Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Rundschau-Debatte des TagesIst die Einführung der Impfpflicht notwendig?

Lesezeit 4 Minuten
Corona Impfung

Symbolbild 

  1. Die Ampelkoalition und die Union haben eine verpflichtende Corona-Impfung für Menschen in Gesundheitsberufen auf den Weg gebracht.
  2. Bis zur Impfpflicht für alle ist es nur noch ein kleiner Schritt.
  3. Wäre eine solche Vorschrift wünschenswert, sinnvoll – oder inakzeptabel?

Berlin – Erstmals seit Beginn der Pandemie wird es in Deutschland eine Impfpflicht geben – allerdings begrenzt auf Gesundheitspersonal. Dies sowie weitere Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie haben Bundestag und Bundesrat beschlossen. Der von der neuen Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorgelegten Änderung des Infektionsschutzgesetzes stimmten im Parlament auch die CDU/CSU und in der Länderkammer die unionsgeführten Länder zu.

Die Beschlüsse

Beschäftigte in Einrichtungen mit schutzbedürftigen Menschen wie Pflegeheimen und Kliniken müssen bis Mitte März 2022 nachweisen, dass sie geimpft oder genesen sind – oder eine Arzt-Bescheinigung vorlegen, dass sie nicht geimpft werden können. Für neues Personal gilt die Regel ab dann von vornherein. Neben Ärzten können künftig auch Apotheker, Zahn- und Tierärzte gegen Corona impfen. Voraussetzung ist eine Schulung. Möglichkeiten für die Länder zu regional härteren Regelungen werden ergänzt und verlängert. Geschlossen werden können künftig wieder Bars und Clubs, aber auch Restaurants.

Für das Gesetz stimmten im Bundestag 571 Abgeordnete. Es gab 80 Nein-Stimmen und 38 Enthaltungen. Der Bundesrat nahm es später einstimmig an.

Der Minister

In seiner ersten Bundestagsrede als Gesundheitsminister sagte Karl Lauterbach (SPD) mit Blick auf die raschen Gesetzesänderungen: „Hat sich der medizinische Befund geändert, müssen auch die therapeutischen Maßnahmen angepasst werden.“ Die Koalition habe sich vieles vorgenommen. „Aber das oberste Ziel ist für uns der Schutz der Bevölkerung in dieser Gesundheitskrise. Wir werden daher alles tun, um diese Krise so schnell wie möglich zu beenden.“ Dafür werde die Regierung eng mit den „konstruktiv gewählten Teilen der Opposition“ zusammenarbeiten.

Der Minister betonte: „Bei der Inzidenz, die wir derzeit haben, ist die einzige Alternative zur Schließung von Restaurants und kulturellen Einrichtungen oft die, dass Ungeimpfte dort nicht hineinkommen.“ Bis Weihnachten müsse die Delta-Welle so weit wie möglich zurückgedrängt werden. Familientreffen müssten nicht nur stattfinden dürfen, „sondern sicher stattfinden können“.

Die Koalition

Laut FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus bietet das neue Gesetz umfangreiche Möglichkeiten, um die Pandemie wirksam zu bekämpfen. Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen forderte die Länder aber auf, die Maßnahmen auch konsequent umzusetzen. „Der Staat darf sich nicht lächerlich machen. Es muss durchgesetzt werden, was beschlossen wird, ansonsten wird der Staat als Ganzes unglaubwürdig.“

Die Opposition

Die Union stimmte zwar ebenfalls für das Gesetz, kritisierte aber die Vorgehensweise der Ampel. So kehre sie nicht zur „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ zurück, die bis vor kurzem noch die Rechtsgrundlage für die Möglichkeit weitreichender Corona-Maßnahmen war. Die Länder erhielten wieder nicht alle nötigen Befugnisse, bemängelte der CDU-Abgeordnete Volker Ullrich. „Wir brauchen jetzt die volle Handlungsfähigkeit des Staates.“ Die ständigen Gesetzesänderungen führten lediglich zu einer wachsenden Verunsicherung der Bevölkerung, stellte Erwin Rüddel (CDU) fest.

NRW will mehr Tempo

Bei der Impfpflicht für Beschäftigte in Pflegeheimen, Kliniken oder Arztpraxen, die Bundestag und Bundesrat am Freitag beschlossenen haben, will NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) aufs Tempo drücken. Die Teil-Impfpflicht müsse jetzt „so schnell wie möglich“ umgesetzt werden, so Wüst. Wegen der vierten Corona-Welle brauche es Tempo, um vor allem ältere Menschen zu schützen.

Kliniken in NRW halten es derweil für machbar, die Impfpflicht auch vor dem jetzt beschlossenen Termin Mitte März einzuführen. Landesweit liege die Impfrate in den Krankenhäusern bei 95 Prozent, Impfaktionen liefen bereits, so ein Sprecher. Aus der Altenpflege gibt es indes Kritik. Elke Hammer-Kunze von der Freien Wohlfahrt NRW sagte, es brauche nicht noch mehr Druck im Kessel, sondern niedrigschwellige Impfangebote. Auch Verdi NRW sieht die Impfpflicht kritisch und mahnt an, dass die nächsten Schritte nun sauber geklärt und die Beschäftigten bei der Umsetzung mitgenommen werden müssen. (EB)

Die Linken-Abgeordnete Susanne Ferschl kritisierte, dass die Ampel zwar große Eile bei Grundrechtseingriffen an den Tag lege, aber bislang noch nicht den neuen Pflegebonus beschlossen habe. Der AfD-Partei- und Fraktionschef Tino Chrupalla sagte: „Die Stabilität unserer Gesellschaft ist durch die politischen Zwangsmaßnahmen deutlich strapaziert worden.“ Auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) übte im Bundesrat erneut Kritik am Vorgehen der Ampelkoalition: „Wir machen nichts anderes als Reparaturarbeiten.“ Sollte sich die Omikron-Variante so schnell ausbreiten wie von Fachleuten befürchtet, werde dies nicht die letzte Änderung des Infektionsschutzgesetzes sein.

Die Reaktionen

Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU), unterstützte die kommende Impfpflicht. „Wir hoffen, dass sich nun viele weitere Beschäftigte in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern impfen lassen.“ Zugleich setze man auf eine Sogwirkung für viele andere, die nicht erst bis zu einer allgemeinen Impfpflicht warten wollen.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz befürchtet dagegen, dass es durch die Impfpflicht in den Heimen bald zu personellen Engpässen kommen könnte. „Verlassen nur zehn Prozent der schon heute hochbelasteten Beschäftigten ihren Beruf, werden 200000 Pflegebedürftige keine professionelle Hilfe mehr erhalten können“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. (dpa/mit afp)