Donald Trump schickte seinen Stellvertreter zur Münchner Sicherheitskonferenz – und der brüskierte die Verbündeten, statt über Lösungen für drängende Probleme zu sprechen. Der Schock sitzt tief. Und die Suche nach einer Reaktion beginnt gerade erst.
Rundumschlag in MünchenWelche Lehren zieht Europa aus dem Vance-Auftritt?

Bayern, München: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, kommen bei der Münchner Sicherheitskonferenz zu Gesprächen zusammen.
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Was der Stellvertreter von US-Präsident Donald Trump den Verbündeten bei seinem Antrittsbesuch in Europa ins Stammbuch schrieb, könnte möglicherweise schwerwiegende Konsequenzen für die Weltordnung insgesamt haben. Fünf Lehren aus drei denkwürdigen Tagen in München:
Der Westen zerfällt
Wie kann der Ukraine-Krieg beendet werden? Wie organisiert man in der Nato die Lastenverteilung bei der Verteidigung des Bündnisgebiets? Ziehen sich die US-Truppen aus Europa zurück? Auf diese Fragen hatten sich die europäischen Verbündeten Antworten und Angebote der Zusammenarbeit von Vance erhofft. Mit Sicherheitspolitik hatte seine Rede dann aber praktisch nichts zu tun. Er sei nicht in erster Linie besorgt über äußere Bedrohungen, erklärte der Vizepräsident, sondern „wegen der Gefahr von innen“.
Vance kritisierte den Kampf der Europäer gegen Desinformation als Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Ausgrenzung von rechtspopulistischen Parteien wie der AfD als undemokratisch. Damit geht er an den Kern des westlichen Bündnisses, die gemeinsame Vorstellung davon, was Demokratie bedeutet. Dieser Konsens existiert in der Ära Trump nun nicht mehr. „Die westliche Wertegemeinschaft ist hier gestern aufgekündigt worden“, brachte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) es auf den Punkt. Die US-Regierung habe sich „an die Seite der Autokraten gestellt“.
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Die Folgen sind nicht absehbar. Wie soll zum Beispiel jetzt die Zusammenarbeit zwischen den USA und den europäischen Verbündeten in der G7, der Gruppe der wirtschaftsstarken Demokratien, überhaupt noch funktionieren? Und was wird aus der Nato als zentralem Pfeiler der Zusammenarbeit zwischen den USA, Kanada und Europa? Das wird sich spätestens bei zwei Gipfeltreffen in den diesen beiden Formaten im Juni zeigen.
Der britische Historiker Timothy Snyder sieht im globalen Kampf um demokratische Werte nun vor allem Deutschland in der Pflicht. „Deutschland ist heute die wichtigste Demokratie der Welt“, sagte er in einem „Stern“-Interview und fügte mit Blick auf die Bundestagswahl hinzu: „Was bei diesen Wahlen passiert, wird enorme Auswirkungen auf den Rest der Welt haben.“
Europa ohne Plan und außen vor
Aber welche Antwort hat die EU nun auf Trump? In München wurde deutlich, dass sie vom neuen US-Kurs kalt erwischt wurde. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama sagte am Sonntag als außenstehender Beobachter, ihm komme das alles vor wie zwei parallel laufende Netflix-Serien: Hier die amerikanische „One-Sheriff-Show“ und auf der anderen Seite die EU als „Patient mit 27 Ärzten“.
Eine gemeinsame EU-Strategie für den Umgang mit Trump gibt es bisher nicht. Zu lange hatten viele Europäer darauf gehofft, dass er die Wahl verlieren würde. Nun müssen sehr unterschiedlich eingestellte Akteure sehr schnell eine gemeinsame Linie finden: vom Trump-Freund Viktor Orban in Ungarn über die ebenfalls rechtsnationale Giorgia Meloni in Italien bis zu Trump-Kritikern wie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Die große Frage ist, ob das den Europäern angesichts des an nationalen Interessen orientierten US-Kurses gelingt – und wenn ja, wie schnell. Eine erste Nagelprobe gibt es an diesem Montag: Scholz und andere europäische Staats- und Regierungschefs wollen dann bei einem kurzfristig anberaumten Sondertreffen in Paris darüber beraten, wie sie mit der neuen Ukraine-Politik der US-Regierung umgehen wollen. Diese zielt darauf ab, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Kreml-Chef Wladimir Putin in Verhandlungen über ein Ende des Krieges zu zwingen.
