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„Es betrifft uns alle“Initiative aus Köln will das Sterben in die Mitte der Gesellschaft bringen

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Die Gesellschaft soll lernen, wie man andere in der letzten Lebensphase unterstützen und offen über den Tod reden kann, wenn es nach der „Caring Community Köln“ geht.

Die Gesellschaft soll lernen, wie man andere in der letzten Lebensphase unterstützen und offen über den Tod reden kann, wenn es nach der „Caring Community Köln“ geht. 

Die „Caring Community Köln“ will nicht nur Hilfe für Betroffene und Angehörige sein, sondern auch ein Tabu abbauen. 

„Völlige Hilflosigkeit“. So beschreiben die meisten, wie sie sich im letzten Lebensjahr ihrer Angehörigen gefühlt haben. Etwa 10.000 Menschen sterben jährlich in Köln, und viele von ihnen leiden davor an einer schweren Erkrankung.

Die Versorgung durch das Gesundheitssystem ist in diesen Fällen nicht genug – das Umfeld ist gefragt. Denn unheilbar kranke und sterbende Menschen verbringen im Vergleich nur eine kurze Zeit mit Profis. Meistens sind sie auf Familie, Freunde oder Nachbarn angewiesen und haben manchmal noch Kontakt zu Arbeitskollegen oder Mitschülern. Doch genau unter diesen Personen herrscht dann oft Überforderung.

Menschen näher zusammenbringen

Zwei, die all das aus beruflicher Erfahrung wissen, sind Dr. Birgit Weihrauch, langjährige Vorstandsvorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands und ihr Kollege Prof. Raymond Voltz, Direktor des Palliativzentrums der Uniklinik Köln. Sie wünschen sich eine Gesellschaft, in der die Menschen enger zusammenrücken, wenn die Themen schwere Krankheit, Sterben, Tod oder Trauer in ihrer Umgebung aufkommen, um das professionelle System zu ergänzen.

Mit den Themen Sterben,Tod und Trauer setzten Menschen sich laut der „Caring Community Köln“ erst auseinander, wenn es sie direkt betrifft. Das führe oft zu Überforderung.

Mit den Themen Sterben,Tod und Trauer setzten Menschen sich laut der „Caring Community Köln“ erst auseinander, wenn es sie direkt betrifft. Das führe oft zu Überforderung.

Aus dieser Vision entstand 2020 die Initiative „Caring Community Köln“ (wörtlich übersetzt „sorgende Gemeinschaft“). Sie vereint zahlreiche Projekte hinter sich, die Kölnerinnen und Kölner mit Hinblick auf die letzte Lebensphase stärken sollen. Das Team will damit zum Vorbild werden: Ziel ist es, dass sich möglichst viele weitere, unabhängige „Caring Communitys“ gründen. 

„Sorge-Stadtplan“ als Leitweg

Der digitale „Sorge-Stadtplan“ ist eines der grundlegenden Projekte der Kölner Initiative. „Dort sehen die Leute, wo sie die Einrichtungen finden, die sie brauchen. Es gibt so viele Angebote in Köln, die wir für die Bürgerinnen und Bürger sichtbar machen wollen“, erklärt Dr. Weihrauch, geschäftsführendes Vorstandsmitglied vom „Caring Community Köln e.V.“.

Auch das Buddy-Projekt (wir berichteten) soll Betroffenen, den Zugang zu wichtigen Infos erleichtern. Der „Buddy“ (auf Deutsch „Kumpel“) ist eine kostenlose Ansprechperson, die Menschen mit unheilbarer und fortgeschrittener Krankheit sowie deren Angehörige begleitet. Sie unterstützt bei Arztterminen, Papierkram, vermittelt Anlaufstellen oder hat einfach ein offenes Ohr. 

„Das Buddy-System reduziert nachweislich Einsamkeit“, erklärt Prof. Raymond Voltz. „Das zeigen unsere Daten“. Mit seinem Team an der Uni begleitet er die Arbeit der „Caring Community Köln“ auf wissenschaftliche Art. „Es ist nicht mehr unbedingt so, dass Sterbende oder Schwerstkranke eine Familie um sich herum haben. In einer großen Stadt, wo es viele Single-Haushalte gibt und wo der Familienanschluss vielleicht durch zunehmendes Alter immer weniger wird, braucht es sozusagen einen Ersatz“, erklärt er. Daher sei ein wichtiges Ziel der Initiative, auch das Umfeld außerhalb der Familie zu aktivieren. „Wir wollen die allgemeine Mitmenschlichkeit stärken.“

