Wie geht es weiter?Führungswechsel bei Kölner Kliniken – Uniklinik mit Defiziten

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Ein Schild der Kölner Kliniken.

Michael Fuchs – Vor fast genau vier Jahren standen die Kliniken der Stadt Köln schon mal am Scheideweg. Am Freitag, 13. April 2018, wird Geschäftsführer Roman Lovenfosse-Gehrt angesichts der dramatischen Finanzlage entlassen. Katastrophales Missmanagement, einsame Entscheidungen, Verlust der Unternehmenskultur lauten die Vorwürfe gegen ihn. Das ganze Ausmaß der Verluste wird erst später klar: 39,5 Millionen Euro Miese stehen am Ende für 2017 in den Büchern.

Die Situation vier Jahre später scheint wie ein Déjà-vu. Die Defizite sind gewachsen. Geschäftsführer Holger Baumann, im Sommer 2018 als Sanierer geholt, aber bisher wenig erfolgreich, hat das Handtuch geworfen und zum 30. September weg. Der Klinische Direktor Horst Kierdorf und Finanzdirektor Daniel Brozowski mussten die Kliniken auf Druck von Stadt und Aufsichtsrat zum 1. April verlassen (wir berichteten). Wie geht es jetzt weiter? Eine Analyse.

Warum der abrupte Führungswechsel?

„So konnte es nicht mehr weitergehen“, heißt es aus dem Aufsichtsrat. Das Vertrauen in die Geschäftsleitung war dahin. Hohe Verluste, kaum Fortschritte bei der Sanierung, und dann reichten auch noch der Chefarzt der bundesweit renommierten Thorax-Chirurgie in der Lungenklinik, Prof. Dr. Erich Stoelben, und der Großteil seines Teams die Kündigung ein. Wo stehen die Kliniken finanziell? Die Verluste haben sich ausgeweitet. 2018 betrug das Minus laut Geschäftsbericht 46,4 Millionen, 2019 waren es 50,3 Millionen, 2020 48,6 Millionen. Für 2021 ist von bis zu 60 Millionen Euro Defizit die Rede. Allerdings haben nicht nur die städtischen Kliniken Finanzprobleme. Die Uniklinik hat ihre Verluste 2020 auf 90,1 Millionen Euro verdreifacht (siehe Info-Text).

Wer kommt für die Verluste auf?

Uniklinik in den roten Zahlen

90,1Millionen Euro betrug laut Geschäftsbericht das Defizit der Universitätsklinik Köln im Jahr 2020. Damit hat sich der Fehlbetrag im Vergleich zum Vorjahr, als 31,2 Millionen Euro Defizit anfielen, fast verdreifacht. Davor hatte die Uniklinik jahrelang schwarze Zahlen geschrieben. 2018 lag der Gewinn bei 1,2 Millionen Euro, 2017 bei 9,8 Millionen, 2016 bei 5,1 Millionen. 800 Millionen Euro Umsatzerlöse hat die Uniklinik im Pandemie-Jahr 2020 erzielt, 54,7 Millionen mehr als im Jahr 2019. Die sonstigen betrieblichen Erträge gingen jedoch von 428,2 auf 399,7 Millionen zurück. Als Grund für den stark gestiegenen Fehlbetrag verwies Uniklinik-Sprecher Timo-Mügge auf die Folgen der Pandemie. Die Uniklinik, die eine Einrichtung des Landes NRW ist, hofft jetzt auf Hilfe aus der Landeskasse. „Die enorme Zusatzbelastung der Uniklinik Köln ist für den Corona-Rettungsschirm angemeldet worden. Bisher haben wir diese Mittel noch nicht erhalten“, erklärte Mügge.

2019 waren laut Uniklinik „Lücken in der Krankenhausfinanzierung“ der Grund dafür, dass die Klinik erstmals seit langem Verluste machte. Besonders habe sich „der Fachkräftemangel in der OP- und Intensivpflege bemerkbar gemacht“ – weniger OP-Betrieb und Mehrkosten für Leiharbeit waren die Folge. Auch 2021 wird die Uniklinik erneut wieder rote Zahlen schreiben. Zwar liege der Abschluss noch nicht vor, so Mügge, derzeit könne aber „davon ausgegangen werden, dass der Jahresfehlbetrag deutlich unterhalb des Vorjahres liegt. Dies hängt im Wesentlichen mit dem Verlauf und den geänderten Auswirkungen der Corona-Pandemie zusammen, die auch im Jahr 2021 einen erheblichen Einfluss auf das Jahresergebnis hatten.“ (fu)

Als Alleineigentümerin musste die Stadt Köln mehrfach mit Darlehen einspringen, um ihre Kliniken vor der Zahlungsfähigkeit zu retten. Ende 2020 schuldeten die Kliniken der Stadt bereits 257,1 Millionen Euro – Tendenz steigend. Dass sie das Geld jemals zurückzahlen können, gilt als unwahrscheinlich. Die gesamten Verbindlichkeiten betrugen laut Geschäftsbericht 319,2 Millionen Euro – 66,7 Millionen mehr als ein Jahr zuvor.

