Gladbachs Sportdirektor im Interview„Meine Vision ist weit nach hinten gerückt“

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Gladbachs Sportdirektor Max Eberl 

Mönchengladbach – Max Eberl ist der Erfolgs-Architekt von Fußball-Bundesligist Borussia Mönchengladbach. Auch, weil der Sportdirektor über den Tellerrand hinausschaut. Vor dem rheinischen Derby am Samstag (15.30 Uhr, Sky) beim 1. FC Köln sprach Tobias Carspecken mit ihm über das Duell der Erzrivalen im Schatten der Corona-Pandemie.

Herr Eberl, Ihre Mannschaft hat nach schleppendem Auftakt den Anschluss an die Europapokal-Plätze hergestellt. Ist Borussia pünktlich zum Derby ins Rollen gekommen?

Der Start war ein Stück weit holprig. Dann gab es eine Phase, in der wir Punkte geholt haben, ohne stabil gewesen zu sein. Doch seit dem Augsburg-Spiel (0:1-Niederlage am 5. Spieltag, Anm. d. Red.) haben wir Konstanz reinbekommen. Adi (Hütter) hat mit seinem Trainerteam Entscheidungen gefällt, die teilweise hart waren. Ab er es waren gute, richtige Entscheidungen, die dazu geführt haben, die Konkurrenzsituationen im Kader anzuheizen. Momentan muss man sagen, dass wir auf einem richtigen Weg unserer Entwicklung sind.

Zur Person

Max Eberl, geboren am 21. September 1973 im niederbayerischen Bogen, ist seit 1999 für Borussia Mönchengladbach tätig. Nach seiner aktiven Karriere, in der der frühere Verteidiger 146 Pflichtspiele für die Fohlenelf bestritt, stieg er Anfang 2005 als Nachwuchskoordinator in den Management-Bereich ein. Im Oktober 2008 wurde Eberl zum Sportdirektor befördert. Seit Juni 2010 gehört er zudem Borussias Geschäftsführung an. Nach dem Beinahe-Abstieg 2011 formte Eberl aus den Gladbachern ein Bundesliga-Spitzenteam, das sich seitdem viermal für die Champions League und dreimal für die Europa League qualifizierte. Sein Vertrag wurde im Dezember 2020 vorzeitig bis zum 30. Juni 2026 verlängert. (tca)

Was läuft besser?

Wir haben die Aktivität steigern können und trotzdem unsere fußballerischen Aspekte nicht verloren. Das führt dazu, dass wir sehr ordentliche Leistungen zeigen und punkten. Kann aus dem Jäger Gladbach bald wieder ein Gejagter werden?

In der Jägersituation zu sein ist das, was unseren Weg in den vergangenen 13 Jahren gepflastert hat. Das wird sich auch nicht ändern. Wo wir dann am Ende der Saison stehen werden, wird die Abrechnung zeigen.

Wo soll es denn hingehen?

Wir wollen, dass die Weiterentwicklung der Mannschaft voranschreitet. Wir sind zuversichtlich, unsere Punkte zu machen, um bis zum Ende um Europa mitspielen zu können.

Und langfristig? Mit welcher Vision haben Sie vorzeitig bis 2026 verlängert?

Man hat eine Version, die ist aber momentan aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie weit nach hinten gerückt. Es geht gerade weniger um Visionen, sondern vielmehr um das harte Arbeiten.

Hat es Zeit gebraucht, bis sich die Zusammenarbeit mit Adi Hütter eingespielt hat?

Ein neuer Trainer sorgt für eine neue Kommunikation und einen neuen Ansatz. Es gab keine radikalen Änderungen in der Art und Weise. Trotzdem ist es ein neuer Trainer, ein neuer Mensch, der seine Ideen hat, wie er sich das vorstellt. Das bedarf etwas Zeit.

Wie unterscheiden sich Adi Hütter und sein Vorgänger Marco Rose?

Im Grundsatz musst du dich als Verein für einen Trainer entscheiden, für einen Menschen mit all seinen Emotionen und Gefühlen. Der Fußball ist bei beiden vergleichbar, das war für uns ein wichtiger Faktor. Trotzdem ist jeder Mensch anders, Gott sei Dank (lacht).

