- Die Explosionen an Nord Stream 1 und 2 und die zerstörten Leitungen der Bahn haben die Verwundbarkeit solcher Einrichtungen gezeigt.
- Noch ist unklar, ob Russland verantwortlich ist.
- Klar ist: Das nötige Wissen hat der Kreml längst.
Mit den Ostseepipelines fing es an. Zwei Explosionen erschütterten am frühen Morgen des 26. September den Meeresboden nahe der dänischen Insel Bornholm. Gas strömte aus, die Ostsee fing im Umkreis der Lecks an zu brodeln: Methan stieg auf. Auf die Pipelines folgte die Bahn: Plötzlich ging an einem Samstagvormittag in Norddeutschland nichts mehr. Zwei für den Zugverkehr unverzichtbare Kabel, notwendig für die Kommunikation, waren gekappt worden. Um zwei redundante Systeme gleichzeitig lahmzulegen, braucht es Insiderwissen.
Vorbereitungen auf einen Blackout
Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine haben sich nicht nur die Aufgaben und Manöver der Bundeswehr verändert – auch die Spezialkräfte der Bundespolizei wappnen sich für schwierige Zeiten. „Wir haben unsere Durchhaltefähigkeit erhöht“, sagte der Präsident der Bundespolizeidirektion 11, Olaf Lindner. „Es geht zum Beispiel darum, bei einem etwaigen Cyberangriff auf die Stromversorgung in Berlin möglichst lange handlungsfähig zu bleiben.“ Denn wenn der Strom ausfalle, funktioniere beispielsweise auch die Zapfsäule an der Tankstelle nicht mehr. „Wir haben unsere Reserven noch mal massiv erhöht“, sagte Lindner. Für die gesamte Bundespolizei gebe es einen „Mindeststandard in Sachen Durchhaltefähigkeit“.
Unter dem Dach der vor fünf Jahren gegründeten Direktion 11 in Berlin sind die GSG 9 sowie alle anderen Spezialkräfte der Bundespolizei mit insgesamt sechs Dienststellen an 40 Standorten zusammengefasst. Dazu gehören unter anderem Polizisten, die für die Sicherheit deutscher Diplomaten im Ausland sorgen. Beim Schutz von Bahnanlagen, um den sich die Bundespolizei in Abstimmung mit der Konzernsicherheit der Deutschen Bahn kümmert, unterstützen die Spezialkräfte mit Überwachungsflügen sowie mit einem Entschärfungsdienst, der an 15 Standorten im Bundesgebiet präsent ist. „Hybride Bedrohungen und Risiken für die kritische Infrastruktur waren für uns und für andere Fachleute immer schon ein Thema“, sagte Lindner. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) beschäftige sich seit vielen Jahren mit der Frage, wie Deutschland für den Fall eines längeren, großflächigen Stromausfalls vorbereitet sei. Neu sei nur, dass es für diese und andere Fragen zur kritischen Infrastruktur jetzt – ausgelöst durch die Corona-Pandemie, die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021, den Krieg in der Ukraine und die jüngsten Sabotage-Akte gegen Pipelines und die Bahn – „eine ganz neue politische Aufmerksamkeit“ gebe.
Auch der Schutz von Anlagen auf hoher See sei für die Spezialkräfte der Bundespolizei nicht neu, betonte Lindner, der früher Kommandeur der GSG 9 war. Er sagte: „Seit vielen Jahren haben wir Szenarien durchgespielt wie Angriffe auf Gas-Plattformen in der Ostsee.“ (dpa)
Und es ging weiter: Drohnen über norwegischen Gas-Anlagen und über süddeutschen Truppenübungsplätzen wurden gemeldet. Aktuell sind die Shetlandinseln ohne Kommunikationsverbindung – gleich zwei Unterwasserkabel hat es hier erwischt. Über die Urheberschaft ist bislang nichts bekannt, es könnte einfach ein Unfall mit einem Fischtrawler gewesen sein. Oder auch jemand ganz anderes, der nicht aus Unachtsamkeit, sondern mit voller Absicht die Kabel durchtrennt hat. Genau das ist das Ergebnis hybrider Kriegsführung: Nadelstiche setzen. Infrastruktur zerstören. Unsicherheit schüren.
Wissen auf dem Silbertablett überreicht
In allen Fällen schließen Sicherheitsexperten eine Beteiligung Russlands nicht aus. Und selbst wenn der Kreml nicht involviert war, profitiert er doch von der Verunsicherung, wie ein Stromausfall auf Bornholm, nur wenige Tage nach dem Nordstream-Anschlag zeigte: Sofort dachten alle, das waren die Russen. Später stellte sich heraus, dass es ein Fehler im Hochspannungsnetz war. Das alles kann dem Kreml indes nur recht sein, dessen Ziel es ist, den Westen zu destabilisieren.
