Kölns Stadtkämmerin im Interview„Ohne neue Kredite wird es nicht gehen“

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Dörte Diemert

  • Die Corona-Folgen belasten den städtischen Haushalt wie keine Krise zuvor.
  • Mit Stadtkämmerin Prof. Dr. Dörte Diemert sprachen Stefan Sommer und Michael Fuchs.

Köln – Im Januar 2019 sind Sie nach Köln gekommen, um die Finanzen der Stadt in Ordnung zu bringen. Sie waren auf einem guten Weg, wollten 2022 einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren. Hat Corona alle Pläne zunichte gemacht?

Momentan steht die Krisenbewältigung im Vordergrund. Die Pandemie wirbelt unseren Haushalt massiv durcheinander. Trotzdem sollte man das Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht vorzeitig aufgeben. Wir waren schon nah dran. Das hat der Jahresabschluss 2019 gezeigt, der besser ausgefallen ist als erwartet. Vieles wird am Ende davon abhängen, welche Hilfen Bund und Land gewähren.

Finanzminister Olaf Scholz hat ein Rettungspaket von 57 Milliarden Euro samt Hilfen beim Abbau von Altschulden in Aussicht gestellt ...

Dass Herr Scholz bereit ist, diese Summe kurzfristig zur Unterstützung der kommunalen Haushalte auf den Weg zu bringen, ist ein gutes Signal, und auch von der Altschuldenregelung könnte Köln profitieren. Ob die Länder nun mitziehen und es damit eine echte Chance für diesen Rettungsschirm gibt, muss sich zeigen. Nur allzu oft haben sich Bund und Land im Schwarzer-Peter-Spiel verhakt, während hier vor Ort der Bedarf immer dringender wird. Angesichts massiv wegbrechender Steuererträge brauchen wir echte Finanzhilfen und nicht nur günstige Kredite. Entscheidend ist, dass diese Hilfe nun auch bald vor Ort ankommt.

Sie geben die Hoffnung also nicht auf?

Als Finanzerin muss man immer hoffen. (lacht) Wir waren gut aufgestellt, als die Krise kam, und möchten sie möglichst gut und geordnet durchstehen. Aktuell gehen die Steuerschätzer und Konjunkturforscher von einem drastischen Einbruch aus, dem im nächsten Jahr aber eine schnelle Erholung folgen soll. Demnach könnte – so die Hoffnung – 2022 zumindest wieder das Vorkrisenniveau erreicht sein.

Aber allein dieses Jahr könnten im städtischen Haushalt wegen Corona 500 Millionen Euro fehlen ...

Allen Beteiligten ist klar: Die Folgen dieser Krise sind so groß, dass sie nicht allein durch Umschichtungen im Haushalt bewältigt werden können. Und sie werden uns auch die nächsten Jahre noch massiv beschäftigen. Ohne neue Kredite wird es daher nicht gehen.

Möchten Sie deshalb, dass der Rat die Obergrenze für Kassenkredite von 1,8 auf 2,8 Milliarden Euro anhebt?

Das ist notwendig und angezeigt, damit die Stadt jederzeit finanziell handlungsfähig ist – auch in einem Worst-Case-Szenario. Das bedeutet nicht und das ist mir wichtig, dass wir dieses neue Kreditlimit auch ausschöpfen. Wir sollten auch weiterhin alles daran setzen, unsere Verschuldung zu begrenzen.

Die Stadt nimmt derzeit ohne die Corona-Folgen bereits Kassenkredite in Höhe von rund 1,2 Milliarden Euro in Anspruch. Warum so viel?

Diese Größenordnung habe ich bei meinem Amtsantritt übernommen, und sie hat sich zuvor über Jahre entwickelt. Das zeigt, wie richtig und wichtig ein ausgeglichener Haushalt ist. Das Volumen der Kassenkredite ist in den letzten zehn Jahren gestiegen, während die längerfristige Verschuldung reduziert wurde.