Das Trainerkarussell in der Bundesliga hat im Sommer kräftig rotiert. Agieren Trainer auch durch Ausstiegsklauseln inzwischen selbstbestimmter?

Vereine bestimmen weiterhin, dass ein Trainer entlassen wird, wenn er nicht mehr gut genug ist. Das war schon immer so. Jetzt haben sich Trainer an der einen oder anderen Stelle Optionen gesichert. Ich glaube aber trotzdem, dass der vergangene Sommer eine Ausnahme war.

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Sie haben für die Verpflichtung von Adi Hütter 7,5 Millionen Euro an Eintracht Frankfurt überwiesen und für Marco Rose mehr als 5 Millionen Euro von Borussia Dortmund erhalten. Werden Millionen-Ablösen für Trainer branchenüblich?

Trainer haben ihren Wert und müssen auch ihren Wert haben, weil sie nach dem Sportchef die wichtigsten Angestellten im sportlichen Bereich sind. Für den Verein ist die Trainerwahl eine bedeutsame strategische Entscheidung, deren Wichtigkeit aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Daher muss man als Club an dieser Stelle auch bereit sein, Geld zu investieren.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung des 1. FC Köln unter dem ebenfalls neuen Trainer Steffen Baumgart?

Sehr positiv. Ich fand die Wahl sehr spannend und gut. Schon das, was Steffen Baumgart in Paderborn gemacht hat, war herausragend. Die Kombination zwischen Mannschaft, Verein und Trainer scheint in Köln zu passen.

Passt auch die Verpflichtung von Christian Keller als Sportchef?

Ich finde es wieder eine sehr spannende, gute Personalie. Ich habe mit Christian bei dem einen oder anderen Transfer zu tun gehabt. Da war alles ganz ruhig, professionell, gelassen. Er ist eine Persönlichkeit, die ihre Spuren und Fußstapfen in Regensburg hinterlassen hat und jetzt bereit ist für die Bundesliga.

Was trauen Sie den Kölnern zu?

Ich glaube nicht, dass sie in Abstiegsnöte kommen, sondern sich im Mittelfeld festbeißen – mit all den Emotionen und der Euphorie, die Steffen Baumgart mit seiner Mannschaft entfachen kann. Sie haben das Potenzial zu überraschen, sind konstant und lassen sich von schwierigen Situationen und Rückständen im Spiel nicht umhauen.

Gibt es im Derby einen Favoriten?

Bei einem Derby von einem Favoriten zu sprechen passt nicht. Es ist ein besonderes Spiel. Dementsprechend wird es ein Spiel auf Augenhöhe, bei dem wir auf einen Gegner treffen, der hochmotiviert sein wird und wie wir alles in die Waagschale werfen wird. Ich hoffe, dass es ein sehr gutes Spiel wird. Und, ganz subjektiv, dass wir gewinnen (schmunzelt).

Liegt in Anbetracht explodierender Corona-Zahlen ein grauer Schleier auf dem Derby?

Wir dürfen Corona und den Fußball nicht dauernd zu sehr miteinander verbinden. Corona betrifft die gesamte Gesellschaft, Fußball ist ein Teil von ihr. Wir alle wollen wieder mehr Normalität erreichen. Es ist für uns alle ein Schlag, dass die Zahlen wieder so hoch gehen. Das muss Warnung sein und uns zeigen, was wir zu tun haben: Dass wir uns impfen lassen, dass wir uns boostern lassen, um eben dieser Welle entgegentreten zu können.

Ist die Vorfreude auf das Derby eine andere geworden?

Die Welt ist anders mit Corona. Das kann keiner wegschieben, es ist so. Trotzdem glaube ich, dass die Vorfreude auf dieses besondere Spiel am Rhein bleiben wird.

Welche Auswirkungen erwarten Sie für die nächsten Transferperioden?