Sterben ist oft ein Tabuthema

Wenn diese auf der Strecke bleibt, liege das oft auch an Sprachlosigkeit oder Berührungsängsten. „Wenn die Nachbarin ihren Mann verliert, kann man auf sie zugehen, anstatt die Straßenseite zu wechseln, weil einem die Worte fehlen“, sagt Dr. Weihrauch. Ein einfaches „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“ sei schon besser als auszuweichen. „Wir wollen die Sprachlosigkeit aufheben und die Menschen darin stärken, mitmenschlich zu reagieren. Dafür ist keine große Wissensvermittlung nötig, sondern häufig nur etwas Mut.“

Trauernden Menschen weichen wir laut Dr. Birgit Weihrauch oft aus.

Trauernden Menschen weichen wir laut Dr. Birgit Weihrauch oft aus.

Dazu beitragen sollen auch die deutschlandweit bekannten „Letzte Hilfe Kurse“, die mithilfe der Caring Community Köln weiterentwickelt wurden. Heraus kam ein Angebot, das spezifisch auf Betriebe zugeschnitten ist. Die „betrieblichen Letzthelfer:innen“ werden innerhalb von neun Stunden ausgebildet, um zu einem sensiblen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer beizutragen. Dort erfahren die Teilnehmenden auch, was man für Sterbende und ihr Umfeld tun kann.

Unsere Endlichkeit sei oft noch ein Tabuthema, sagt Prof. Voltz. Man müsse anerkennen, dass es psychologisch eine völlig gesunde Reaktion sei, sich damit nicht zu beschäftigen. „Aber es betrifft uns letztendlich alle. Wir haben eine repräsentative Umfrage in Deutschland gemacht, in der 43 Prozent angaben, aktuell direkt oder indirekt von den Themen schwere Krankheit, Sterben, Tod und Trauer betroffen zu sein. Diese Themen schwelen also in unserer Gesellschaft. Wir wollen vermitteln, dass man darüber reden kann und dass es entlastend ist, darüber zu reden.“

Um ihrem Ziel näherzukommen, arbeitet die Initiative von Beginn an mit der Stadt zusammen. Drei lange Jahre gab es zahlreiche Gespräche mit Politik und Organisationen, bis es 2020 offiziell losgehen konnte. Finanziert werde die Initiative hauptsächlich von Stiftungsgeldern und Spenden. „Wir lassen uns nicht aufhalten, sondern machen einfach“, fasst Dr. Weihrauch die Devise zusammen.

Sterbende wurden in den Krankenhäusern teilweise in Badezimmer oder Abstellkammern geschoben.
Dr. Birgit Weihrauch

Woher all diese Motivation kommt, um sich in diesem Umfang für die schwächsten unserer Gesellschaft einzusetzen? Als junge Ärztin erlebte die heute 82-Jährige im Krankenhaus etwas, das sie tief bewegt hat. „Sie können sich das heute nicht mehr vorstellen: Sterbende wurden in den Krankenhäusern teilweise in Badezimmer oder Abstellkammern geschoben“, erinnert sie sich. „Das hat mich nie wieder losgelassen.“ Seit 40 Jahren engagiert sie sich deshalb in der deutschlandweiten Hospiz- und Palliativbewegung, um „das Sterben wieder in die Mitte der Gesellschaft, in das Leben zurückzuholen.“

Seit den 80er Jahren habe die Hospizbewegung in Deutschland maßgeblich dazu beigetragen, Dinge in unserer Gesellschaft zu verändern. In der Hospiz- und Palliativversorgung habe sich seitdem glücklicherweise viel getan. Nun gelte es, das Zusammenwirken zwischen Profis und Laien zu stärken. „Wir sind zwar jetzt schon seit fünf Jahren aktiv dabei, aber wir sehen, dass das nichts ist, was man über Nacht erledigt, sondern ein Marathon.“


Alle Informationen gibt es auf der Website der „Caring Community Köln“. Dort kann man einen Newsletter abonnieren oder eine Mitgliedschaft abschließen, um das Projekt zu unterstützen und sich einbringen zu können.

Die „Caring Community Köln“ ist Kooperationspartner der Filmreihe „Vom Leben und Tod“ im Odeon. Am 23. November läuft dort der finale Film Palliativstation, an den sich ein Gespräch mit dem Regisseur anschließt. Tickets gibt es hier.