Leidet die Bonität der Stadt unter dem gestiegenen Kreditbedarf? Drohen höhere Zinsen und damit zusätzliche Lasten für Stadt?

Nein. Wir haben eine sehr gute Eigenkapitalausstattung und genießen höchste Kreditwürdigkeit. Da mache ich mir keine Sorgen.

Droht eine Haushaltssperre?

Ich halte eine Haushaltssperre – die ja klassischerweise der Haushaltskonsolidierung dient – in der derzeitigen Krise nicht für angebracht, und wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Die Stadt müsste dann alles unter Genehmigungsvorbehalt stellen und zum Beispiel alle freiwilligen Leistungen in Frage stellen. Damit würden wir genau die Flexibilität verlieren, die wir jetzt brauchen, um wichtige Strukturen in Köln – etwa im Sport-, Kultur-, Jugend- und Sozialbereich – zu sichern und zu erhalten.

Wo wollen Sie denn sparen?

Wir haben frühzeitig auf die Krise reagiert und Personal und Finanzmittel auf die Krisenbewältigung und die Struktursicherung konzentriert. Schon Ende März habe ich mit einer sogenannten Bewirtschaftungsverfügung alle Dezernate aufgefordert, in ihren Etats zu prüfen, was jetzt gemacht werden muss und was vielleicht zurückgestellt werden kann. Das hat sehr gut funktioniert. Zum Beispiel werden die drei Millionen Euro zur Unterstützung der Kulturszene durch den Verzicht auf ein geplantes, aber derzeit nicht realisierbares Skulpturenprojekt finanziert.

Aber das ist eine eher kleine Summe. Werden demnächst weniger Straßen saniert und weniger Schulen gebaut?

Keineswegs. Investitionen sind bewusst ausgenommen. Angesichts des Investitionsstaus, den wir in Köln haben, müssen wir gerade jetzt in der Krise in Infrastruktur und Bildung investieren, um gestärkt daraus hervorgehen zu können. Es wäre kontraproduktiv, jetzt auf Investitionen zu verzichten.

Gilt das auch für die städtische Gesellschaft HGK, die bis Ende Juni für rund 200 Millionen Euro eine Binnenschiffreederei kaufen will?

Auch hier gilt: Investitionen, die sich rechnen und der Stadt langfristige Erträge einbringen, sind auch in Krisenzeiten gut und sinnvoll.

Was ist mit Prestigeprojekten wie dem Anbau des Wallraf-Richartz-Museums oder der Historischen Mitte? Kann und darf die Stadt hierfür noch hohe Millionenbeträge ausgeben angesichts der gewaltigen Haushaltslöcher wegen Corona? Sollte die Politik mit solchen Beschlüssen jetzt eher zurückhaltend sein?

Großprojekte sind immer, also auch in Nicht-Corona-Zeiten, sorgfältig abzuwägen. In den von Ihnen angesprochenen Fällen bestehen langjährige Zusagen der Stadt, die wir einhalten.

Wollen Sie Steuern und Abgaben erhöhen, um die Corona-Lasten zu finanzieren – zum Beispiel die Gewerbesteuer oder die Grundsteuer?

Nein. Und ich sage deutlich: Das ist eine Debatte zur Unzeit. Wichtig ist jetzt vor allem, dass die Konjunktur wieder in Fahrt kommt. Da sind Diskussionen über Steuererhöhungen völlig fehl am Platze. Allerdings steht bei der Grundsteuer, die zu den wichtigsten Einnahmequellen der Stadt Köln zählt, eine Reform an. Hier warten wir noch immer auf eine Entscheidung des Landes NRW, nach welchem Modell sie künftig erhoben werden soll. Da benötigen wir bald Klarheit.

Unter der Corona-Krise leiden auch städtische Unternehmen. Wie sehr belastet das den Haushalt? Ein Verlust der KVB in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro könnte die gesamte Ausschüttung der Stadtwerke für das Jahr 2020 auffressen.

