Massen-Karambolage in DeutzUnfallfahrer aus Katar wird wegen versuchten Mordes angeklagt

Lesezeit 4 Minuten
Zertrümmerte Autos stehen nach dem Raser-Unfall vom 18. August 2023 auf der Opladener Straße in Köln-Deutz.

Zertrümmerte Autos stehen nach dem Raser-Unfall vom 18. August 2023 auf der Opladener Straße in Köln-Deutz.

Er hat ein Bild der Verwüstung im Schatten der Lanxess-Arena hinterlassen. Nun steht fest, ein 28 Jahre alter Raser aus Katar wird sich deshalb wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten müssen.

Dass Justitia blind ist, diesem Angeklagten kommt es ganz besonders zugute. Denn die Spur der Verwüstung, die er im vergangenen Jahr in Deutz hinterlassen hatte, nimmt nicht für ihn ein. Mag Köln als Anziehungspunkt für Raser auch Schreckensbilder von Unfällen gewöhnt sein, was sich den Beobachtern und der Polizei am Freitagabend des 18. August 2023 für eine Szenerie vor Augen stellte, sucht selbst in der Domstadt seinesgleichen. Mehrere Autos wurden auf der Opladener Straße ineinander geschoben. Und zuvorderst liegt ein zertrümmerter Audi auf dem Dach eines Renaultkleinwagen.   Aus dem Audi wurde ein 28 Jahre alter Katarer gerettet – erst ins Krankenhaus gebracht und später in Untersuchungshaft. Nun liegt dem Landgericht Köln eine Anklage gegen ihn vor. Die Staatsanwaltschaft erhebt keinen geringeren Vorwurf als „versuchter Mord“.

Zehn beschädigte Autos, 14 verletzte Menschen   – und eine Frage: Wie kam der Audi auf das Dach des Renault. Wem der erste Schreck ob des Trümmerhaufens auf der Opladener Straße aus den Gliedern gefahren war, der konnte bei nüchternem Nachdenken nur zu einem Schluss kommen: Die Audifahrer fuhr von hinten auf die Autoschlange auf, schob die Pkw zusammen, hob ab und landete auf dem Kleinwagen. Und damit ist eine Vorstellung von der Geschwindigkeit gegeben, die der 28-jährige Unfallfahrer auf dem Tacho stehen haben musste, um solche Gewalten entfachen zu können.

Mutmaßlich mit 130 Sachen unterwegs

Auf dem kleinen Audi prangte auf dem Heck die Typenbezeichnung „RS Q3“. Unter der Haube   arbeitete ein auf 400 PS hochgetuntes Aggregat.   Komponenten, die gerne den Fahrzeugschein eines Rasers ausmachen. Die Ermittler werteten die Spuren rund um die Unfallstelle aus und loggten sich in den Bordcomputer des kleinen Boliden ein. So rekonstruierte sich folgender mutmaßlicher Unfallhergang. Der 28-jährige Fahrer muss mit rund 130 Kilometer pro Stunde auf die Opladener Straße in Richtung Staatenhaus gerast sein. Ob er nun aus dem Auenweg, von der Deutzer Brücke oder der Siegburger Straße kam – das konnte er nach ersten Erkenntnissen nur geschafft haben, indem er rote Ampeln missachte.

Der Wagen, die Örtlichkeiten, die Geschwindigkeit: Alles Fakten, die den Verdacht erhärten, da war ein klassischer Raser (siehe Infokasten am Textende) unterwegs. Trifft oder traf sich die Szene doch mit Vorliebe im Bereich des Auenwegs und der Siegburger Straße.   Folglich sprach die Polizei im Nachgang auch von einem Rennen. Der junge Mann kam nach langem Krankenhausaufenthalt in Untersuchungshaft. Und weil der 28-Jährige Katarer ist, blieb er da auch: Fluchtgefahr.

Kein Hinweis auf Gegner eines Autorennens

Soweit der erste Blick. Doch bei einem zweiten Blick bekommt das Bild des klassischen Rasers zumindest feine Risse. Der junge Mann war wenige Tage vor dem Unfall aus Katar angereist. Er war für eine Behandlung in einer Fachklinik angemeldet. Zwar muss das nicht zwingend gegen das Klischee des Rasers sprechen, jedoch: Der Audi RS Q3 war gemietet. Die Polizei ging zwar von einem Rennen aus, es gibt aber keine Hinweise auf einen „Gegner“ im motorisierten Kräftemessen. Das nennt sich dann im besten Amtsstubendeutsch: „Alleinrennen“.

Wahrscheinlich könnte der Beschuldigte selbst Licht ins Teildunkel bringen. Doch so weit bekannt, machte er bisher von seinem Schweigerecht gebrauch. Mit dem Kölner Anwalt Sebastian Schölzel steht ihm ein Verteidiger zur Seite. Der wiederum wirft ein ganz anderes Licht auf die Deutzer Trümmerlandschaft: „Ich gehe von einem medizinischen Notfall aus“, bestätigt er seine Sichtweise auf Nachfrage der Rundschau erneut. Dafür gebe es äußere Anhaltspunkte, unterstreicht der Jurist seine These. Er wertet das Fehlen von Bremsspuren als Indiz dafür, dass sein Mandant körperlich nicht mehr in der Lage war, auf die Bremse zu treten.

Schölzel zeigt sich durchaus überrascht von der Entwicklung, den die Anklage gemacht hat. Nach dem Unfall war Haftbefehl wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens ergangen. Im vergangenen September wurde der bestehende Haftbefehl „erweitert“ und lautete fortan auf „versuchter Totschlag“. Nun hat die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben wegen „versuchten Mordes“. „Das Unfallgeschehen sieht nicht im Ansatz nach Mord aus“, sagt der Schölzel dazu.

Nun muss die zuständige Kammer des Landgerichts darüber entscheiden, ob die Anklage zugelassen wird. Erst im Anschluss könnte dann ein Verhandlungstermin festgesetzt werden.


Die Raserszene

1500 Euro monatliche Leasingrate werden schnell als Leasingrate fällig für ein hochmotorisiertes Modell aus der Premiumklasse der Autohersteller. Ernst Klein, Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Verkehrsinspektion 1 bei der Kölner Polizei ist der Frage nachgegangen, wie sich die zumeist jungen Männer aus der Raserszene solche Autos leisten können. So kam er schließlich dem „Geschäftsmodell“ der Raser auf die Spur: 6 der Boliden-Fans tun sich im Schnitt zusammen, einer meldet ein Gewerbe an, über den der Luxusrenner geleast wird und die Raten werden geteilt. „Fakt ist, dass wir eine deutliche Zunahme der verbotenen Kraftfahrzeugrennen feststellen“, sagte Klein der Rundschau.Und das, obwohl die Rennen seit 2017 nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, sondern als Strafbestand. (tho)

Nachtmodus
Rundschau abonnieren