Bei der Sicherheitskonferenz forderten die Europäer einen zentralen Platz am Verhandlungstisch ein, fingen sich vom US-Sonderbeauftragten Keith Kellogg allerdings eine ziemlich klare Absage ein. Sie sehen sich zudem mit der Aufforderung Washingtons konfrontiert, zu sagen, wie sie nach der Aushandlung eines Waffenstillstandsabkommens für die Sicherheit der Ukraine sorgen könnten. Konkret geht es um Soldaten für eine mögliche Friedenstruppe und Waffensysteme.
Bei den Gesprächen in Paris soll auch Großbritanniens Regierungschef Keir Starmer mit dabei sein. Für die Briten ist die klare Abkehr der USA von Europa ein ebenso großer Schock wie für die EU-Staaten.
Ungewisse Zukunft für die Ukraine
Hinter dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj liegt eine düstere Woche. Um ein Ende des russischen Angriffskrieges zu ermöglichen, soll die Ukraine aus US-Sicht ihre Ambitionen auf einen schnellen Nato-Beitritt aufgeben und akzeptieren, dass ein Teil ihres Staatsgebiets dauerhaft unter russischer Kontrolle bleibt. Zudem soll sie den USA im Gegenzug für weitere Hilfe Zugriffsrechte auf wertvolle ukrainische Rohstoffe einräumen.
Selenskyj bleibt dabei nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel machen. Wenn er Forderungen der USA ablehnt, geht er das Risiko ein, dass diese ihre militärische Unterstützung einstellen und sein Land möglicherweise komplett unter russische Kontrolle gerät.
Angesichts des Kurses der neuen US-Regierung forderte Selenskyj bei der Sicherheitskonferenz ein Zusammenstehen der Europäer und rief zur Bildung einer gemeinsamen europäischen Armee auf. „Von nun an werden die Dinge anders sein, und Europa muss sich darauf einstellen“, sagte er.
Viele vernachlässigte Themen
Die Vance-Attacke auf Europa hatte auch zur Folge, das drängende andere Themen in München kaum Chancen hatten. Dazu gehört die Klimapolitik und die von Trump geächtete Abkehr von fossiler Energie, aber auch die dramatische Lage im Gazastreifen sowie die für Europa sehr relevante Zukunft Syriens.
Syriens De-facto-Außenminister Assad al-Schaibani hatte in München seinen ersten großen Auftritt. Er bat um internationale Unterstützung und sicherte zu, die siegreiche Islamistenmiliz HTS werde die Diversität des syrischen Volkes und die Grundrechte achten. Die internationale Gemeinschaft steht vor der Entscheidung, ob die HTS weiter auf der Terrorliste bleibt und ob die gegen Syrien verhängten Sanktionen aufgehoben werden. Al-Schaibani warb um Vertrauen. „Dass eine Revolution in einen Staat verwandelt wird, dieser erfolgreiche Schritt in Syrien in nur zwei Monaten, das finden Sie nicht in jüngerer Zeit.“
Wahlkämpfer für einen Moment vereint
Die Sicherheitskonferenz war auch ein innenpolitisches Schaulaufen eine Woche vor der Bundestagswahl. Mit Olaf Scholz (SPD), Friedrich Merz (CDU/CSU) und Robert Habeck (Grüne) traten die drei aussichtsreichsten Kanzlerkandidaten auf – und waren sich ausnahmsweise mal einig. Der Schock der Vance-Rede schweißte die Wahlkämpfer zusammen, die sich mit Blick auf dessen Rückendeckung für die AfD einhellig die Einmischung in innere Angelegenheiten verbaten. Einzig FDP-Chef Christian Lindner stimmte nicht in die parteiübergreifende Kritik ein: „Also vielleicht ist im Verhältnis zu einem kompliziert gewordenen Freund USA eine ein bisschen weniger reflexhafte Antwort erforderlich, dafür etwas mehr kritische Selbstprüfung“, meinte er.
Von den deutschen Politikern bekam in München übrigens einer die größte Aufmerksamkeit, der im Wahlkampf derzeit nur eine Nebenrolle spielt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) war der erste, der auf Vance antwortete – und dafür viel Applaus im Saal und den sozialen Medien bekam. (dpa)