Das volle Ausmaß der Belastung wird sich erst im nächsten Jahr zeigen. Dann könnte es zu geringeren Ausschüttungen an die Stadt oder zu einem höheren Zuschussbedarf kommen. Hilfen von Bund und Land sollten daher auch die Corona-Effekte in den Folgejahren berücksichtigen.

Zur Person

Prof. Dr. Dörte Diemert (45, parteilos) stammt aus Düsseldorf und lebt mit ihrem Mann im Agnesviertel. Am 24. Januar 2019 trat sie ihr Amt als Beigeordnete für Finanzen in Köln an, zuvor war sie Kämmerin und Stadtdirektorin in Duisburg. Zu den beruflichen Stationen der Juristin zählten das Kommunalwissenschaftliche Institut der Universität Münster, der Landkreistag NRW und der Deutsche Städtetag. Privat interessiert sie sich für das Segeln. Sie studierte in Düsseldorf und Frankreich und lehrt seit 2005 an der Uni Münster. (fu)

Was den öffentlichen Personennahverkehr betrifft: Gerade für diesen besonders betroffenen Bereich wäre ein Schutzschirm für kommunale Unternehmen wichtig. Solche Verluste können die Kommunen nicht alleine stemmen.

Zur Kommunalwahl am 13. September haben Sie das Amt der Wahlleiterin von Stadtdirektor Stephan Keller übernommen, der in Düsseldorf als OB-Kandidat antritt. Haben Sie bereits Erfahrung in diesem Bereich?

Ja. In Duisburg war ich Wahlleiterin bei einer Landtagswahl sowie bei einer Bundestagswahl, bei der parallel auch der Oberbürgermeister gewählt und ein Bürgerentscheid durchgeführt wurde. Von daher kenne ich die organisatorischen und logistischen Herausforderungen von Wahlen ganz gut.

Die werden unter Corona-Bedingungen noch größer ...

In der Tat. Wir müssen eine Wahl organisieren, die allen hygienischen Anforderungen genügt. Wobei sich die Vorschriften jederzeit ändern können, und wir unsere Vorbereitungen entsprechend anpassen müssen. Wir rechnen mit mehr Briefwählern, das erhöht den Aufwand. Wir benötigen daher auch mehr Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Jede und jeder, der sich hier engagieren möchte, ist herzlich willkommen!

Der Verein „Mehr Demokratie“ schlägt vor, allen Wahlberechtigten automatisch Briefwahlunterlagen zuzusenden und nicht nur auf Antrag. Was halten Sie davon?

Das gibt das Wahlrecht derzeit schlicht nicht her. Die Briefwahl ist keine Regelalternative zur Urnenwahl, sondern eine Ausnahme, die beantragt werden muss und die mit zusätzlichem Aufwand für unser Wahlteam verbunden ist. Zurzeit überprüfen wir bei allen Wahllokalen der Stadt, ob sie auch unter Corona-Bedingungen funktionieren, und suchen bei Bedarf Alternativen.

Wegen der Einschränkungen im Wahlkampf fordert „Mehr Demokratie“ auch, dass die Stadt eine Wahlinformation an alle Wahlberechtigten verschickt, in der jede Partei ihre wichtigsten Inhalte darlegen kann. Eine gute Idee?

Ich finde es gut, wenn Vorschläge gemacht werden, wie man Chancengleichheit und Teilhabe bei Wahlen erhöhen kann. Für Vieles bräuchte man allerdings nicht nur den Landesgesetzgeber, sondern vor allem Zeit – Zeit, die dann möglicherweise den Parteien fehlt.

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Schon jetzt sind unsere Fristen für den Druck von Wahlunterlagen und die Briefwahl knapp bemessen. Und wenn ich höre, dass der Landesgesetzgeber diese Fristen trotz Corona noch mal verkürzen will, dann setzt uns das möglicherweise noch zusätzlich unter Druck.

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