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Interview

Roman-Autor Franzobel
„Grönländer wollen kein Teil von Amerika sein“

Lesezeit 5 Minuten
Franzobel in Grönland

Der Autor Franzobel bei seinen Recherchen in Grönland.

Durch Trumps Grönland-Fantasien erhält Franzobels aktueller Roman eine neue Bedeutung, wie der Autor im Rundschau-Interview erzählt.

In seinem Roman „Hundert Wörter für Schnee“ verknüpft Franzobel die Geschichten zweier rivalisierender Nordpol-Forscher mit der eines in die USA verschleppten Grönländers. Mit Axel Hill spricht der österreichische Autor darüber, dass er beim Verfassen des Buchs noch nicht ahnen konnte, dass durch die Ankündigungen Donald Trumps, die größte Insel der Welt den USA einzuverleiben, diese in die Nachrichten geraten ist.

Durch Trump werden Sie plötzlich zum gefragten Gesprächspartner in Sachen Grönland. Wie fühlt sich das an?

Seltsam. Das ist nun eine ungewöhnliche Koinzidenz, dass das Buch erscheint und plötzlich Grönland so im Fokus steht. Und ich hätte nie erwartet, dass man in Mitteleuropa über eine grönländische Wahl berichtet.

Als Autor entfernt man sich mehr und mehr von seinem Buch, wenn es einmal erschienen ist. Werfen Sie jetzt einen anderen Blick auf „Ihr Grönland“?

Einerseits ist das Buch so geschrieben, dass es auch ohne diesen Nachrichtenhype funktioniert. Aber ich verfolge die Nachrichten natürlich schon intensiv. Ich war einmal längere Zeit oben, habe Leute kennengelernt, Freundschaften geschlossen und bin mit diesen Leuten auch nach wie vor in einem zumindest losen Kontakt.

Ganz neu ist die Idee von Trump, Grönland den USA einzuverleiben, nicht. Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, ebenso in Trumps erster Amtszeit. Haben Sie das Gefühl, dass es diesmal ernst wird?

Auf jeden Fall. In Grönland leben 57.000 Leute. Das ist so viel wie in Venedig, ohne Touristen. Das Land ist riesig, hat enorm viele Bodenschätze, ist strategisch und für Handelsrouten interessant. Und es gibt diese Militärbasis in der Nähe von Qaanaaq, wo ein Großteil des Buchs spielt. Bei diesen wenigen Leuten hat man das Gefühl, sie sind irgendwo zu vereinnahmen; es würde vielleicht schon reichen, dass man jedem 100.000 Dollar oder so schenkt. Dann wären sie möglicherweise dafür, eingemeindet zu werden. Aber gerade für die Leute im Norden, die doch noch sehr traditionell zu leben versuchen, wäre es natürlich ein großer Rückschritt.

Eisberge schwimmen an der Küste vor Nuuk mit seinen bunten Häusern.

Allein in Köln leben knapp zwanzigmal so viele Menschen wie auf ganz Grönland. Hier ist die Hauptstadt Nuuk zu sehen. (Archivbild)

Wenn Trump über die Annexion redet, klingt das nicht wie Putins Aussagen zur Ukraine?

Das ist durchaus vergleichbar. Wobei es dann interessant wäre, wie Europa reagieren würde. Möglicherweise würde man es einfach geschehen lassen. Ich kann mir schwer vorstellen, dass man einen Krieg anzettelt, noch dazu mit Amerika, das doch immer eher als befreundetes Land gegolten hat.

Ich nehme an, das Trump-Zitat, die Grönländer würden zu den USA gehören wollen, würden Sie auch nicht unterschreiben?

Die Leute wollen unabhängig von Dänemark sein, aber kein Teil von Amerika.

Wie ist das Verhältnis zu Dänemark?

Die Grönländer haben immer noch das Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu sein. Und viele Dinge, etwa die Zwangssterilisierungen, sind noch längst nicht aufgearbeitet. Umgekehrt habe ich auch in Dänemark festgestellt, dass sie nicht so viel mit den Grönländern anfangen können.

Doch es wäre für Grönland natürlich wahnsinnig schwierig, eine Unabhängigkeit umzusetzen: Es gibt keine Industrie, kaum Tourismus. Man lebt de facto von den Subventionen Dänemarks. Gerade im Norden, wo ich im Sommer 2023 war, lebt man von dem, was man bei der Jagd erwischt, also vorwiegend von Meeressäugern.

Die Geschichte von Minik, der vom Forscher Robert Peary in die USA gebracht worden ist, klingt nach einem typischen Migrantenschicksal: in der neuen Kultur nicht angekommen und bei der Rückkehr in die alte Heimat nicht mehr akzeptiert.

Ja. Und ein Bild von ihm war für mich der Auslöser für die Geschichte. Ich habe die Leute in Qaanaaq gefragt, was sie von ihm halten: „Na, ein großer Jäger war er keiner.“

Ein interessantes Stilmittel ist, dass die Erzählinstanz sich immer wieder zu Wort meldet.

Das hat sich bei meinen historischen Romanen so eingebürgert. Ich habe zuerst versucht, die Sprache der jeweiligen Zeit ein bisschen zu imitieren. Merkte aber, dass es mir aufgesetzt vorkommt. So hat es sich ergeben, dass der Erzähler in der Gegenwart, der natürlich mit mir zu tun hat, immer wieder die Möglichkeit bekommt, zu kommentieren. Das fand ich eine für mich stimmige Erzählweise. Manche Leser finden es sehr gut, andere finden es ganz furchtbar. Aber das ist halt so.

Sehr lustig sind die vielen Anspielungen auf Stars („eine zukünftige Eskimoversion von Brigitte Bardot“), Filme, Theaterstücke oder auch auf TV-Sendungen wie „Frauentausch“.

Diese Szene habe ich nicht erfunden. Diesen Tausch der Frauen hat es wirklich gegeben, und es ist auch historisch überliefert, dass einer der Einheimischen Robert Peary genau dies auch vorgeschlagen hat.

Sie waren in Grönland - würden Sie wieder hinfahren wollen?

Ja, die Sehnsucht von mir und meiner Lebensgefährtin, die mit mir dort war, ist schon sehr groß. Es gibt wenige Orte auf der Welt, die uns so beeindruckt haben wie vor allem dieses Nordgrönland: Das Ausgeliefertsein in der Natur, leben von dem, was man aus dem Meer rauszieht. Das war schon sehr, sehr beeindruckend.

Aber kulinarisch eher herausfordernd ...

Aus Recherchegründen musste ich schauen, wie das schmeckt. Was ich leider nicht probieren konnte, waren die fermentierten Krabbentaucher. Das hat mir aber die Ethnologin, die mich begleitet hat, auch um zu übersetzen, ziemlich gut erklärt. Das müssen ziemlich schleimige Batzen sein.

Franzobel: Hundert Wörter für Schnee. Zsolnay, 528 S., 28 Euro.