Bislang seien die Kölner Suchthilfeträger nicht in die laufende Planung einbezogen worden – im Gegensatz zu Betroffenen, Polizei und externen Fachleuten.
Suchthilfe am Kölner NeumarktSoziale Träger fordern Mitarbeit ein - „Bereit, Verantwortung zu übernehmen“

Suchtkranke Menschen gibt es in Neumarktnähe viele. Sie brauchen Hilfe und einen geschützten Ort.
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Mit Nachdruck fordern die beiden großen Kölner Suchthilfeträger Sozialdienst Katholischer Männer (SKM) und Drogenhilfe Köln die Stadt auf, sie in die aktuelle Weiterentwicklung des Suchthilfekonzeptes für die Innenstadt einzubeziehen. Ihr Ziel: das Hilfsangebot mit größtmöglicher Sachkenntnis so umzusetzen, dass es eine dauerhafte Entlastung für suchtkranke Menschen und betroffene Anwohner bewirkt.
„Die aktuellen Herausforderungen am Neumarkt können nur durch die enge Zusammenarbeit der Stadt Köln mit den erfahrenen Trägern bewältigt werden“, betont Markus Wirtz, Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln. „Wir sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und erwarten, aktiv in die Weiterentwicklung des Suchthilfekonzepts eingebunden zu werden“, sagt Jens Röskens, Vorstand des SKM Köln. Bislang seien die Kölner Suchthilfeträger nicht in die laufende Planung einbezogen worden – im Gegensatz zu Betroffenen, Polizei und externen Fachleuten.
Inbetriebnahme vor dem 31. März 2026
Anlass für diese in einem offenen Brief an Verwaltung und Politik formulierten Forderung war der am 29. September im Hauptausschuss vorgelegte Fahrplan für den „Betrieb einer Aufenthaltsfläche in Neumarktnähe“. Umgesetzt werden soll dieses „Interimslösung“ laut Verwaltung „vor dem 31. März 2026“. Konzept- und Standortfragen sollen „in zeitnah stattfindenden Workshops unter Mitwirkung Betroffener, der Polizei, überregional und auch international agierender Fachleute sowie gesundheitspolitischer Ratsmitglieder vorbereitet werden“, heißt es dort. Bis zum 15. Oktober sollen mehrere Flächen oder Immobilien auf ihre Nutzbarkeit hin geprüft und eine Vorentscheidung getroffen werden. Bis Ende November soll ein Förderprogramm zum Betrieb des Zentrums „durch einen oder mehrere Träger“ auf der Basis „auslotender Abstimmungen“ mit Trägern vorliegen.
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Haben viel Erfahrung in der Suchthilfe: Jane van Well, Jens Röskens, Markus Wirtz und Andreas Sevenich (v.l.).
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„Das ist ein extrem enger Zeitplan für zukünftige Träger. Deswegen müssen wir ab jetzt in die Gespräche einbezogen werden. Unsere Fachkräfte arbeiten jeden Tag mit suchtkranken Menschen, wir wissen, wie wir diese Menschen mit Hilfsangeboten dauerhaft erreichen“, so Röskens und Wirtz (siehe Infokasten).
Dass der Handlungsbedarf enorm ist, belegen die Zahlen der Träger. 29.508 Konsumvorgänge hat es im ersten Halbjahr 2024 im Konsumraum am Neumarkt gegeben —190 pro Tag und damit 75 Prozent mehr als im Jahr 2022 (109 pro Tag). Nach einer Studie im Auftrag des Gesundheitsministeriums NRW hat sich die Zahl derjenigen, die in Neumarktnähe Crack konsumierten, zwischen Ende 2023 und Ende 2024 mehr als verdoppelt. Die Polizei meldet aktuell rund 16 Notrufeinsätze pro Tag, auch Anwohnende und Geschäftsleute leiden massiv unter der Situation.