Dass die leicht erkennbaren Drohnen etwa über Norwegens kritischer Energie-Infrastruktur wirklich spionieren, ist unwahrscheinlich. Denn wie die norwegische Zeitung „Aftenposten“ vor einigen Tagen enthüllte, wissen die Russen ohnehin schon alles: Norwegens Regierung selbst hat ihnen das Wissen auf dem Silbertablett überreicht. Im Jahr 2012 ließ sich der staatliche russische Energiekonzern Rosneft in Form seiner hundertprozentigen Tochtergesellschaft RN Nordic Oil in Norwegen nieder. Offiziell, um Ölfelder zu erkunden. Dafür kaufte die Firma unter anderem seismische und geophysikalische Daten über das norwegische Schelf. 2013 erhielt die Firma Zugriff auf die nationale seismische Datenbank „Diskos“. Was darin verzeichnet ist, sei so etwas wie die „Schatzkarte“ des norwegischen Festlandsockels, so zitiert „Aftenposten“ die Expertin Ina Holst-Pedersen Kvam von der norwegischen Marineakademie. Die „Schatzkarte“ liefert nach Informationen der Zeitung „hochsensible“ und „teilweise vertrauliche Informationen“ – auch über das Seegebiet Jan Mayen, das sowohl für Norwegen als auch für Russland militärstrategische Bedeutung hat.
Nicht nur erhielten Rosneft und damit Putins rechte Hand Igor Sechin, der hinter dem Konzern steht und enge Geheimdienstverbindungen hat, so sensible Daten über Pipelines und Rohstoffvorkommen – sondern der norwegische Staat erstattete der russischen Firma auch noch die Kosten. Denn Firmen, die in Norwegen Rohstoffe erschließen wollen, können sich die Anfangsinvestitionen erstatten lassen, solange sie kein Geld verdienen. RN Nordic Oil, fand „Aftenposten“ heraus, verdiente nie Geld – und erhielt dafür vom norwegischen Staat über 600 Millionen Kronen – umgerechnet fast 58 Millionen Euro – Erstattung. Vor diesem Hintergrund erscheinen etwa die Drohnenflüge über norwegischen Anlagen nicht unbedingt als Spionageaktion – sondern eher als kleiner Gruß aus Moskau, so sie denn aufs Konto der Russen gehen.
Das und die Durchtrennung der Seekabel können ohne detaillierte Kenntnis ihrer Lage kaum durchgeführt werden. „Diese Aktivitäten kann ich ja nur machen, wenn ich das Wissen habe“, sagt etwa Fregattenkapitän und Experte für maritime Sicherheit Göran Swistek von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Gespräch mit unserer Redaktion – und verweist auf ähnliche Aktionen in der Vergangenheit, etwa durchtrennte Seekabel bei Spitzbergen. „Diese Aktivitäten und Angriffe auf die kritische Infrastruktur sind nicht neu“, stellt Swistek klar. Und sie nehmen zu: Die Meldungen von durchtrennten Datenkabeln auf See häufen sich. „Es ist erst mal ein psychologischer Effekt: Wenn man ein Datenkabel durchtrennt oder auch zwei, hat das noch nicht so große Auswirkungen. Es sind Botschaften, dass man auch in großer Wassertiefe in der Lage ist, Schaden anzurichten“, so Swistek.
Naturkatastrophen als Waffe
Physische Angriffe auf die kritische Infrastruktur wie Kabel oder Pipelines sind das eine. Gerade auf See gibt es allerdings auch noch weitere, wesentlich unappetitlichere Varianten der asymmetrischen oder hybriden Kriegsführung. „Ein anderes Szenario wäre auch das bewusste Herbeiführen von Umweltkatastrophen“, sagt Göran Swistek.
Neben der Informations- und Energie-Infrastruktur, die den Westen so verwundbar macht, sind es aber auch die klassischen militärischen Übungsgebiete an der Küste oder auf See, die für russische Spionageaktivitäten besondere Ziele sind, in Deutschland etwa an der Hohwachter Bucht: „Das Übungsgebiet Putlos/Todendorf ist in der Ostsee relativ einzigartig“, sagt Fregattenkapitän Göran Swistek. „Es steht der Nato zur Verfügung, und man kann dort sowohl im Luftraum als auch an Land und auf See üben: Minen legen und Räumen, Artillerie, Flugkörper, Luftverteidigung.“ Im Ernstfall können sich hier Nato-Streitkräfte sammeln und sich für den Einsatz koordinieren: „Der Platz ist geeignet als Nato-Aufmarschgebiet für den Ostseeraum und insofern für Russland natürlich interessant.“
Während militärische Sperrgebiete immerhin gut bewacht sein dürften, sieht das bei den Kabelstandorten auf See anders aus: Der ganze Westen liegt nach Einschätzung von Swistek „relativ offen“ da. Eine kleinteilige Überwachung der Kabel und Pipelines ist auf See kaum möglich: In Deutschland etwa, aber auch in Norwegen war die Seeraumüberwachung in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgefahren worden. Erst mit den aktuellen Entwicklungen rückt die Notwendigkeit, die Infrastruktur auf See zu schützen, plötzlich wieder in den Fokus.
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Wenn aber feststeht, dass nicht jeder Meter Seekabel überwacht werden kann – wie können sich Deutschland und seine westlichen Partner überhaupt sinnvoll schützen? „Um sich gegen physisches Eingreifen auf See zu wehren, müssen Sie erst mal ein Lagebild haben. Etwa durch Radar und Unterwassersensoren. Bei der Vielzahl der maritimen Infrastruktur ist das sehr schwierig.“ Innerhalb der 12-Meilen-Zone wäre die Bundespolizei See zuständig. Außerhalb gilt das Internationale Seerechtsübereinkommen. „Die Antwort wären mehr Patrouillenfahrten“, sagt Göran Swistek, nur: „Man kann nicht überall sein.“