Im Stück im Comedia-Theater geht es um den „wilden“ Streik im August 1973, als rund zwölftausend Gastarbeiter bei Ford in Köln für menschenwürdige Arbeitsbedingungen protestierten.
„Baha und die wilden 70er Jahre“Ein fast vergessenes Stück Geschichte als Musical

'Baha und die wilden 70er' feierte im Kölner Comedia-Theater Premiere.
Copyright: Meike Böschemeyer
Um es etwas flapsig zu formulieren: mit einem lupenreinen Musical hat „Baha und die wilden 70er Jahre“ so wenig gemein, wie die Kunst mit dem Kunstdünger. Es wirkt eher wie die konzertante Aufführung eines „Work in Progress“ („Werks in Arbeit“), das aber durchaus schon das dramatische und unterhaltsame Potenzial eines Musicals erkennen lässt.
Daran glaubten offensichtlich auch zahlreiche Unterstützer aus Kultur, Politik und Wirtschaft, die das Projekt unterstützt haben und die der künstlerische Leiter und Komponist des Werks, Nedim Hazar, zur Premiere im ausverkauften Theatersaal begrüßte. Im Hintergrund nimmt derweil die durch drei Streicher verstärkte Rockband unter der dynamischen Leitung von Klaus Mages Platz. Am rechten Bühnenrand postiert sich jener unvermeidliche „griechische Chor, der zu jedem türkischen Musical gehört“, wie die fünf buntgekleideten Damen – allesamt Töchter der ersten Gastarbeitergeneration - mit fröhlicher Selbstironie anmerken.

Nedim Hazar singt im Musical auf Englisch, Türkisch und Serbisch.
Copyright: Meike Böschemeyer
A propo „buntgekleidet“: „Blaumänner“ und das Macho-schwarz türkischer Jungmänner beherrschen die Szene. . Nedim Hazar, der in die Rolle des Erzählers geschlüpft ist, hüpft in seinem weißen Conferencier-Sakko wie ein „Rumpelstilzchen“ über die Bühne, interviewt den Chor, holt mit den ehemaligen „Fordianern“, dem Türken Seyfo Kurt und den Deutschen Peter Bach und Mischi Steinbrück, Zeitzeugen auf die Bühne, die den legendären Streik 1973 miterlebt haben.
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Denn dieses fast vergessene Kapitel deutscher Geschichte steht im Mittelpunkt der Handlung, die sich nicht dramaturgisch entwickelt, sondern in kleinen, unzusammenhängenden Einzel-Szenen durch Monologe und Dialoge erzählt wird. Es geht um jenen „wilden“ Streik im August 1973, als rund zwölftausend Gastarbeiter - unterstützt von 500 deutschen Kollegen - bei Ford in Köln für menschenwürdige Arbeitsbedingungen protestierten. „Eine Mark mehr für alle. Du bist ein Niemand, mach mal weiter, immer am Fließband, Gastarbeiter“, heißt es so auch im Titelsong, den Nedim Hazars Sohn, der Rapper Eko Fresh, zum „Musical“ beigesteuert hat.
„Baha und die wilden 70er Jahre“: Von Rock bis anatolischer Volksmusik
Hazars Songs, teilweise auch in Englisch, Türkisch und Serbisch gesungen, atmen dagegen eher den Rock-Sound der 70er Jahre, lassen Einflüsse von Janis Joplin, „Ton Steine Scherben“, aber auch anatolischer Volksmusik erkennen. Zaghaft versucht man deshalb auch mal ein Ensemble-Tänzchen, dass aber wegen fehlender Choreografie eher unbeholfen wirkt. Dafür überzeugen die aus der freien Kölner Theaterszene stammenden Schauspieler und Schauspielerinnen des „Sanat Ensembles“: Aydin Isik verleiht der Titelfigur des Baha Targün, jenes Charisma, das damals den an die Revolutionäre der 68er-Jahre erinnernden Streikführer auszeichnete.
Vor allem brilliert er m Zusammenspiel mit seiner jugoslawischen Arbeitskollegin und Geliebten Lucy, der Mirjam Radovic gesanglich und schauspielerisch eine überzeugende Bühnenpräzens verleiht. Der auf vielen Kölner Bühnen gestählte Richard Hucke macht als „Vertreter“ der solidarischen, deutschen Arbeiter genauso eine gute Figur im Blaumann wie Burçin Keskin. Zudem überzeugen beide mit ihren ausdrucksstarken Stimmen – und bringen so doch noch einen Hauch von Musical auf die Bühne.
Serdar Altan als junger türkischer Arbeiter Ismail , der zwischen Solidarität und eigenen Karriere-Wünschen hin- und hergerissen ist, bildet mit seinem Arbeitskollegen und väterlichen Freund Muhittin (Baris Ar), der ihn gerne verkuppeln möchte, ein wunderbares Zwei-Generationen-Gespann. Nur als er sein Coming–out hat, ist der Spaß für Muhittin, zumindest vorübergehend vorbei. Vielleicht ein Volte zu viel, die das etwas wirre Libretto von Nedim Hazar und Gün Tank hier schlägt, das auch Regisseur Tony Dunham nicht „ausbügeln“ kann.
Nächste Termine: 4.-6.11. 20Uhr. - Tickets: qultor.de