Köln – Von dem Schlag hat sich der KVB-Rad-Betreiber Nextbike immer noch nicht erholt. Oder besser gesagt: Von den Schlägen. Dem Aufruf auf der Video-Plattform TikTok, mit einem Stein das Schloss der Räder zu zerschlagen, folgte eine Zerstörungswelle. Auf dem Höhepunkt, waren von 3000 Leihrädern gerade noch 200 auf Kölner Straßen. Die Folgen für Nextbike sind enorm. Immer noch muss ein erheblicher Teil der Flotte repariert werden. Für dieses Jahr geplante Innovationen bleiben aus. Die Folgen für die Täter indes sind verschwindend gering. Ende November wird es wohl zu einer Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Köln kommen. In einem einzigen Fall. Und dabei wird noch nicht einmal der Vorwurf der Sachbeschädigung erhoben.
Zerstörungen ohne Beispiel
Im vergangenen Februar zog das erste TikTok-Video seine Kreise. Es zeigte, wie unter massiver Gewaltanwendung die Sicherung des Leihrades zu überwinden ist. Das es dabei allein um blinde Zerstörungswut ging zeigt allein der Umstand, dass sich der Täter kreis fast ausschließlich aus Schülern zusammensetzte, wie die Ermittlungen der Polizei ergaben. Die haben diese mit ihrem Schülerticket – wie alle KVB-Abo-Kunden – beliebig viele 30-Minuten-Fahrten mit dem Leihrad frei. Was der Aufruf in Köln auslöste, suchte seines gleichen. Nextbike betreibt europaweit Fahrradleihsysteme. In keiner anderen Stadt sei es zu diesem Phänomen gekommen. Die Videos sind mittlerweile verschwunden. „Die Zerstörungen haben aufgehört“, bestätigt ein Sprecher der KVB. Doch auf dem Betriebshof von Nextbike in Köln stehen immer noch rund 1000 Räder, die auf ihre Reparatur harren. Gut 300 Räder wurden so stark beschädigt, das für sie keine Hoffnung mehr gibt.
Verstärkung geholt für Reparaturen
Die technische Lösung liegt mittlerweile vor: Ein neues, massives Schloss. Es widerspricht der Grundregel, Räder möglichst leicht zu halten. Doch nur schweres Metal kann den Schlägen mit Steinen entgegengesetzt werden. Unter dem Auswirkungen der Pandemie war die Herstellung und Beschaffung nicht leicht. Doch mittlerweile sind ausreichend neue Schlösser da. Das jetzige Problem von Nextbike ist allerdings, die Schlösser zu montieren. „Das Tagesgeschäft läuft gut. Alle Kräfte sind voll eingebunden“, berichtet KVB-Sprecher Stephan Anemüller aus dem laufenden Betrieb. Es blieben kaum Kapazitäten, um die Nachrüstungen bei den noch zu reparierenden 1000 Rädern durchzuführen. „Darum hat sich Nextbike Verstärkung geholt“, berichtet er. Rund sieben Mitarbeiter des Unternehmens kommen demnach aus Polen angereist und konzentrieren sich auf den Einbau der neuen Schlösser.
Vandalismus bremst Neuerungen aus
Die Zerstörungswelle band und bindet noch viele Kräfte. „Eine Reihe von technischen Optimierungsprojekten sind zunächst auf der Strecke geblieben“, berichtet Anemüller. So blieben beispielsweise für die geplante 5G-Ortung keine Kapazitäten mehr über. In diesem Jahr wollte Nextbike die Flotte in Köln mit E-Bikes ausbauen. Auch der Plan hat sich zerschlagen.
Mehr Nachfrage als Räder
1,2 Millionen Ausleihen zählt Nextbike in Köln bisher. Vor dem Hintergrund, dass es wochenlang nur noch 200 Räder im System gab, beachtlich. Hätte es die Zerstörungswelle nicht gegeben, wären laut Nextbike über 2 Millionen Ausleihen drin gewesen. Nun übersteigt die Nachfrage das Angebot bei ausgedünnten Flotte. In der Innenstadt würden die Räder mehr als zehn Mal am Tag ausgeliehen. Eine Zahl, bei der Nextbike normalerweise mit mehr Rädern nachsteuern würde. Alleine, um Verschleiß zu mindern. Doch woher nehmen?
So gut wie keine juristischen Folgen
Für den 21. November ist am Amtsgericht Köln eine Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit angesetzt. Angeklagt nach Jugendrecht ist ein 14 Jahre alter Jugendlicher. Es geht um ein (!) KVB-Rad. Allerdings nicht um Sachbeschädigung, sondern um Unterschlagung. „Er soll ein Leihrad mit bereits beschädigtem Schloss gefunden und mitgenommen haben“, sagt ein Gerichtssprecher. Die Ermittler machten zudem zwei Täter aus, die Zerstörungsvideos eingestellt und zum Nachahmen aufgefordert hatten.
Wie die Rundschau berichtete, kommt es gegen sie nicht zum Verfahren. Der eine „Verursacher“ war zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt. „Der zweite Fall wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt“, erklärt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Weil „Geringfügigkeit“ im Zusammenhang mit der Vandalismuswelle erklärungsbedürftig scheint, ergänzt sie: „Im Jugendrecht geht es nicht um Strafe, sondern um den Erziehungsgedanken.“
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Neben den beiden „Verursachern“ wurden über 43 Sachbeschädiger ausgemacht. „Hier verhält es sich überwiegend ähnlich“, sagt die Sprecherin. Die Verfahren wurden eingestellt, weil die Täter zur Tatzeit noch nicht 14 Jahre alt waren oder eben wegen „Geringfügigkeit“. Auch wenn Nextbike den Schaden nicht genau beziffern möchte – das sei wegen der vielschichtigen Folgen und Aspekte schwer – umschreibt das Unternehmen ihn immerhin als einen „hohen sechsstelligen Betrag“.