Menschen, die von Crack abhängig sind, benötigen andere Hilfsangebote als die bestehenden, die einen hygienischen intravenösen Konsum ermöglichen. Crack wird nicht gespritzt, sondern geraucht. Und das passiert bei zehn und mehr Konsumvorgängen täglich häufig im öffentlichen Raum. „Wer Crack konsumiert, hat oft keinen Tag-Nacht-Rhythmus mehr, teils schlafen diese Menschen tagelang gar nicht“, schildert Jane van Well, Sachgebietsleiterin „Niederschwellige Hilfen“ beim SKM. „Sie brauchen ein Angebot, in dem sie Schutz und Ruhe finden und das 24 Stunden am Tag zugänglich ist.“ Sowohl für heroin- als auch für crackabhängige Menschen sollte es auch sanitäre Einrichtungen, ein Behandlungszimmer, ein Essen zum Selbstkostenpreis und Beratungsangebote umfassen, um Abhängige an Hilfen wie etwa die Substitutionstherapie heranführen zu können. Nach dem Konsum von Crack folgen auf den kurzen Rausch nicht selten Depression, Gereiztheit oder Aggressionen. „Deshalb muss das Hilfeangebot ausreichend Platz anbieten, um Konfliktsituationen ausweichen und deeskalieren zu können“, so die Erfahrung von Andreas Sevenich, dem Leiter der Substitutionsambulanz der Drogenhilfe am Neumarkt.
Die SKM-Kontaktstelle am Hauptbahnhof mit Aufenthalts-, Beratungs- und Konsummöglichkeit sowie günstigem Essen und Getränken werde von 30 bis 40 Menschen gleichzeitig genutzt, so van Well. „Am Neumarkt werden es deutlich mehr sein. Wir hoffen, dass wir mindestens 50 Menschen Plätze zur Verfügung stellen können, die sie im Wechsel mit anderen nutzen. Alle, die sich dort aufhalten, müssen nicht mehr in den Straßen und Hauseingängen der Innenstadt konsumieren, ausruhen oder schlafen.“ Wie am Hauptbahnhof könne man auch am Neumarkt einen regelmäßigen Arbeitskreis von Anwohnenden, Geschäftsleuten, Trägern und Polizei etablieren.
Künftiger OB Burmester: „Das muss man einfach ernst nehmen“
„Wir müssen jetzt an der Suche nach Orten und Räumen beteiligt werden, um einschätzen zu können, was passieren muss, damit eine Einrichtung funktioniert, auch wenn manche Aspekte nicht optimal sind“, fordert Wirtz. Eine Containerlösung halten die Träger für praktikabel, allerdings nicht auf dem Josef-Haubrich Hof. „Dort ist viel zu wenig Platz“, so van Well. Denkbar wären etwa Standorte wie ein Areal an der Poststraße und der Bereich Alte Mauer am Bach, wo bereits jetzt häufig konsumiert werde, oder ein Teil des Pantaleons-Parks.
Angesichts der zeitlichen Dringlichkeit halten die beiden Suchthilfeträger eine verbindliche Klärung der Finanzierung der Hilfen, eine rasche Konkretisierung des geplanten Angebots „sowie eine kurzfristige Einladung zu den angekündigten auslotenden Gesprächen für geboten“.
Auf das Interim folgen sollen laut Stadt drei dauerhafte Hilfezentren in Anlehnung an das Konzept des Züricher Modells; dafür sind rund 14 Millionen Euro erforderlich. Die Situation am Neumarkt gehört zu den drängendsten Themen, die auf den künftigen Oberbürgermeister Torsten Burmester zukommen. Burmester sagte im Rundschau-Interview: „Wir müssen hinschauen und den Menschen helfen, aber gleichzeitig dafür sorgen, dass im öffentlichen Raum kein offener Drogenkonsum mehr stattfindet.“ Anwohnende fordern nun schnelle Maßnahmen von der Stadt. „Das muss man einfach ernst nehmen“, sagte Burmester.