Interview mit Kölns Stadtkämmerin„Kommen 2020 noch mit einem blauen Auge davon“

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Kämmerin Dörte Diemert

  • Vor zwei Jahren, am 24. Januar 2019, trat Dörte Diemert ihren Job als Kölner Stadtkämmerin an.
  • Über die Folgen der Corona-Krise , die finanziellen Perspektiven und künftige Großprojekte sprach sie mit Michael Fuchs.

Wie sehr belastet die Corona-Krise die Stadtkasse? 2020 war ein extrem schwieriges und herausforderndes Jahr. Viele Unternehmen leiden unter der Krise. Wir hatten 2500 Anträge auf Stundung der Gewerbesteuerzahlungen in einem Volumen von 100 Millionen Euro, es drohen Insolvenzen. Angesichts vieler Hilfen von Bund und Land kommen wir als Stadt Köln 2020 noch mit einem „blauen Auge“ davon. Doch 2021 könnte die Krise ohne erneute Hilfe mit voller Wucht auf die städtischen Finanzen durchschlagen.

Wissen Sie schon, wie groß das Loch im Haushalt 2020 ist?

Unsere letzten Berechnungen weisen ein Defizit von rund 73 Millionen Euro aus. Diese Zahl berücksichtigt bereits die Ausgleichszahlungen vom Land für Ausfälle bei der Gewerbesteuer – ist aber noch nicht final. Zum einen müssen wir noch Rückstellungen bilden und Abschreibungen etwa auf ausstehende Forderungen vornehmen. Zum anderen sind wir gesetzlich verpflichtet, ganz zum Schluss die Corona-Finanzschäden zu isolieren und quasi auszubuchen. Das wird die Zahlen noch einmal deutlich verändern.

Zur Person

Prof. Dr. Dörte Diemert (46, parteilos) stammt aus Düsseldorf und lebt mit ihrem Mann im Agnesviertel. Am 24. Januar 2019 trat sie ihr Amt als Beigeordnete für Finanzen in Köln an, zuvor war sie Kämmerin und Stadtdirektorin in Duisburg. Zu den beruflichen Stationen der Juristin zählten das Kommunalwissenschaftliche Institut der Universität Münster, der Landkreistag NRW und der Deutsche Städtetag. Sie studierte in Düsseldorf und Frankreich. Seit 2016 ist sie Honorarprofessorin an der Universität Münster. (fu)

Das Land NRW gleicht nur knapp die Hälfte der Gewerbesteuerausfälle aus. Lässt man Köln im Regen stehen?

Zunächst einmal sind wir sehr dankbar, dass die Kommunen für 2020 von Bund und Land auf diesem Weg echte Hilfen und nicht nur Kredite bekommen. Doch von einer weitgehenden Kompensation, wie sie angekündigt war, kann nicht die Rede sein, wenn gegenüber dem Vorjahr 260 Millionen Euro Gewerbesteuern fehlen und man 119 Millionen erhält. Was uns dabei wirklich ärgert ist: Für unsere hohen Steuereinnahmen im vierten Quartal 2019 werden wir gleich doppelt „bestraft“.

Woran liegt das?

Die Landesregierung hat nicht das Gesamtjahr 2020, sondern den Zeitraum von Oktober 2019 bis September 2020 als Corona-Krisenjahr definiert. Das verzerrt das Bild. Kölns hohe Gewerbesteuererträge aus dem vierten Quartal 2019, welches nichts mit Corona zu tun hat, wurden zu den Erträgen des Krisenjahrs gezählt, fehlten aber bei der Berechnung des Vergleichsjahrs. Dadurch wurden unsere pandemiebedingten Steuerausfälle kleingerechnet.

Und wieso doppelt bestraft?

Die hohe Steuerkraft des vierten Quartals führt ohnehin schon zu massiven Rückgängen bei den Schlüsselzuweisungen des Landes an die Kommunen für 2021. Gegenüber unseren Planungen fehlen da rund 94 Millionen Euro. Das ist schmerzhaft, entspricht aber den Regeln des solidarischen Finanzausgleichs. Bei aller Kritik im Detail stellen wir den nicht in Frage.

Wie schätzen Sie die Finanzlage der Stadt in den nächsten Jahren ein?

Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen sind noch lange nicht vorbei. Corona wird unsere Finanzen auch 2021 und Anfang 2022 massiv belasten. Wir erleben weiterhin eine Zangenbewegung aus weniger Erträgen und mehr Aufwänden. Stand jetzt, rechnen wir mit einer Deckungslücke im städtischen Haushalt von 277 Millionen Euro in 2021 und 258 Millionen Euro in 2022.

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Was sind die größten Lasten?

