Jens Spahn will Job-Verweigerern das Bürgergeld streichen und die Vermögen in Deutschland gerechter verteilen. Für die deutsche Wirtschaft erwartet der Unionsfraktionschef um den Jahreswechsel einen ersten Aufschwung.
Jens Spahn„Noch ein Jahr ohne Wachstum, das wäre brutal“

„Die Vermögensverteilung in Deutschland ist sehr ungleich. Ich halte das für ein Problem“, sagt Jens Spahn.
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Auf Kritik an seiner Maskenbeschaffung reagiert Jens Spahn schmallippig. Beim Bürgergeld macht der Chef der CDU/CSU-Fraktion im Interview mit unserer Redaktion eine klare Ansage. Zur Forderung der SPD nach einer Reform der Erbschaftssteuer kommt von Spahn keine kategorische Absage. Müssen sich Vermögende auf höhere Abgaben gefasst machen?
Herr Spahn, Sie stehen wegen der Beschaffung überteuerter Masken und Corona-Medikamente und wegen der im ersten Anlauf geplatzten Richterwahl in der Kritik. Wie groß ist die Hypothek für den Fraktionschef?
Ich habe über all das nun so oft gesprochen. Ich bedaure, dass wir die Richterwahl im ersten Anlauf absetzen mussten. Es hätte so nicht passieren dürfen. Nun haben wir drei hervorragende Kandidaten gewählt und schauen nach vorn.
Festzuhalten ist: Die ganze Regierung leidet unter Vertrauensverlust. Das zeigen die hohen Umfragewerte der AfD. Was läuft schief?
Es stimmt: Viereinhalb Monate nach dem Regierungsstart ist es noch nicht gelungen, das Vertrauen zurückzugewinnen, im Gegenteil. Warum? Jeder sieht, dass unser Land an vielen Stellen in keinem guten Zustand ist. Rezession, Arbeitslosigkeit, Krieg in Europa, Überforderung durch irreguläre Migration. Die Zweifel sind weiterhin groß, ob die Regierung die Probleme lösen will und kann. Wir haben erste Erfolge vorzuweisen, etwa den Rückgang der irregulären Migration um 60 Prozent. Aber die Verbesserungen sind im Alltag für die Menschen noch nicht spürbar. Am Hauptbahnhof in Duisburg und Gelsenkirchen sieht es noch genauso aus. Die Wohnungssuche bleibt schwer, die Mieten sind zu hoch. Die Zustimmung wird erst steigen, wenn wir im Alltag einen Unterschied machen.
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Die harte Abschottungspolitik hat bisher nicht geholfen. Der AfD hinterherlaufen, ist das die falsche Strategie?
Wir senken die Zahl irregulärer Migration, weil wir es für richtig halten. Es ist mir herzlich egal, was die AfD dazu denkt. Offene Grenzen sind ein Problem, das überfordert uns und das sieht jeder: Kitas, Schulen, der Wohnungsmarkt, Integrationsprobleme gerade aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum, Parallelgesellschaften im Ruhrgebiet... Wir müssen etwas ändern.
Weil auch die Union eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt, gibt es die These, die Leute wollten eine rechte Politik, aber sie bekämen eine linke. Ist die These komplett falsch?
Die Frage ist eher, was daraus folgt. Aus meiner Sicht vernünftige Politik von Maß und Mitte. Vielen in der Union fallen die enormen Schuldenpakete nach wie vor schwer. Bei der SPD haben viele Bauchschmerzen wegen der verschärften Migrationspolitik. Die meisten Wähler von Union und SPD finden aber beides richtig. CDU und SPD werden als Volksparteien nur erfolgreich sein, wenn wir die Probleme gemeinsam lösen und die Gründe für den ganzen Frust spürbar beseitigen.
Aber solange die Wirtschaft schrumpft, so lange wächst die Zustimmung zur AfD, oder?
Umgekehrt gilt aber auch: Wächst die Wirtschaft, schrumpft die AfD. Denn Wachstum stärkt die Demokratie und umgekehrt. Noch ein Jahr ohne Wachstum, das wäre brutal. Das Land ist ärmer geworden, die Leute spüren es im Alltag. Rund um den Jahreswechsel muss der Aufschwung beginnen.
Woher soll er kommen?