Warum bekommt man die Verluste nicht in den Griff? Seit 2017 wurden diverse Sanierungskonzepte erstellt, doch ein durchgreifender Erfolg blieb aus. Geschäftsführer Baumann schloss die Wäscherei und stellte die Essensversorgung um, doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hauptproblem bleiben sinkende Patientenzahlen bei steigenden Kosten. Weil Pflegepersonal fehlt, aber auch wegen baulichen Mängeln wurden ganze Abteilungen geschlossen. Baumann argumentiert, Corona-bedingt habe man weniger Operationen durchführen können und dadurch Erlöse verloren. Doch auch ohne Pandemie leiden die Kliniken unter teuren Doppelstrukturen und schwacher Auslastung. 2020 waren im Krankenhaus Holweide nur 56,7 Prozent der Planbetten belegt, in Merheim 57,4 Prozent.

Wie soll die Effizienz verbessert werden?

Ende 2019 haben Aufsichtsrat und Stadtrat das „2+1“-Konzept beschlossen. Ziel: Zwei der bislang drei städtischen Plankrankenhäuser sollen erhalten bleiben, ein Standort umgewandelt werden: Die Kinderklinik bleibt an der Amsterdamer Straße, die Erwachsenenmedizin wird in Merheim konzentriert. Die Klinik Holweide soll zu einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) mit Facharztpraxen und einer rund um die Uhr besetzten Notfallmedizin werden. Auch ein Zentrum für Altersmedizin sowie ein Hospiz könnten in Holweide entstehen.

Warum geht es nicht voran?

Die bisherige Geschäftsleitung hat die Umstrukturierung nicht gerade mit Hochdruck betrieben. Und vor Ort gibt es viel Protest gegen eine Schließung der Klinik Holweide. Sie sei essenziell für die Versorgung des Stadtbezirks Mülheim mit 150 000 Einwohnern, wird argumentiert. Doch der Bau ist marode, eine Sanierung würde mehr als 120 Millionen Euro kosten – und das Problem teurer Doppelstrukturen mit dem drei Kilometer Luftlinie entfernten Klinikum Merheim bliebe ungelöst. Hinzu kommt die weiterhin ungeklärte Frage, ob es einen Verbund mit der Uniklinik geben wird. Hat der Klinikverbund noch eine Chance?

Schon Ende 2017 hatte Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Idee präsentiert, mit einem Verbund aus Uniklinik und städtischen Kliniken in Köln ein Zentrum für Spitzenmedizin zu schaffen. Doch die NRW-Landesregierung, die für die Uniklinik zuständig ist, steht bei dem Thema auf der Bremse, hat das Projekt seit vier Jahren weitgehend ignoriert.

Welche Szenarien sind denkbar?

Sollte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) die Wahl gewinnen, müsste der Klinikverbund eigentlich umgehend Realität werden. Denn die NRW-CDU hat – anders als SPD und Grüne – in ihr Wahlprogramm geschrieben, dass sie den Verbund unterstützt. Die Frage ist nur, warum sie das Projekt nicht längst umgesetzt hat. Die Macht dazu hat die CDU. Doch ihr Finanzminister Lutz Lienenkämper warnt vor „unkalkulierbaren finanziellen Risiken“. Wüst hat das heiße Eisen genauso wenig zur Chefsache gemacht wie sein Vorgänger Armin Laschet. Sollte Thomas Kutschaty (SPD) die nächste Landesregierung anführen, wäre ein Klinikverbund wohl politisch tot, da die SPD ihn ablehnt. Kutschaty betont aber: „Wir wollen die Rahmenbedingungen der Krankenhausfinanzierung auf Landesebene so verändern, dass auch das Krankenhaus Holweide weiterhin Bestand haben kann.“

Karl Lauterbach (SPD) hat sich als Mülheimer Bundestagsabgeordneter mehrfach für den Erhalt von Holweide stark gemacht, hält sich aber bedeckt, seit er Gesundheitsminister ist.

Wann wird über den Verbund entschieden?

Die Ergebnisse der vom Land verlangten und seit Oktober laufenden Due-Diligence-Prüfung zu wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnissen beider Unternehmen stehen noch aus. Ralf Unna, Aufsichtsratschef der städtischen Kliniken, wünscht sich, dass die Schaffung eines Kölner Klinikverbunds Teil des Koalitionsvertrags der künftigen Landesregierung wird. „Andernfalls stünde das Projekt wohl vor dem Aus.“ Klar scheint: Es ist die letzte Chance.

Was hieße das für die städtischen Kliniken?

Sich auf die Sanierung aus eigener Kraft zu konzentrieren. In Merheim medizinische Zentren zu bilden und die Fachabteilungen aus Holweide dorthin zu verlagern, entspricht durchaus den Zielen der Krankenhauspolitik von Bund und Land. Somit sollte das „2+1“-Konzept grundsätzlich für eine Förderung durch das Land in Frage kommen – auch ohne Klinikverbund.

Wie geht es jetzt weiter?

Aufsichtsratschef Ralf Unna setzt große Hoffnungen auf einen Neustart mit der Interimsführung. „Mit Prof. Dr. Axel Goßmann, dem Chefarzt der Radiologie, der seit Jahren für die Kliniken tätig ist, haben wir einen exzellenten Leiter für den medizinischen Bereich. Und den kaufmännischen Bereich wird Manuel Berger ab 15. April umstrukturieren. Ich stehe hinter diesem Team und werde mich persönlich daran messen lassen, ob es Erfolg haben wird.“ Die Suche nach einem Baumann-Nachfolger sei eingeleitet.

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