Aktuelle Corona-StudienIst man nach der Impfung immer noch ansteckend?

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Impfung Spritze in der Schale

Symbolbild 

Düsseldorf – Der heilige Gral einer Medizinstudie ist der sogenannte Endpunkt. Er ist der Knackpunkt, auf den alle Statistiken ausgerichtet sind. Bei den Studien für einen Impfstoff gegen das Coronavirus lautete der Endpunkt: Kann er die Zahl schwerer Verläufe senken? Diese Frage wurde in den Phase-III-Studien sehr überzeugend bejaht. Die Ergebnisse hätten indes noch mehr Power gehabt, wenn man sämtliche Probanden zusätzlich regelmäßig per PCR-Test auf die Frage getestet hätte, ob sie sich trotz der Impfung infizieren konnten; das hätte man als sekundären Endpunkt ebenfalls überprüfen können. Denn Viren können sich ja durchaus auf Schleimhäuten tummeln, ohne in die Zellen einzudringen und Schaden anzurichten. Das nennt man klinische Immunität. Trotzdem wäre es möglich, dass sie an andere weitergegeben werden – vielleicht in geringerer Menge, aber immerhin.

Von der Viruslast her potenziell infektiös

Der Düsseldorfer Virologie-Professor Jörg Timm kennt die Datenlage: „In den Zulassungsstudien für die Impfstoffe von Biontech und Moderna wurden Infektionen in der Gruppe der Geimpften deutlich seltener beobachtet als in der mit Placebo geimpften Kontrollgruppe. Aus den verfügbaren Daten lässt sich aber noch nicht sicher ableiten, ob der Impfstoff tatsächlich auch asymptomatische Infektionen verhindert – also eine sogenannte sterile Immunität verleiht – oder ob vor allem symptomatische und schwere Verläufe verhindert werden, die üblicherweise der Anlass für eine Testung sind.“

Für Klaus Cichutek, Chef des Paul-Ehrlich-Instituts, hat die Sache zwei Seiten: „Es gibt aus den Tierversuchen keinen guten Hinweis darauf, dass wir wirklich eine sterile Immunität erreichen können.“ Trotzdem glaubt er, „dass bei einer Verminderung der schweren Verläufe doch auch zumindest eine Reduktion der Viruslast in den oberen Atemwegen passiert”.

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Ergebnisse aus Tierversuchen

Und was sagt der Tierversuch? Nun, aus den Untersuchungen an geimpften Affen ist bekannt, dass sie zwar nicht erkranken, wenn sie mit Sars-CoV-2 infiziert werden, aber doch aktive Viren in ihren Nasen haben, die sie auch verbreiten können. Andererseits hatte man ihnen eine solch hohe Menge an Viren in die Nase gesprüht, die eine normale menschliche Infektion in Sachen Viruslast deutlich übertrifft. Gleichwohl sind die Ergebnisse der Tierversuche ein Hinweis darauf, dass Geimpfte vorerst als potenziell infektiös gelten und deshalb nicht von einer Maskenpflicht entbunden werden können. Ebenfalls skeptisch ist bei der Immunität, noch dazu der sterilen, der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig: „Wir wissen nichts dazu, wie lange diese Immunität anhält. Wir wissen relativ sicher, dass eine sogenannte sterile Immunität im Moment wahrscheinlich gar nicht erreichbar ist.“

Timm ist wie Cichutek optimistischer bei der Frage, ob von geimpften Menschen noch ein Infektionsrisiko ausgehen kann: „Selbst wenn möglicherweise sterile Immunität fehlen sollte, gehe ich davon aus, dass bei einer Infektion nach Impfung die Virusmengen in den Atemwegen deutlich geringer sind. Daher wird in jedem Fall die Impfung einen positiven Effekt auf die Verbreitung von Sars-CoV-2 haben, solange die Menschen kein vermehrtes Risikoverhalten zeigen.“

Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die Impfstoffe eine bessere Antikörper-Antwort hervorrufen als eine natürliche Infektion. Von einer lebenslangen Schutzwirkung kann bei der Impfung zwar nicht ausgegangen werden. Doch selbst wenn der Schutz nur zwei Jahre anhält, kann nachgeimpft werden. Das wäre umso leichter, wenn der Impfstoff per Nasenspray oder Lutschtablette verabreicht werden könnte. Solche Verfahren sind derzeit in der Pipeline. Trotz aller Mutationen scheint Sars-CoV-2 eine deutlich geringere Variabilität als das saisonale Grippevirus zu zeigen.

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Mancher fragt sich trotzdem, ob eine natürliche Immunität nach durchgemachter Infektion nicht der sicherere Schutz vor Neuansteckung sein könne. Die Argumentation für diese Option der „natürlichen Feiung“: Die Reaktion des Immunsystems auf das komplette Virus müsste doch zwangsläufig stärker und verlässlicher ausfallen als die Reaktion auf nur ein einziges Oberflächenmerkmal – im konkreten Fall das Spike-Protein, gegen das sich die Antikörper der neuen Impfstoffe richten? Zur Entkräftung dieser Theorie reicht das Beispiel der Impfung gegen Hepatitis B: Auch hierbei genügt ein winziges Merkmal, um die gewünschte Immunantwort zu erreichen. Das Immunsystem identifiziert ein Virus immer anhand einzelner Kriterien. Für Sars-CoV-2 sind die charakteristischen Spikes entscheidend (die in ihrer Grundstruktur nicht von Mutationen bedroht sind).

Zelluläre Immunantwort des Körpers

Wichtig ist, dass die neuen Impfstoffe offenbar auch die ansonsten durch eine Infektion hervorgerufene zelluläre Immunantwort des Körpers stimulieren. Dabei handelt es sich um einen weiteren Arm des Abwehrsystems, der aus den Gedächtniszellen (T-Memory-Zellen) rekrutiert wird. Sie können sich auch Monate und Jahre nach einer Infektion an einzelne Eigenschaften von Erregern erinnern und bei einer erneuten Begegnung mit ihnen die Produktion von Antikörpern und speziellen Lymphozyten veranlassen, die die Viren angreifen und abtöten. Die Corona-Impfstoffe lösen eine ähnliche zelluläre Immunantwort aus. Virologe Timm: „Wichtig ist es jetzt, dass streng überwacht wird, ob bei Infektionsfällen nach Impfung möglicherweise neue Virusvarianten eine Rolle spielen, bei denen die Impfung nicht wirksam ist.“

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