Wir haben das Sondervermögen für die Infrastruktur gerade beschlossen, erst jetzt kann richtig investiert werden. Wir senken die Kosten für Gas und die Netzentgelte für Strom zum 1. Januar um 10 Milliarden Euro. Insgesamt werden wir Unternehmen und Haushalte im Jahr 2026 um rund 40 Milliarden Euro entlasten. Der Investitionsbooster ist in Kraft. Und im Herbst gehen wir an die Bürokratie ran: Die Berichtspflichten aus dem Lieferkettengesetz werden gestrichen, der Bauturbo gezündet, Planungen beschleunigt, wir wollen Überstunden steuerfrei stellen. Das macht mich zuversichtlich, dass mit Beginn des Jahres das Wachstum zurückkehrt.
Geld ausgeben statt Sozialreformen?
Keineswegs. In diesem Herbst gehen wir die Abschaffung des Bürgergeldes an. Die Zahl der Bezieher muss in einer neuen Grundsicherung deutlich niedriger ausfallen.
Wie?
Wer arbeiten kann und eine Stelle angeboten bekommt, muss arbeiten – das haben Friedrich Merz und Lars Klingbeil beide deutlich gemacht. Wenn jemand eine Stelle ausschlägt, kann das nur heißen, dass er keine Unterstützung benötigt. Ja, in der Industrie sind viele Jobs weggefallen. Aber in der Gastronomie oder im Paket- und Zustellgewerbe sind sehr viele Stellen offen. Wer arbeiten kann und einen Job nicht annimmt, sollte künftig kein Bürgergeld mehr bekommen – das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit.
Carsten Linnemann will weitergehen und Vollzeitjobs zur Bedingung für den Aufenthalt von EU-Ausländern machen. Ist es nicht völlig unrealistisch, die EU-Regeln zu ändern?
Das Problem ist: Die EU-Freizügigkeit wird ausgenutzt. Die Menschen werden von organisierten Banden in Schrottimmobilien zu überteuerten Mieten gesteckt und arbeiten ein paar Stunden, oft nur formal in Scheinarbeitsverträgen, beziehen daneben aber Bürgergeld. Wir sollten zügig eine EU-Initiative starten, um diesen Missbrauch zu beenden. Die Bedingung muss ein Vollzeitjob sein. Fünf oder sechs Stunden Arbeit pro Woche können doch nicht ausreichen, um Anspruch auf volle Sozialleistungen in einem anderen EU-Land zu erhalten.
Die SPD will bei den Sozialreformen nur mitmachen, wenn es höhere Abgaben für Spitzenverdiener und Vermögende gibt. Wäre das nicht gerecht?
Die Vermögensverteilung in Deutschland ist sehr ungleich. Ich halte das für ein Problem, übrigens nicht erst seit letzter Woche. Der eine oder andere Unternehmer, mit dem ich spreche, sieht es genauso. Niemand kann sich aussuchen, in welche Verhältnisse er geboren wird. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass das Vermögen der einen wächst, nur weil die Aktienwerte steigen, und andere kaum eine Chance auf auch nur 10.000 Euro auf dem Konto haben, weil sie in die falsche Familie geboren wurden. Ich finde, da sollten wir ein Stück Ausgleich schaffen.
Durch höhere Vermögens- und Erbschaftssteuern?
Ein erster wichtiger Schritt wäre Unterstützung dabei, Vermögen aufzubauen. Dazu sollten wir beim Immobilienerwerb auch mit kleinem Einkommen helfen – zum Beispiel, indem der Staat auf die Grundsteuer für die erste Immobilie verzichtet. Auch die Frühstart-Rente gehört dazu, weil sie schon junge Leute bei der Vermögensbildung fördert.
Und der zweite Schritt?
Wir müssen jetzt erstmal die Entscheidung des Verfassungsgerichts abwarten. Dann sehen wir weiter. Eins ist mir in der Debatte aber wichtig: Familienunternehmen müssen weiterhin ohne Substanzverlust in die nächste Generation übergeben werden können.
Müsste man es als Steuererhöhung bezeichnen, wenn Ausnahmetatbestände beim Vererben und Schenken gestrichen werden?
Diese Debatte können wir nach dem Urteil zur Erbschaftssteuer führen.