Der legendäre CDU-Abweichler Wolfgang Bosbach erzählt, was vor Abstimmungen wirklich hinter den Kulissen passiert.
Wolfgang Bosbach„Ich war drei- oder viermal im Beichtstuhl“

Weiß, was im Hintergrund bei der Union gerade geschieht: CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
Copyright: Thomas Banneyer
Scheitert die noch so junge Regierungskoalition wirklich schon an diesem Freitag, wenn bei der Rentenabstimmung im Bundestag die Regierungsmehrheit nicht steht? Die Spitzen der Union haben wenig Lust, das herauszufinden. Weshalb es in den letzten Tagen vor dem Showdown noch einmal besonders hektisch zugeht in Berlin.
Zum Ablauf gehört vor allem, dass Unions-Fraktionschef Jens Spahn mögliche Abweichler in Einzelgesprächen auf Linie zu bringen versucht. Einer, der solche sogenannten „Beichtstuhlgespräche“ mit der Fraktionsspitze häufig erlebt hat, ist Wolfgang Bosbach. Er saß bis 2017 für die CDU im Bundestag und stimmte mehr als einmal gegen die eigene Fraktion.
Herr Bosbach, bei der Suche nach einer Mehrheit für das Rentenpaket der Regierung heißt es gerade überall, mögliche CDU-Abweichler müssten jetzt das „Beichtstuhl-Verfahren“ über sich ergehen lassen. Was ist das?
Gemeint sind Gespräche unter vier Augen, meistens mit der Fraktionsführung. Also entweder mit dem Fraktionsvorsitzenden oder einem parlamentarischen Geschäftsführer. „Beichtstuhl“ wohl deshalb, weil die jeweiligen Abgeordneten „beichten“ sollen, warum sie beabsichtigen, gegen die Haltung der Fraktionsführung stimmen zu wollen.
Alles zum Thema Deutscher Bundestag
- Bundesparteitag BSW am Scheideweg
- Proteste in Köln Das sagen Jugendliche zu einem möglichen Wehrdienst
- Rundschau-Debatte Ist das beschlossene Rentenpaket der große Wurf?
- Renten-Abstimmung Abwendung des Totalschadens als allerletzter Weckruf
- Schulstreik Viele tausend Demonstranten bei Protesten gegen Wehrdienst
- Sieben Unionsabgeordnete stimmen gegen Rentengesetz
- Bundestag beschließt umstrittenes Rentengesetz
Wie genau läuft das ab, kumpelig oder kalt?
Jedenfalls unspektakulärer, als viele glauben, denn alle Beteiligten wissen, dass sie auch zukünftig aufeinander angewiesen sind. In der Regel wird man betont freundlich in das Büro der Fraktionsführung eingeladen. Das ist schon mal ungewöhnlich. Aber wenn sich die Beteiligten seit langer Zeit kennen, dann geht's auch mal informeller. Hauptsache, man ist ungestört. Mehrere Beteiligte habe ich nie erlebt. Gibt's im klassischen Beichtstuhl ja auch nicht.
Welche Instrumente hat ein Fraktionschef in der Hand?
Überraschung: Manchmal geht es sogar um die strittige Sachfrage selber! Es werden ganz ruhig die Pro- und Contra-Argumente ausgetauscht. Hilft aber nix, jeder bleibt bei seiner Meinung. Dann wird die zweite Stufe gezündet: Es geht ums Große und Ganze. Aktuell um den Fortbestand der Koalition und darum, dass sich im Rentenpaket auch Anliegen der Union befinden: Aktivrente und Mütterrente. Und zum Schluss kommt die Weltpolitik. Ukrainekonflikt, Trump und überhaupt... Wenn all das nicht hilft, kommt zum Schluss ein dezenter Hinweis auf die Themen politische Karriere und Listenplatz bei der nächsten Wahl. Was bei direkt gewählten Abgeordneten mit guten Ergebnissen komplett sinnlos ist.
Sie waren bis 2017 Mitglied der Unionsfraktion. Wie oft mussten Sie in den Beichtstuhl?
Ich war drei- oder viermal im Beichtstuhl, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Rettungspaketen für Griechenland oder die Vergemeinschaftung von EU-Schulden. Ich war echt gerührt, weil sich sogar die Kanzlerin höchstpersönlich um mich gekümmert hat. Übrigens sehr korrekt, sie hat nur ganz nüchtern argumentiert, nie gedroht. Womit auch? Irgendwann haben sie es dann aufgegeben.
Wie hat man versucht, Sie umzustimmen?
Am lustigsten war eine Begegnung mit dem damaligen Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer Peter Altmaier, ein super Typ. Der kam auf mich zu mit dem Satz: „Hömma, ich soll dich auf Linie bringen!“ „Peter, meinst du, dass das Sinn hat?“ „Nein!“ „Hast recht, komm, wir gehen was trinken.“ Das war’s dann.
Wie passt der Beichtstuhl zur Vorstellung, dass der einzelne Abgeordnete nur seinem Gewissen verpflichtet ist?
Das eine schließt das andere nicht aus. Es ist ja nun wirklich nicht jede Sachfrage eine Gewissensfrage! Wer prüft schon sein Gewissen bei einem geplanten Doppelbesteuerungsabkommen mit Uganda? Ganz anders bei bioethischen Fragen. Bei mir war die Besonderheit, dass es immer um Themen ging, wo ich plötzlich das Gegenteil von dem beschließen sollte, was meine Partei vorher versprochen hatte. Sowas mache ich nicht.
Welchen Tipp haben Sie für die jungen Abgeordneten der Union, die gerade über ihren Umgang mit der Rentenabstimmung grübeln?
Respekt für deren Haltung! Aber die Frage, wie kommen wir beim Thema Rente zu einer generationengerechten Lösung, wie machen wir sie zukunftsfest, die entscheidet sich nicht jetzt, sondern bei der Umsetzung der Ergebnisse der Reformkommission 2026. Dann kommt's drauf an, nicht jetzt. Deshalb wäre es auch klüger gewesen, im Kabinett die Haltelinie nur bis 2031 zu beschließen, nicht schon für die Zeit danach. Das aber ist nicht das Problem der Jungen Union. Eigentlich müsste die Fraktionsführung bei ihr beichten.

