Kundgebung auf der Deutzer Werft70.000 Menschen demonstrieren in Köln gegen Rechts

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Mit bunten Transparenten versammelten sich die Demonstranten auf der Deutzer Werft.

Mit bunten Transparenten versammelten sich die Demonstranten auf der Deutzer Werft.

Zehntausende demonstrierten heute auf der Deutzer Werft in Köln gegen rechtsextreme Umtriebe. Laut Veranstalter kamen rund 70.000  Menschen.

„Wir alle sind das Volk“ ist auf einem Banner zu lesen. Das Volk hat sich aufgemacht, unübersehbar. Menschen strömen aus allen Himmelsrichtungen zur Deutzer Werft, sie ist schon um 11.30 zu Dreivierteln voll, viele der rund 15.000 Menschen, die vom Deutzer Bahnhof in Richtung Neumarkt gezogen waren, bleiben in dichten Trauben auf der Brücke stehen. Auf Plakaten und Spruchbändern fordern sie „AfD stoppen!“ oder „Kein Kölsch für Nazis“, proklamieren „Unser Land ist bunt“, „Nie wieder ist jetzt“ oder auch „Hass ist keine Meinung“ und „Hätz statt Hetze“.

Sie alle folgten am Sonntag dem Aufruf der Initiative „Köln stellt sich quer“ und demonstrierten unter dem Motto „Demokratie schützen - AfD bekämpfen“. Am Ende waren es rund 70.000 Menschen; lange nicht alle fanden auf der Werft Platz, die Siegburger Straße wurde gesperrt, der Bahnverkehr zeitweise eingestellt.   

Statt zwei wie zunächst geplant, dauerte das Programm auf der Werft fast drei Stunden, 74 Gruppen quer durch die Stadtgesellschaft unterstützten die Veranstaltung: Vom Kölner Flüchtlingsrat bis zum Festkomitee Kölner Karneval, die beide auch Redner auf der Werft haben, vom Klubkomm e.V. bis zu Pax Christi, von Cologne Pride bis zu den Kölner Willkommensinitiativen sowie Kölner Bands von den Höhnern bis Brings. Eine Deutschlandfahne flattert zusammen mit einer Regenbogenflagge an einem Stab. Ein junger Mann trägt ein Banner mit der Aufschrift „Initiative buntes Handwerk“, neben der sattroten Fahne des MLPD leuchtet die von der FDP in Magenta.

Bei der Demonstration gegen Rechts auf der Deutzer Werft präsentiert das Festkomitee Kölner Karneval einen Motivwagen aus dem Rosenmontagszug mit dem berühmten Götz-von-Berlichingen-Zitat.

Bei der Demonstration gegen Rechts auf der Deutzer Werft präsentiert das Festkomitee Kölner Karneval einen Motivwagen aus dem Rosenmontagszug mit dem berühmten Götz-von-Berlichingen-Zitat.

Auch Anette Dowideit vom Recherchenetzwerk „correctiv“ sprach zu den Demonstrierenden, war bewegt davon, wieviel die Arbeit des Kollektivs ausgelöst hatte. Dessen Offenlegung eines Treffens von AfD-Mitgliedern, Neonazis und Unternehmern und deren Forderung nach einer „Remigration“ - der zwangsweisen Umsiedlung - von Millionen von Menschen in Deutschland führt seit Tagen zu Protest-Demonstrationen gegen die AfD und rechtes Gedankengut in mehr als einem Dutzend Städten. „Wir sind die Mitte der Gesellschaft. Wir lassen uns die Demokratie nicht kaputtmachen“", sagte sie unter großem Beifall der Menschen. 

Zehntausende sangen mit den Fööss ihr Lied "Stammbaum"

Fürs vollkommene Wir-Gefühl brauchte es zwischen der Severinsbrücke und der Deutzer dann nur noch die Bläck Fööss, unterstützt von den Altmeistern Erry Stoklosa und Bömmel Lückerath. Mehrere Zehntausend sangen wie mit einer Stimme das Veedelslied und den „Stammbaum“. Und konnten sich über eine besondere Aktion des Festkomitee Kölner Karneval freuen. Das präsentierte erstmals einen Motivwagen schon vor dem Rosenmontagszug. Der Wagen zeigt die Figur des „Kallendressers“ von Ewald Mataré. Er präsentiert einer Reihe von Armen, die zum Hitlergruß ausgestreckt sind und aus einer braunen Masse aufragen, seinen nackten Hintern. Dazu gibt es das Zitat des Götz von Berlichingen: „Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken...!“

Der Narr hat sich angepasst, ist mitgeschwommen, wurde Teil des Systems. Narren, lernt aus der Vergangenheit! Seht, dass es dunkel wird, in unserer Stadt, unserem Land, unserem Veedel. Steht auf für Vielfalt, Toleranz, Inklusion und eine bunte Stadtgesellschaft.
Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval

