungen werden normalerweise jede Session von den Gesellschaften und Vereinen veranstaltet, die unter dem Dach des Festkomitee Kölner Karneval organisiert sind. Nach einer Einigung mit der Politik haben die Vereine einen freiwilligen Verzicht angesichts der Corona-Pandemie verkündet. Dafür werden Künstler und Saalbetreiber aus dem „Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen“ entschädigt.

450 Termine hätte das Kölner Dreigestirn eigentlich absolvieren sollen. Nach dem Verzicht auf Sitzungen sind vor allem karitative Auftritte in sozialen Einrichtungen geblieben. Im Terminkalender des Dreigestirns stehen inzwischen wieder 203 Auftritte, die alle an den Wochenenden stattfinden. In der Woche gehen Prinz, Bauer und Jungfrau ihren regulären Jobs nach und übernachten nicht dauernd in der Hofburg. (tho)

Andererseits machte die anhaltende Pandemie kreativ: Der Clown auf dem Orden hält ein Zertifikat mit QR-Code hoch, der zu einem heiteren Imagefilm führt.

Sitzungskarneval in Pandemiezeiten: Humba-Tätärä bei Deiters

Ist das vielleicht die Zukunft des Sitzungskarnevals in Pandemiezeiten? Wie früher an langen Tischreihen in einem vollen Saal singen, schunkeln, mit großen Aerosol-Filtern unter der Decke und zusätzlichen Ventilatoren, die siebenmal in der Stunde die Raumluft austauschen. Der Kostümriese Deiters macht das mit seinen Humba-Tätära-Sitzungen in der Wassermannhalle vor. Aber es muss sich noch zeigen, ob das Virus tatsächlich vor der Tür geblieben ist oder ob die Shows trotz 2G+ zum sprichwörtlich ansteckenden Frohsinn geführt hat.

„Es ist ja gut, dass kontrovers diskutiert wird, was wir machen, dann wird sich der Karneval weiterentwickeln“, meint Herbert Deiters am Auftaktabend von insgesamt elf Veranstaltungen im Müngersdorfer Technologiepark.

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Deiters lädt in Köln zum Humba Tätärä in der Wassermannhalle.

Im Nachhinein, sagt der „Herr der Kostüme“, sei er froh, dass das Dreigestirn kurzfristig seinen Auftritt bei der Humba-Tätärä-Premiere im Hotel Lindner vor zwei Wochen abgesagt hat. Denn ein paar Tage später war der Bauer Corona-infiziert. „Das hätte man womöglich uns angelastet“, sagt Deiters. Den Zoff zwischen ihm als kommerziellem Veranstalter und dem Festkomitee sieht er inzwischen beigelegt, wohl weil sich beide einig sind: „Deiters nimmt den Gesellschaften nichts weg.“

Klüngelköpp nach Corona-Infektionen wieder komplett

Auf den Programmzetteln stehen die Klüngelköpp, die nach überstandenen Infektionsfällen in den eigenen Reihen wieder komplett sind, Lupo, Miljö, Cat Ballou, die Paveier, Sitzungspräsident Volker Weininger, das Blechblasorchester „Druckluft“, Kölsch-Rapper Mo-Torres und „dä Tuppes vum Land“ Jörg Runge. Lupo-Frontmann Kai Mathias begeistert der Anblick des feierfreudig mitgehenden Publikums. „Das gibt uns viel Hoffnung, dass 2022 nicht so traurig sein wird, wie das letzte Jahr.“

Klüngelkopp Frank Reudenbach muss lachen, als er die vielen „gutgelaunten positiven Leute“ begrüßt. Immerhin: Die Bedeutung von „positiv“ hat sich gewandet. Besucher Martin Mattes hat „Humba Tätärä“ aus dem Corona-Blues geholt. „Es ist nicht mehr zu halten, solche Veranstaltungen zu verbieten“, denkt er und verkürzt seine Raucherpause, um die nächste Band nicht zu verpassen. „Es geht wohl jedem so, der hierhergekommen ist, dass er den Karneval vermisst hat“, ergänzt Olli, der als Meisje verkleidet ist.

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„Man merkt, die Leute wollen wieder Kölner sein“, meint Gina, 33. Sie ist mit der 44-jährigen Tabita gekommen, die ihren Chef informiert hat, dass sie auf die Deiters-Party gehen wird. Der sah kein Problem, bat Tabita aber, vorsichtshalber am Montag im Homeoffice zu bleiben. Gina ist am Ende ihrer Geduld: „Wir sind dreifach geimpft und frisch getestet. Was sollen wir denn noch tun, um unser Leben zurückzubekommen?“

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