Mehr als 61.000 Menschen fordern per Petition an Papst Leo XIV. die Absetzung von Kardinal Woelki wegen Glaubwürdigkeitsverlusts. Was steckt dahinter?
Fragen und AntwortenWarum Woelki-Kritiker sich mit einer Online-Petition an den Papst wenden

Eine Online-Petition fordert die Ablösung von Kardinal Maria Woelki.
Copyright: Roberto Pfeil/dpa
Nein, es hört nicht auf. Mit unverkennbarer Erleichterung hatte der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki Anfang Mai auf die Einstellung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen seine Person reagiert. 26.000 Euro Geldauflage zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung hat er zügig bezahlt, die Vorwürfe des Meineids und der falschen eidesstattlichen Versicherung sind damit erledigt. Trotzdem ist die Debatte über seine Aussagen in zwei Gerichtsprozessen nicht beendet. 61.916 Menschen hatten bis zum Mittwochnachmittag eine Online-Petition unterschrieben, die seine Ablösung fordert.
Wer steht hinter der Petition gegen den Kardinal?
Initiator der an Papst Leo XIV. gerichteten Petition ist der im Erzbistum München arbeitende Priester Wolfgang F. Rothe, in Köln bekannt durch einen von ihm initiierten Segnungsgottesdienst unter anderem für queere Paare 2023. Mit dabei sind unter anderem der Dormagener Pfarrer Klaus Koltermann, die in der Reforminitiative Maria 2.0 engagierte Theologin Maria Mesrian und der Kirchenrechtler Thomas Schüller. Der Text ist per Brief an den Papst gegangen und am 20. Mai auf der Plattform change.org veröffentlicht worden. Die Plattform arbeitet mit Verifikationsmails, die absichern sollen, dass die Unterschriften tatsächlich von Personen stammen; mehrfache Unterzeichnungen durch den gleichen Absender sind ausgeschlossen. Geografische Angaben – woher stammen die Unterzeichner – lassen sich laut Rothe aber nicht machen. Ebenfalls auf change.org, darauf weist Rothe hin, gibt es seit kurzem eine Pro-Woelki-Petition „Stoppen Sie die Schmierkampagne“, die seit dem 4. Juni 189 Unterschriften erhalten hat.
Wie argumentieren die Urheber der Petition?
Rothe und seine Mitstreiter sehen Woelki „moralisch vollständig korrumpiert“. Er habe jede Glaubwürdigkeit verloren, sein Verhalten sei „ein schwerer Schlag ins Gesicht der vielen Opfer von sexuellem Missbrauch“.
Alles zum Thema Erzbistum Köln
- Ein Jahr „Bücherbrücke“ Meckenheim/Alfter „Wir verstehen uns als Mehrwert“
- Artenvielfalt an der Cultur-Kirche Erzbistum stößt Projekt in Engelskirchen an
- Jonas Kaufmann Lohmarer Kirchenmusiker geht mit Star-Tenor weltweit auf Tournee
- Katholische Kirche So begeistert sind Pulheimer Messdiener von ihrem Amt
- Interview vor dem Konklave Kardinal Woelki über seine Erfahrungen in Rom und die Papstwahl
- Prozess gegen Erzbistum Köln Ex-Messdienerin fordert 830.000 Euro Schmerzensgeld
- Nach vielen Diskussionen Fusion der Kirchengemeinden Zülpich und Weilerswist rückt näher
Wie kommen sie zu so schweren Vorwürfen? Die Staatsanwaltschaft hatte sich befremdet über die Erklärung des Erzbistums gezeigt, Woelki sei „unschuldig und hat nicht gelogen“, er habe keinen Meineid begangen. Nach Auffassung der Ermittler wäre, wenn das Verfahren nicht eingestellt worden wäre, vor Gericht eine Verurteilung „wahrscheinlich“ gewesen. Und Rothe meint, der „Aufschrei“ wäre „vielleicht nicht so groß gewesen“, wenn Woelki Fehler eingeräumt hätte.
Woelki hatte in zwei Verfahren, in denen es um die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung über sein Verhalten in Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt ging, ausgesagt und das in einem Fall beeidet, im anderen die Richtigkeit an Eides statt versichert. Nach Auffassung der Ermittler hatte Woelki jedoch – fahrlässig, nicht absichtlich – falsche Aussagen gemacht und somit fahrlässig Aussagedelikte begangen.
