Zweite Amtszeit in der EUEs gibt nur noch kleine Hürden für „Ur-su-la“

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Ursula von der Leyen bekommt Blumen nach einer Wahlparty zur Europawahl.

Ursula von der Leyen bekommt Blumen nach einer Wahlparty zur Europawahl.

Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat gute Aussichten auf eine Wiederwahl dank des Sieges des Mitte-Rechts-Bündnisses EVP. 

Es war erst kurz nach 21 Uhr am Sonntagabend und die Wahllokale in Italien waren noch geöffnet, da bestieg eine strahlende Ursula von der Leyen die Bühne im Brüsseler Luxushotel Stanhope. „Dies ist ein guter Tag für die EVP: Wir haben die Wahlen gewonnen“, rief die CDU-Politikerin unter Beifall in den heißen, stickigen Raum, in dem sich Dutzende Konservative aus ganz Europa zur Wahlparty der Europäischen Volkspartei (EVP) getroffen hatten.

Von der Leyen wirkte erleichtert, fast beschwingt. Und ihre Anhänger jubelten, skandierten „Ur-su-la“ und „five more years“, fünf weitere Jahre. Tatsächlich kann die Deutsche auf eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin hoffen. Denn schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das Mitte-Rechts-Bündnis mit ihr als Spitzenkandidatin als Sieger aus diesen Europawahlen hervorgehen würde.

Neben ihr stand der EVP-Partei- und Fraktionschef Manfred Weber, der 2019 von der Leyens Job wollte, aber von den Staats- und Regierungschefs ausgebootet wurde. Dieser Sonntag sollte ein guter Tag für den CSU-Mann werden, er wurde vom tragischen Helden zum Triumphator. Als er am späten Abend im Brüsseler EU-Parlament auftauchte, rannte eine Traube Reporter hinter und neben ihm her. Der Erfolg, die Aufmerksamkeit, das Lob – für ihn dürfte es eine Genugtuung sein. „Es wird im Europäischen Parlament nichts mehr gegen meine Fraktion entschieden“, sagte Weber unserer Redaktion und wirkte gelöst wie selten. Seine Rolle sei nun, darauf acht zu geben, „dass wir das, was wir versprochen haben, umsetzen“.

Schwächung von Scholz und Macron könnte Wiederwahl leichter machen

Um ein Debakel wie 2019 zu verhindern, muss von der Leyen jedoch erst einmal von den EU-Staats- und Regierungschefs nominiert und danach von einer Mehrheit im EU-Parlament gewählt werden. Bei ihrem ersten Ziel könnten ihr die Niederlage der Ampel-Parteien in Deutschland und jene von Staatspräsident Emmanuel Macron in Frankreich in die Hände spielen. Ausgerechnet in den größten und mächtigsten Mitgliedstaaten straften die Bürger ihre Regierungen ab. Damit dürfte auch die Position der beiden im Kreis der 27 Staats- und Regierungschefs geschwächt sein.

Wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) trotz der eigenen Schlappe und des Erfolgs der CDU/CSU von der Leyen ignorieren können, indem er die Deutsche im Europäischen Rat nicht als Kandidatin für die Spitze der Brüsseler Behörde vorschlägt? Und wird Macron wirklich einen Alternativ-Bewerber für die Leitung der Kommission wie den Italiener Mario Draghi durchzusetzen versuchen – wie vor der Wahl spekuliert worden war –, wenn er gerade in der Heimat politisch schwer gedemütigt wurde? Die Szenarien sind schwer vorstellbar.

Eine größere Hürde für von der Leyen könnte deshalb werden, die nötige Unterstützung im EU-Parlament zu sichern. Am Sonntagabend kündigte sie an, „eine breite Koalition für ein stärkeres Europa“ aufzubauen. Zwar käme sie mit der sozialdemokratischen S&D-Fraktion und den Liberalen von Renew Europe auf insgesamt 397 Stimmen und würde damit die erforderliche Marke von 361 weit überschreiten, aber weil die Abweichler selbst in der eigenen Fraktion traditionell rund zehn Prozent ausmachen, braucht sie weitere Verbündete.

Wen nimmt Ursula von der Leyen ins Boot?

Die Frage bleibt, wen sie darüber hinaus ins Boot holen will. Zwar sagte von der Leyen, dass man „ein Bollwerk gegen die Extremen von links und von rechtsaußen errichten“ wolle, doch die 65-Jährige hat mehrfach betont, dass sie Giorgia Melonis postfaschistische Partei Fratelli dItalia nicht ins extreme Lager steckt. Eine Zusammenarbeit schloss sie im Vorfeld nicht aus. Das Problem: Sollte sie sich Unterstützung im rechtsnationalen Lager suchen, könnten ihr die Sozialdemokraten und die Liberalen ihre Zustimmung versagen, wie EU-Abgeordnete aus beiden Fraktionen bereits ankündigten.

„Die neue Kommissionsspitze muss ein Bekenntnis gegen Nationalismus, dessen Bändigung die Gründungsidee der EU war, abgeben“, forderte der Chef der deutschen Europa-SPD, René Repasi. „Die CDU/CSU und ihre Faktion sollten sich auf ihre pro-europäischen Wurzeln besinnen und Nationalisten eine klare Absage erteilen.“

Bleiben also doch nur die Grünen, um von der Leyen eine Mehrheit zu verschaffen? Sie trafen sich am Sonntag im vierten Stock des EU-Parlaments zum „Wahlabend“, wie es hieß. Von Party wollte niemand reden, die Stimmung im grün ausgeleuchteten Raum war düster, es herrschten Enttäuschung und Ernüchterung. Während die Rechtspopulisten in zahlreichen Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich massiv zulegten, verloren die Grünen mit wenigen Ausnahmen europaweit deutlich. Sie werden mit 52 Sitzen künftig 19 weniger Europaabgeordnete stellen als bisher.

Das Misstrauen der Konservativen gegenüber den Grünen sitzt tief

Für von der Leyen würde das zwar reichen, um nicht auf die Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager angewiesen zu sein. Denn das käme selbst bei einem Zusammenschluss aller Parteien auf weniger als 200 der 720 Sitze. Doch bei der EVP sitzt das Misstrauen gegenüber den Grünen tief. Immer wieder hatten diese zuletzt Klimaschutzgesetze im EU-Parlament abgelehnt, weil sie ihnen nicht ambitioniert genug erschienen.

Dabei würde eine Zusammenarbeit auch den Grünen mehr Einfluss in Brüssel verschaffen. „Wir stehen für eine Koalition zur Verfügung“, bekräftigte der EU-Abgeordnete Daniel Freund. Völlig klar sei aber auch: „Grüne Stimmen gibt es nicht umsonst. Wenn Frau von der Leyen lieber mit Rechtsextremen paktiert, dann gehen wir dagegen natürlich in die Opposition.“