Unfalltod am Bahnübergang„Gerechtigkeit für Lisa“ – Eltern verklagen Stadtwerke

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Gesperrt wurde der Übergang nach dem Unfall auf Anweisung der Polizei. Das Verfahren ist mittlerweile eingestellt.

Gesperrt wurde der Übergang nach dem Unfall auf Anweisung der Polizei. Das Verfahren ist mittlerweile eingestellt.

  • Die Eltern der Unfalltoten Lisa Dohmann werden den Kölner Stadtwerkekonzern verklagen.
  • Ihre Tochter starb im Alter von 27 Jahren, nachdem sie an einem Gleisübergang auf der Luxemburger Straße von einer Stadtbahn der Linie 18 erfasst wurde.
  • Mit dem tiefen Schmerz mischt sich Wut und Empörung über das Vorgehen.

Köln – Sie wissen, sie müssen lernen, mit der Trauer zu leben. Vor rund einem Jahr haben Annette und Bernd Dohmann ihre Tochter Lisa verloren. Schlagartig aus dem Leben gerissen. Von einer Stadtbahn der Linie 18. Auf der Luxemburger Straße, an der Gleisquerung Höhe Wittekindstraße. Doch es ist so schwer, mit der Trauer umzugehen. Nicht nur, weil alles noch so nah ist, sondern auch, weil sich Wut unter die Trauer mischt. Wut über all die Anzeichen, dass da etwas nicht stimmte mit der Ampel an diesem Übergang. Wut darüber, dass alle diese Hinweise einfach ignoriert wurden. Und nicht zuletzt: Wut darüber, wie der Kölner Stadtwerkekonzern mit ihnen nach dem Tod ihrer Tochter umgeht. Doch die Wut wollen sie nun wenden. Wenden in die Kraft, die sie brauchen, um den Kampf aufzunehmen.

Eine Welt bricht in Sekunden zusammen

Seit zwei Jahren wohnte Lisa Dohmann in Köln. „Sie war dort so glücklich“, sagt ihre Mutter. Mit ihrer Freundin hatte die 27 Jahre junge Frau ein schöne Wohnung gefunden. Sie arbeitete bei einem Versicherungsunternehmen im Innendienst. Und sie hatte Pläne: Die Unterlagen für ein Studium waren schon angefordert. Die Welt war also in bester Ordnung als die modebewusste und sportliche junge Frau am Abend des 15. Januar 2019 das Fitnessstudio an der Luxemburger Straße verließ. Ihr Freund war noch geblieben, trainierte weiter, als er auf einmal aus dem Fenster des Studios sah, dass da etwas passiert war an dem Übergang. „Er schickte Lisa noch eine Nachricht aufs Handy, sie solle auf sich aufpassen“, berichtet Annette Dohmann. Doch die Nachricht erreichte Lisa nicht mehr. Sie lag schon lebensbedrohlich verletzt neben dem Gleisbett der Linie 18. „Ihr Puls war noch zu spüren“, steht in dem Protokoll der Polizei. Kurz nach Mitternacht hörte ihr Herz auf zu schlagen. „Die Nacht vor dem Unfall hatte sie bei mir geschlafen. Morgens haben wir uns noch voneinander verabschiedet. Es war das letzte Mal, dass ich Lisa sah“, sagt Annette Dohmann.

Der Unfall von Lisa Dohmann sorgte für Schlagzeilen. Denn schnell wurde klar, er ist so ganz anders als die viel zu vielen Fälle, in denen junge Menschen mit Kopfhörer in den Ohren und die Augen aufs Handy gerichtet über Gleise der Kölner Verkehrs-Betriebe gehen. Taub und blind für die herannahende Bahn. „Im Polizeiprotokoll steht, Lisas Handy befand sich unversehrt in der Sporttasche. An der Unfallstelle wurden keine Kopfhörer gefunden“, sagt Bernd Dohmann. In den Protokollen steht noch mehr. Beispielsweise die Zeugenaussagen, die die Polizei aufgenommen hat. Eine junge Italienerin berichtet: „Ich war gerade erst in Köln angekommen und ich stand direkt neben der Frau, die dann gestorben ist.“

Weitere Details

Der Fahrer der Unfallbahn war in Diensten der Stadtwerke Bonn (SWB) . Die Kölner Verkehrs-Betriebe (KVB) betreiben die Linie 18 zusammen mit den SWB. Weil sich der Unfall in Köln ereignete, übernahm der Kölner Stadtwerkekonzern, zu dem die KVB gehört, den Fall .

Zeugen für ihre Klage suchen die Eltern von Lisa Dohmann mit einem Aufruf an der Unglücksstelle . Bis heute reißt der Strom an Meldungen nicht ab, die von fehlerhaften Signalen berichten.