Aber ist ein Bischof „vollständig moralisch korrumpiert“, wenn er in so einem Fall fahrlässig agiert hat? Ja. meint Rothe: „Das kann man ganz leicht nachvollziehen, weil die Staatsanwaltschaft die Fahrlässigkeit gerade darin sieht, dass Kardinal Woelki sich mit Fällen sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester nicht in dem Maße beschäftigt hat, wie es seiner Amtspflicht entsprochen hätte.“ Und damit „korrumpiert er sich selbst“, meint Rothe. Kirchenrechtlich gehe es hier um Straftaten, die nach dem Papst-Schreiben „Wie eine liebende Mutter“ von 2016 sogar zur Amtsenthebung eines Bischofs führen könnten.
Was hatte Woelki denn überhaupt ausgesagt?
In den Prozessen, die Woelki gegen die „Bild“-Zeitung führte, ging es zum einen um den Fall eines Priesters, den er 2017 befördert hatte und gegen den es Vorwürfe kirchenrechtlich strafbarer sexueller Übergriffe gab, die allerdings in einem späteren Verfahren nicht bestätigt wurden. Woelki versicherte an Eides statt (das ist die strafrechtlich weniger streng geschützte Form), er habe 2017 bei der Beförderung des Mannes nicht mehr als Gerüchte über ihn gekannt. Diese Aussage hat auch die Staatsanwaltschaft nicht beanstandet. Darüber hinaus aber erklärte Woelki am 28. März 2023 und nun unter Eid, er habe „bis heute“ weder zwei den Priester belastende Dokumente eingesehen noch sonst von Vorwürfen sexueller Übergriffe gegen den Mann erfahren.
Allerdings hatte er 2018 einen Brief an die damalige Glaubenskongregation unterzeichnet, in dem genau darüber berichtet wurde – und den Priester 2021 von seinen Aufgaben entbunden. Woelki blieb aber dabei, dass er den Brief nach Rom inhaltlich nicht zur Kenntnis genommen habe. Die Entwicklung des Falles bis 2018 ist übrigens anonymisiert im Missbrauchsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke unter Nr. 82 erwähnt.
In dem zweiten Fall ging es darum, wann genau Woelki von Vorwürfen gegen den früheren Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz erfahren hatte. Er versicherte an Eides statt, erst ab Ende Juni 2022 mit dem Fall befasst gewesen zu sein – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war er aber spätestens 2019, im Sterbejahr von Pilz, informiert.
Hatten die Aussagen Einfluss auf Gerichtsentscheidungen?
Auch wenn Woelki die umstrittenen Aussagen nicht getan hätte, wären die presserechtlichen Verfahren gegen die „Bild-Zeitung“ nicht anders ausgegangen. Das hat auch die Staatsanwaltschaft festgehalten. Im Fall des beförderten Geistlichen ging es nur darum, ob Woelki die Vorwürfe bei der Beförderung 2017 kannte – ob er in späteren Jahren, zwischen 2017 und 2023, davon erfahren hat oder nicht, stand gar nicht zur Debatte. Auch beim Fall Pilz ging es nicht um den Zeitpunkt des Wissens, sondern um eine ganz andere Frage: Pilz war 2014 vom Erzbistum bestraft worden (Gercke, Nr. 148). Woelkis Vorgänger Joachim Kardinal Meisner hatte es aber pflichtwidrig versäumt, diese Maßnahme dem Bistum Dresden-Meißen zu melden, wo Pilz seinen Ruhestand verbrachte. Nach wie vor darf die „Bild“-Zeitung nicht behaupten, Woelki habe bewusst davon abgesehen, eine solche Meldung nachzuholen.
Hat Woelki tatsächlich seine Sorgfaltspflichten verletzt?
Auch wenn die umstrittenen Aussagen für den Verfahrensablauf vor Gericht folgenlos blieben, meint Rothe: „Die Pflichtverletzung liegt schon darin, dass er sich – das schreibt die Staatsanwaltschaft ihm ja zu – mit den beiden Fällen befasst hat und sich das dann so wenig zu eigen gemacht hat, dass er sich später nicht mehr daran erinnern konnte.“ Ist das so zu werten?