Festkomiteepräsident Christoph Kuckelkorn blickte in seiner Rede dann  mit bitterersten Worten in die Vergangenheit. Er erinnerte daran, dass in den Zügen der 1930er Jahre Mottowagen durch die Stadt rollten, mit denen jüdische Kölner und Kölnerinnen an den öffentlichen Pranger gestellt wurde. „Der Narr hat sich angepasst, ist mitgeschwommen, wurde Teil des Systems“, sagte er, und mahnte: „Narren, lernt aus der Vergangenheit! Seht, dass es dunkel wird, in unserer Stadt, unserem Land, unserem Veedel. Steht auf für Vielfalt, Toleranz, Inklusion und eine bunte Stadtgesellschaft.“ Und auch Oberbürgermeisterin Henriette Reker rief  die Menschen dazu auf, wachsam zu sein und mit vielen über das Thema zu sprechen. „Wir sind die Mehrheit. Und wir werden keinem glauben, der sagt, er hätte von nichts gewusst.“ Tayfun Keltek, Vorsitzender des Kölner Integrationsrates, berichtet von vielen Menschen, die sich an ihn gewandt hätten. „Sie alle haben Angst. Ich bin so froh, dass so viele hier sind und dass wir zusammenhalten!“

Ich war noch nie auf einer Demonstration, aber irgendwann ist Schluss. (...) Das, was da passiert, nimmt bedrohliche Formen an.
Ilona Almut-Küpper, demonstrierte mit ihrem Kanu-Club

Dafür standen Demonstrierende jeden Alters, auch solche wie Ilona Almut-Küpper, die mit Mitgliedern ihres Kanuclubs Köln-Mülheim gekommen war; einige der Kanuten waren auch über den Rhein angereist.  „Wir haben Menschen aus zehn Nationen in unserem Verein. Ich war noch nie auf einer Demonstration, aber irgendwann ist Schluss.  Das, was da passiert,  nimmt bedrohliche Formen an“, sagt die Kanutin. Auf ihrem Plakat steht: Flagge zeigen! Yes, we can!

Neben ihr stehen einige junge Frauen, alle sind Krankenpflegerinnen im Porzer Krankenhaus, eine bunte Truppe mit ebensolchen Plakaten. „Wir konnte es erst gar nicht glauben, als wir gehört haben, was bei dem Treffen geplant wurde“, sagen sie unisono, und man merkt ihnen ihre Entrüstung an. Eine sagt: „In was für einem Land leben die eigentlich? Wir arbeiten jeden Tag zusammen auf unseren Stationen.“

Auch ein Paar mittleren Alters war noch nie auf einer Demo. Es kommt aus Merheim. „Zu dem, was da im Geheimen besprochen wurde, darf man einfach nicht schweigen. Wir leben doch seit Jahrzehnten mit Menschen aus vielen Ländern gut zusammen, sie haben hier ihre Familien und Geschäfte oder andere Arbeit!“ So wie die Psychologin Agi N. (27). Die gebürtige Kölnerin war mit einer Studienkollegin, deren Eltern aus Kambodscha stammen, nach Deutz gekommen, um hier mit ihrer alten Clique zu demonstrieren. „Meine Mutter ist Rumänin, mein Vater kommt aus Gambia“, sagt sie.   „Unsere Heimat, die ist hier.“

Migration ist ein Menschenrecht, Remigration ist verfassungsfeindlich – solche Ideen müssen mit allen politischen Mitteln bekämpft werden.
Claus Ulrich Prölß, Kölner Flüchtlingsrat

Joachim Frank, einer der Moderatoren der Veranstaltung,  brachte so schlicht wie eindringlich ins Bewusstsein: „Wenn die AfD an die Macht kommt haben wir als freie Presse verloren.“ Im Gespräch mit ihm versicherten die Vertreter aller Ratsfraktionen außer der AfD allen Menschen in Köln ihre Solidarität, ihr Einstehen für Vielfalt, Toleranz, Demokratie. Die Landtagsabgeordnete Berivan Aymaz (Grüne) tat dies auf sehr persönliche Weise. Sie berichtete von der Begegnung mit einem 13-jährigen Mädchen aus Afghanistan. „Sie hat mich gefragt, ob man sie jetzt aus dem Land schaffen werde. Ich habe ihr gesagt: Ja es gibt diese Menschen. Aber es gibt viel mehr, die sich gegen die Faschisten stellen“, so Aymaz. „Faschisten setzen auf diese Angst, aber die werden wir ihnen nicht geben. Ich habe keine Angst!“

Claus Ulrich Prölß vom Kölner Flüchtlingsrat fand auf dem Podium der Deutzer Werft ebenso klare Worte: „Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.“ Und: „Migration ist ein Menschenrecht, Remigration ist verfassungsfeindlich – solche Ideen müssen mit allen politischen Mitteln bekämpft werden.“ Es sei verstörend, dass vonseiten der CDU angestrebt werde, Asylverfahren in afrikanischen Staaten durchführen zu lassen, so Prölß unter großem Beifall der Demonstrierenden.

Dass in Köln politisches Engagement auch Freude machen und zum Ohrwurm werden kann, dafür war am Ende Jürgen Becker gut. „Wir sind weder Migranten noch LGBTQ, wir sind Menschen wie ich und Du“, tat er kund. Und: „Loss mer fiere, nit deportiere.“

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