Viktor Orbán trifft überraschend die Altkanzlerin – Inhalte werden nicht bekannt. Dann sorgt der Ungar mit drastischen Worten für Aufsehen.
„Unverhohlene Kriegsvorschläge“Orbán posiert mit Merkel, bekommt Kritik von Merz – und geht dann auf Europa los

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Im Hintergrund ist Bundeskanzler Friedrich Merz zu sehen. Der Ungar wirft der EU vor, in den Krieg gegen Russland ziehen zu wollen. (Archivbild)
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Altkanzlerin Angela Merkel und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán haben mit einem überraschenden Treffen in Budapest für Aufsehen gesorgt. Trotz der gespannten Beziehung zu Merkel hat Orbán die frühere Bundeskanzlerin in seinem Amtssitz zu einem Gespräch empfangen. Anlass von Merkels Besuch in Ungarns Hauptstadt war die Vorstellung der ungarischen Übersetzung ihrer Memoiren.
Orbán teilte Bilder von dem Treffen auf seiner Facebook-Seite, die beide Politiker unter anderem beim Bewundern der Aussicht auf die Donau vom Hügel in Buda aus zeigen, wo sich der Regierungssitz befindet. „Einmal Kanzlerin bedeutet bei uns immer Kanzlerin. Willkommen in Ungarn, Angela Merkel“, schrieb der Rechtspopulist dazu, der zuletzt mit Aussagen über die Ukraine für Wirbel gesorgt hatte.
Überraschender Besuch: Angela Merkel trifft Viktor Orbán in Budapest
Worüber die beiden Politiker sprachen, wurde zunächst nicht bekannt. Zugespitzt hatten sich ihre Meinungsverschiedenheiten anlässlich der Flüchtlingskrise von 2015, als Zehntausende Menschen aus den Krisengebieten etwa im Nahen Osten durch Ungarn Richtung Westeuropa flohen.
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Ungarn verweigerte den Geflüchteten zeitweise die Weiterreise, später gestattete er diese, nachdem Merkel die Aufnahmebereitschaft Deutschlands erklärt hatte. Merkels damaliger, in diesem Zusammenhang geäußerter Satz „Wir schaffen das!“, wurde seither oft von Orbán und seinen Anhängern in Politik und Medien verspottet. Dementsprechend sorgte der überraschende Besuch der Altkanzlerin in Ungarn für Verwunderung unter Politik-Experten.
„Was in aller Welt glaubt sie, was sie da tut?“
„Wo Merkel sich so wohlfühlt“, kommentierte etwa der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger das gemeinsame Foto der Altkanzlerin mit Orbán. Auch der amerikanische Politikwissenschaftler Branislav Slantchev zeigte sich irritiert. „Was in aller Welt glaubt sie, was sie da tut?“, schrieb der Professor der University of California in San Diego zu der Aufnahme.
Wenn Merkel so weiter mache, sehe sie „ihrem Ruhestand in einer Datscha am Stadtrand von St. Petersburg entgegen“, schrieb Slantchev zudem – und dürfte auf die ehemalige Russland-Politik der Kanzlerin angespielt haben, die ihr auch in Ungarn zugutegehalten wird.
Ungarisches Portal lobt Merkel für „pragmatische“ Russland-Politik
Als einzig positiven Aspekt von Merkels Politik bewertete ein Kommentar im regierungsnahen ungarischen Portal „mandiner.hu“ am Mittwoch, dass die damalige Kanzlerin „an den Erhalt der europäischen Einheit durch Kompromisse geglaubt hat und an eine pragmatische Beziehung zu den Russen.“
Für seinen prorussischen Kurs ist auch Orbán mittlerweile bekannt. Immer wieder versucht der ungarische Ministerpräsident die Unterstützung der EU für die Ukraine zu unterbinden. Zuletzt erreichte das Verhältnis zum von Russland angegriffenen Land einen Tiefpunkt.
Viktor Orbán sorgt mit Ukraine-Aussagen für Empörung
Orbán hatte zuvor russische Narrative übernommen und die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine in Zweifel gezogen. Zusammen mit der Slowakei ist Ungarn zudem das letzte EU-Land, das noch in großem Umfang russisches Öl importiert – und damit auch zum Missfallen von US-Präsident Donald Trump die Kriegskasse in Moskau füllt.
Das unerwartete Treffen in freundlicher Atmosphäre mit Merkel scheint am Budapester Konfrontationskurs derweil nichts geändert zu haben. Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Kopenhagen brachte nun offenbar auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seinen Ärger über Orbán zum Ausdruck.
Bloomberg: Friedrich Merz kritisiert Viktor Orbán deutlich
Merz habe den Ungarn im Rahmen einer Diskussion über die europäische Verteidigung gegen russische Drohnen scharf angegriffen, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Bezug auf an dem Gespräch beteiligte Quellen. Orbán wolle die Gespräche über die europäische Sicherheit zum Scheitern bringen, soll der Kanzler dabei erklärt haben, hieß es weiter.
Die Kritik aus Deutschland scheint bei Orbán jedoch nicht für ein Umdenken gesorgt zu haben. Am Donnerstag wählte der Ungar erneut drastische Worte und warf der Europäischen Union schließlich vor, einen Krieg gegen Russland beginnen zu wollen.
„Es liegen unverhohlene Kriegsvorschläge auf dem Tisch“
„Es liegen unverhohlene Kriegsvorschläge auf dem Tisch“, schrieb Orbán am Donnerstag (2. Oktober) auf der Plattform X, die Lage sei „ernst“, warnte er. „Sie wollen EU-Gelder an die Ukraine überweisen. Sie versuchen, den Beitritt der Ukraine mit allen möglichen juristischen Tricks zu beschleunigen. Sie wollen Waffenlieferungen finanzieren“, schrieb Orbán und fügte an: „All diese Vorschläge zeigen deutlich: die Brüsseler wollen in den Krieg ziehen.“
Europa habe sich für eine Strategie entschieden, die darauf abziele, Russland „durch einen endlosen Krieg zu zermürben“, behauptete Orbán in einem weiteren Beitrag. „Das bedeutet, Milliarden in die Ukraine zu pumpen, die europäische Wirtschaft zu opfern und Hunderttausende in den Tod an die Front zu schicken.“ Ungarn lehne diesen Weg ab. Europa müsse „über Frieden verhandeln und nicht endlosen Krieg führen“, fügte der Ungar hinzu.
Russland lehnt ernsthafte Friedensverhandlungen weiterhin ab
Dass Russland bisher jegliche Verhandlungen – auch unter der Beteiligung von US-Präsident Donald Trump – ablehnt, bei denen die Kriegsziele des Kremls nicht restlos erfüllt werden, erwähnte Orbán bei seinen Ausführungen nicht. Ähnlich wie Moskau behauptet der Ungarn stattdessen stets, dass es im Westen an Verhandlungsbereitschaft mangeln würde.
Tatsächlich ist es jedoch Russland, das Gespräche über einen Frieden immer wieder mit Verweis auf „Grundursachen des Konflikts“ unterbindet – und weiterhin auf die illegale Annexion ukrainischer Regionen besteht, obwohl die russische Armee diese Gebiete bisher nicht einmal vollständig erobern konnte. Kremlchef Wladimir Putin bekräftigte diesen Kurs noch zu Wochenbeginn. „Wir haben getan, was wir tun mussten, und wir sind stolz darauf“, sagte der russische Autokrat über den von ihm begonnenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. (mit dpa)