Der emeritierte Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier hat da eine differenzierte Meinung. Bier meint, für die Sichtweise der Petitionsurheber ließen sich schon „plausible Gründe anführen“. Das gelte für den Hinweis auf die Aufgaben des Diözesanbischofs gemäß dem Papst-Schreiben von 2016. Und bei so vielen Unterschriften unter die Petition lasse sich kaum bezweifeln, dass ein „Ärgernis“ entstanden sei. Das ist nach dem (Kanon 1399) ein wesentliches Argument für eine kirchliche Bestrafung. Nur: „Dies zu entscheiden, ist Sache des Apostolischen Stuhls. Nicht die Einschätzung mancher oder auch vieler katholischen Gläubigen ist diesbezüglich ausschlaggebend, sondern die Einschätzung der zuständigen Behörden der Römischen Kurie.“
Zum Fall des Düsseldorfer Pfarrers erklärt Bier der Rundschau: „Ich kenne den Fall nicht genau genug, aber ich denke schon, man könne der Auffassung sein, es gehöre zu den Amtspflichten eines Diözesanbischofs, Meldungen über sexuelle Übergriffe durch einen Priester aus dem Diözesanklerus nicht nur unbesehen weiterzuleiten, sondern sich auch näher über die Hintergründe des Falls zu informieren.“ Was Woelki nach eigener Aussage bis 2023 nicht getan haben will – oder nach Auffassung der Staatsanwälte zwar getan, aber dann vor Gericht nicht mehr erinnert hat. Woelki sei offensichtlich anderer Meinung als er, meint Bier – und letztlich müsse das wieder der Heilige Stuhl klären.
Im Fall Pilz meint Bier dagegen, „dass sich der Diözesanbischof grundsätzlich auf die ordnungsgemäße Durchführung der durch seinen Amtsvorgänger abgeschlossenen Verfahren verlassen darf. Er hätte einen Berg von zusätzlicher Arbeit zu bewältigen, wenn er alles überprüfen wollte, was sein Vorgänger getan hat.“ Bier räumt zwar ein, dass man angesichts der Informationen über die Amtsführung von Woelkis Vorgänger Meisner zu dem Schluss kommen könne, hier hätte man hellhöriger sein müssen. Gleichwohl habe Woelki nicht die Aufgabe gehabt, die Amtsführung seines Vorgängers zu überprüfen – genau dafür gebe es ja Unabhängige Kommissionen.
Was sagt Kardinal Woelki selbst zu den Vorwürfen?
Der Kölner Erzbischof nimmt zu den Vorwürfen der Petition nicht detailliert Stellung. „Für Kardinal Woelki stellt das Verfahrensende einen Schlusspunkt dar“, erklärt das Erzbistum. „Er möchte sich jetzt mit ganzer Kraft und gemeinsam mit den Gläubigen den Zukunftsthemen des Erzbistums Köln widmen.“
Laut Erzbistum hat die Staatsanwaltschaft ausdrücklich bestätigt, „dass Kardinal Woelki keine vorsätzliche falsche Aussage und damit auch keinen Meineid geleistet hat“. Woelki selbst habe „die endgültige Beendigung des Verfahrens mit Auflage akzeptiert und damit auf sein Recht verzichtet, verbleibende Vorhaltungen der Staatsanwaltschaft vor Gericht klären zu lassen“.
Wie geht es in dem Fall jetzt weiter?
In der katholischen Kirche ist es üblich, dass Bischöfe dem Heiligen Stuhl über sie betreffende gerichtliche Verfahren berichten müssen. Ganz abgesehen davon war Papst Leo XIV. vor seiner Wahl Chef des Bischofsdikasteriums. Auch Rothe geht davon aus, dass der Papst mit dem Fall bestens vertraut ist. An ihn haben die Petenten geschrieben, auf ihn kommt es letztlich an.
So oder so sieht Rothe schon einen Erfolg der Petition: Sie habe überraschend viel Aufmerksamkeit gefunden, und das sei eine gute Sache. „Denn das Thema Missbrauch ist gerade kirchenintern durchaus wieder ein bisschen ins Hintertreffen geraten.“ In vielen Gemeinden heiße es, es sei „jetzt aber mal gut mit dem Thema“. Rothe: „Und auf diese Weise wird jetzt doch deutlich, dass es noch lange nicht gut ist, denn solange ist es nicht gut, wie solche Pflichtverletzungen ungeahndet möglich sind.“