Bei der Gewerbesteuer erwarten wir 2021 ein Minus von 182 Millionen, bei der Einkommensteuer von 65 Millionen. Hinzu kommen Verluste in städtischen Unternehmen. Es ist zu erwarten, dass die Stadtwerke in den Folgejahren weniger an die Stadt ausschütten, während andere höhere Zuschüsse benötigen. Dazu zählen die Kliniken, der Zoo, die Museen, die Bühnen oder auch Kölnmusik. Da kommt einiges auf uns zu. Weil Kitas und Ganztagsbetreuung geschlossen wurden, hat die Stadt den Eltern allein aus städtischen Mitteln bereits 14,3 Millionen Euro an Beiträgen erstattet. Im Gesundheitsamt gibt es hohe Mehrkosten, der erhöhte Aufwand für Personal und Digitalisierung betrifft fast alle Aufgabenbereiche. 2020 hat die Stadt über 1200 Personen zusätzlich für die Pandemiebewältigung eingestellt.

Was erwarten Sie jetzt von Berlin und Düsseldorf in Sachen Corona-Hilfen?

Wir haben die dringliche Bitte an Bund und Land, es nicht bei den Hilfen für 2020 zu belassen. Die Kommunen benötigen auch 2021 echte Unterstützung bei den Gewerbesteuerausfällen, einen Rettungsschirm für den öffentlichen Nahverkehr und Hilfen für Krankenhäuser, die Betten für Corona-Patienten freihalten. Ohne erneutes Geld von Bund und Land würde uns die Krise 2021 massiv treffen. Ein Beispiel: Die KVB rechnet für 2021 mit 34 Millionen Euro weniger Fahrgelderlösen. Wir appellieren an Bund und Land, sich zu weiteren Hilfen zu bekennen und darüber möglichst frühzeitig Klarheit zu schaffen.

Das geplante Ratsbündnis aus Grünen, CDU und Volt strebt viele neue Projekte an: Historische Mitte, Überdeckelung der Autobahn A57, Umgestaltung des Barbarossaplatzes und vieles mehr. Kann sich Köln das überhaupt leisten?

Eine Kämmerin legt immer Wert darauf, dass alle Vorhaben auf ihre wirtschaftliche Effizienz und ihren Nutzen für die Stadtgesellschaft hinterfragt werden. Selbstverständlich erwarte ich, dass in dieser Situation überprüft wird: Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein bestimmtes Projekt? Muss das gemacht werden? Bei Zukunftsinvestitionen in Bildung, Mobilität oder Klimaschutz bin ich aber nach wie vor der Meinung, dass sie uns mehr Geld kosten, wenn wir sie auf die lange Bank schieben. Man muss sich die jeweiligen Projekte ansehen und eine Abwägung treffen. Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.

Köln wollte bis 2022 den Haushaltsausgleich schaffen. Geben Sie das Ziel „keine Neuverschuldung“ jetzt ganz auf?

Nein. Die Zeiten, in denen wir dank guter Konjunktur von Jahr zu Jahr drauflegen konnten, sind zwar vorbei, und darauf müssen wir reagieren. Aber mit Augenmaß und abgewogen: Mein Ziel ist es, den finanziellen Rahmen, den wir vor der Krise hatten, trotz der Steuereinbrüche durch die Krise zu retten. Da wir vor der Pandemie sehr starke Jahre hatten, würde uns das ermöglichen, 2022 auf gutem Niveau weiterzumachen und den Haushaltsausgleich vielleicht schon 2024 zu erreichen.

Sie kamen auf Vorschlag der Grünen nach Köln. Die hätten bei der Sondierung mit CDU und Volt das Amt des Stadtdirektors für sich reklamieren und es Ihnen übertragenkönnen, haben aber zugunsten der CDU darauf verzichtet. Finden Sie das schade?

Das zu entscheiden, ist das gute Recht der Politik. Wer meine Vita kennt, weiß, dass ich in Duisburg Stadtkämmerin und Stadtdirektorin war. Ich bin als Stadtkämmerin nach Köln gekommen und ich erfülle diese Aufgabe gerne und mit Leidenschaft.

Sie wollten 40 Prozent Frauen in Aufsichtsräten. Die Realität in der neuen Wahlperiode sieht anders aus. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Es war richtig, dass wir bei der Neufassung des städtischen Unternehmenskodex (Public Corporate Governance Kodex, kurz PCGK), die Frauenquote zum Thema gemacht haben. Meine Wahrnehmung ist: Der Umstand, dass wir eine höhere Erwartungshaltung formuliert haben, hat in der politischen Diskussion eine Rolle gespielt. Frauen sind Aufsichtsratsvorsitzende geworden, darüber bin ich sehr froh. Als Frau sage ich aber auch: Das darf gerne noch mehr werden.

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