Wir reden ja oft von Demut im Fußball. Da wird oft die Überschrift getätigt: „Der Fußball hat keine Demut“. Das sehe ich ein bisschen anders. Demut ist konterkariert von Millionen-Transfers, die im Ausland passieren, nicht in Deutschland. In Deutschland stellen sich alle Vereine dieser Herausforderung und den finanziellen Einschnitten durch Corona. Ich glaube, dass wir in der Bundesliga sehr sorgsam damit umgehen, sehr fürsorglich sind und keine verrückten Dinge machen. Auch die nächsten Transferperioden werden wie die jüngsten beiden anders sein. Sie werden viel von Bedachtheit und Logik getragen sein und, ganz simpel, von Einnahmen und Ausgaben abhängen.

Was bedeutet das für Sie als Manager?

Es geht um die Fragen: Was kann ich tun? Was kann ich anbieten? Was möchte ich anbieten? Und: Was bedeutet das für die Kadergröße? Jede Krise ist immer auch eine Chance. Corona kann eine Chance für die Jugend sein. Wir sollten sie im deutschen Fußball nutzen, weil unser Nachwuchs in den goldenen Zeiten etwas vernachlässigt wurde.

Wie stehen Sie zu dem Vorstoß der Länderchefs, 2G auch für Fußballprofis einzuführen?

Es steht jedem zu, sich frei zu entscheiden. Aber gerade Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, haben eine Funktion als Mensch. Sie haben noch mehr Verantwortung und müssen ein Stück weit mehr überlegen, für was sie sich entscheiden. Ich persönlich sage: Impfen ist Stand heute die einzige Möglichkeit, der Coronakrise entgegentreten zu können.

Wie hoch ist die Impfquote in Ihrer Mannschaft?

Wir haben jetzt 100 Prozent erreicht.

Hatten Sie Schwierigkeiten, Ihre Spieler von der Impfung zu überzeugen?

Es bedarf Gespräche. Es geht nicht um Überreden, aber natürlich um Überzeugung. Darum, zu versuchen, Ängste zu nehmen, die da sind. Das ist das, was wir in vielen Einzelgesprächen getan haben. Aber jetzt kommt die dritte Impfung. Da bedarf es wieder Kommunikation.

Vereine beginnen damit, das Gehalt für den Zeitraum zu streichen, den ein ungeimpfter Spieler wegen Quarantäne verpasst hat.

Wenn es die rechtlichen Vorgaben ermöglichen, muss man sich als Verein damit auseinandersetzen. Ganz einfach, weil die Arbeitskraft nicht zur Verfügung steht, die aber zur Verfügung stehen würde, wenn derjenige Spieler geimpft wäre.

Hat die Impfpass-Affäre um den zurückgetretenen Werder-Trainer Markus Anfang dem gesamten deutschen Profifußball einen Schaden zugefügt?

Wenn es wirklich so gelaufen ist, wie aktuell vermutet wird, muss man sagen: Das macht man nicht, das ist Betrug. Aber es gibt für mich – wenn ich das als Unwissender so sagen kann – auch einen Arzt, der an diesem Betrug Teil hat, weil ihm (Markus Anfang) irgendwer etwas ausgestellt haben muss. Das ist das, was in unserer Gesellschaft zu Misstrauen führt. Wir brauchen in dieser Sache aber Vertrauen. Ich hoffe, dass es ein Einzelfall ist. Ich glaube nicht, dass dieser Vorfall dem Fußball schadet.

Waren Sie geschockt?

Ich schätze Markus sehr. Ich kenne ihn, weil er mein Jahrgang ist, wir im Jugendbereich sehr oft gegen- und miteinander gespielt haben und uns auch später immer wieder begegnet sind. Daher war ich etwas überrascht. Ich denke, dass er da sehr, sehr naiv drangegangen ist und gerade seine Lektion „lernt“. Er hat die Verantwortung für seine Tat zu tragen.

Gehen Sie davon aus, dass die Gesundheitsämter bei Profifußballclubs künftig noch genauer hinschauen werden?

Warum nur bei Proficlubs? Wenn, dann bei allen. Ihr Nachbar kann das Gleiche gemacht haben. Sie treffen sich mit ihm, trinken ein Bier und nachher kommt raus: Er hat sie angelogen, weil er nicht geimpft ist. Bitte nicht nur auf den Fußball beziehen. Wir sind ein Spiegelbild einer ganzen Gesellschaft.

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