Eine interne Anweisung für den Übergang Höhe Wittekindstraße soll es vor den Unfall gegeben haben. Die Fahrer sollen langsam fahren und Signal geben. Doch das erreichte nicht die SWB. (ngo)

Sie schätzt, sie hätten schon einige Minuten gewartet, als endlich die Fußgängerampel auf Grün umgeschlagen sei. Sie wollte gerade losgehen, da hörte sie Rufen, Schreie. Schnell machte sie noch einen Schritt zurück. „Die Bahn fuhr direkt vor meiner Nase durch.“ Weitere Zeugen berichteten so wie sie, die Ampel habe Grün anzeigt, während die Bahn durchfuhr. Allein ein Zeuge berichtet es etwas anders. Die Ampel an dem Gleis für die Fahrtrichtung Innenstadt, an der Lisa Dohmann stand, habe auf Rot gestanden. Umgeschlagen auf Grün sei hingegen die Fußgängerampel am zweiten Gleisstrang für die Bahnen mit Fahrtrichtung stadtauswärts. Also ging Lisa Dohmann doch über Rot, weil sie auf die falsche Ampel schaute?

Widersprüchliche Zeugenaussagen

„Aufgrund dieser Zeugenaussage wurde der Phasenplan in Augenschein genommen“, steht in einem Aktenvermerk, geschrieben von einem Hauptkommissars der Kölner Polizei. „Hierbei wurde festgestellt, dass die Fußgängerampeln über die Gleise gleichgeschaltet sind. Die Aussage des Zeugen, dass zum Unfallzeitpunkt eine Fußgängerampel über die Gleise Rotlicht zeigte, während die andere Ampel Grünlicht anzeigte, kann somit nicht zutreffen.“ Der Hauptkommissar hat noch mehr festgestellt, als er den Phasenplan studierte. „Für die Fahrtrichtung des Bahnfahrers existiert eine sechs Sekunden lange Gelbphase.“

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An dieser Stelle starb die 27-Jährige Lisa.

Auch die Aufzeichnungen der Videoüberwachung innerhalb der Unfallbahn hat er sich genau angeschaut. Drei bis vier Kameras befinden sich an der Decke jedes Wagens. Als die erste Kamera auf Höhe des Signals für den Bahnfahrer ist, steht das auf „Halt“. So ist es auf den Bildern zu sehen. Mehr noch: „Zu diesem Zeitpunkt zeigt die Fußgängerampel über die Gleise laut Phasenplan Grünlicht an“, steht weiter in dem Aktenvermerk. Mit rund 40 Stundenkilometer war der Bahnfahrer unterwegs, als er Lisa aus dem Leben riss. Hatte er vielleicht das Signal vor dem Übergang in der letzten Sekunde einer sehr langen Gelbphase passiert – so spät, dass Lisa und die anderen Fußgänger kurz drauf Grün bekamen?

Ein Umkehrschluss als Beweis

Bei den Ermittlungen gegen den Bahnfahrer wurde diese Frage nicht gestellt. Ihm wurde vorgeworfen, über Rot gefahren zu sein. Ein rund 60 Seiten dickes Gutachten kommt allerdings zu dem Schluss, das Signal zeigte beim Passieren nicht Rot, sondern Gelb. Der Gutachter zieht schließlich den Umkehrschluss. Sinngemäß: Wenn der Bahnfahrer nicht über Rot gefahren ist, dann könne davon ausgegangen werden, dass Lisa Dohmann über Rot gegangen sein muss. Verfahren eingestellt.

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Was aber ist mit den Zeugenaussagen, die von einer grünen Fußgängerampel berichten, was mit den Hinweisen von Anwohnern, dass sie schon im Vorfeld des Unfalls beobachtet hätten, die Bahn fahre durch, obwohl die Fußgängerampel Grün zeigt? Für einen weiteren Bahnübergang an der Luxemburger Straße in direkter nähe des Unfallortes hat die Elternpflegschaft einer benachbarten Schule die Warnung an die Eltern ausgegeben, dass die Fußgängerampel fehlerhaft signalisiere. Und ist es nicht auch merkwürdig, dass erst zwei Tage vor Lisas Unfall an dem Übergang eine Behelfsampel installiert wurde? Die alte Anlage wurde abgeschaltet, damit sie für eine neue demontiert werden konnte. „Die Behelfsampel war richtig angeschlossen und hat einwandfrei funktioniert“, antwortete damals die Stadtverwaltung auf Nachfrage der Rundschau. Akte geschlossen.

„Wir werden Klage einreichen“

Wobei, nicht ganz geschlossen. Wegen einer Sache nimmt der Kölner Stadtwerkekonzern noch einmal schriftlich Kontakt zu den Eltern von Lisa Dohmann auf. Immerhin sei ja jetzt durch die eine Zeugenaussage und durch das Gutachten belegt, dass Lisa über Rot gegangen sei. „Hiermit melden wir Schadensersatzansprüche an. Der Straßenbahnfahrer hat aufgrund der Ereignisse einen Schock erlitten, aufgrund dessen er mehrere Wochen arbeitsunfähig war. Weiterhin ist ein Schaden an der Bahn entstanden.“ Das Maß ist voll. Für Annette und Bernd Dohmann sowie für ihren Anwalt steht fest: „Wir werden Klage einreichen.“ Sie wollen Gerechtigkeit. Für Lisa.

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