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Trotz KlimakriseIn den USA wird immer mehr Öl und Gas gefördert

Lesezeit 7 Minuten
In Port Arthur im Südosten von Texas soll ein LNG-Terminal entstehen.

In Port Arthur im Südosten von Texas soll ein LNG-Terminal entstehen.

Am Donnerstag beginnt in Dubai die Weltklimakonferenz. Eins ist laut UN schon klar: Ohne schnelle CO2-Minderungen wird es im Schnitt bald fast drei statt 1,5 Grad wärmer: Trotzdem wird gerade in Amerika immer mehr Öl und Gas gefördert. Ein Ortsbesuch.

Statt CO2 zu sparen, damit es nicht zu heiß wird, werden in den USA noch riesige neue Öl- und Gasvorkommen erschlossen. Der fatale Boom mit fossilen Brennstoffen liegt auch an uns, weil Deutschland die höchsten Preise für Flüssiggas zahlt. Manche Menschen im Süden der USA nennen das einen „Cluster Fuck“ – ein multiples Desaster, wie eine Reise ins brennende Herz der amerikanischen Öl- und Gas-Industrie zeigt.

Ein Sonntagvormittag am Stadtrand von Houston in Texas. Bei Starbucks an der Ausfallstraße stehen 30 SUVs und Pick-ups mit laufenden Motoren. Im Schneckentempo bewegt sich die Autoschlange vorwärts, sobald ein weiterer XXL-Mix-Kaffee durchs Fenster gereicht wird: Coffee Drive-in anstatt Coffee to go. Ein Liter Benzin kostet nur 1,05 Dollar, halb so viel wie in Deutschland.

Die Schilderung klingt hochnäsig. Auch in Deutschland lieben viele Fast Food im Auto. Aber hier im Süden der USA ist alles noch viel dicker, ungesünder und CO2-intensiver. Das meistverkaufte Auto ist seit Jahren der Ford F-150. Auch auf den Plätzen 2 und 3 folgen Pick-ups. Auf den endlosen Highways entlang der Golfküste sind Teslas die Nadeln im Blechhaufen. Andere Elektrofahrzeuge sind gar nicht zu sehen.

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Der Handel mit fossilen Brennstoffen brummt

Dass auf Straßen und in Städten keine Klimaschutzbemühungen erkennbar sind, liegt nicht nur daran, dass sich US-Amerikaner in der Regel ungern einschränken. Der wichtigste Grund ist, dass das Business mit fossilen Brennstoffen so richtig brummt. „Das schafft Jobs. Das macht das Leben der Menschen besser“, sagt die Angestellte einer großen Öl-Company aus Houston. „Wir sind stolz auf das, was wir tun“, sagt sie, will trotzdem aber nur mit ihrem Vornamen Debby in der Zeitung stehen.

Zwar entstehen auch in Texas Solar- und Windparks. Energiekonzerne nehmen viel Geld in die Hand, um sich einen grünen Anstrich zu geben. Auf Mega-Plakaten wird mit „Net Zero“ und „Low Emissions“ gute Stimmung gemacht. Und das zeigt Wirkung. Die Internationale Energieagentur (IEA) sagt für 2030 den Höhepunkt der weltweiten Nachfrage nach Öl und Gas voraus.

Wenn das stimmen würde, wäre die grüne Zeitenwende in vollem Gange. Dann stünde das postfossile Zeitalter kurz bevor. Die US-Multis sehen das aber ganz anders. Chevron, Exxon und Co. investieren ihre Rekordgewinne aus der Energiekrise des letzten Jahres gerade in milliardenschwere Zukäufe, um sich neue Vorkommen für die kommenden Jahrzehnte zu sichern. Chevron-Chef Mike Wirth sagte der „Financial Times“, die Prognose der Energieagentur IEA über den baldigen Öl- und Gas-Peak sei realitätsfern. Seine Ansage: „Wir leben in der echten Welt und müssen investieren, um den echten Bedarf zu decken.“

„Ihr Gott ist Öl und Gas“

Die Vereinigten Staaten sind schon heute der größte Produzent und Exporteur fossiler Brennstoffe auf der Welt. Die drei Banken, die weltweit am meisten Geld in neue Öl-, Gas- und Kohle-Deals stecken, sitzen ebenfalls in den USA, genauso wie die beiden größten sogenannten „Kohlenstoff-Bomben“, das Marcellus-Schiefer im Osten und das Permbecken in Texas. Als „Kohlenstoff-Bomben“ werden Vorkommen bezeichnet, deren Ausbeutung potenziell zu mehr als einer Milliarde Tonnen CO2-Emissionen führt.

Wie kann es sein – bei all den Temperaturrekorden, bei all den Warnungen vor einer nicht mehr zu stoppenden Erderwärmung –, dass die globale Führungsnation USA auch unter dem Demokraten Joe Biden den Abbau fossiler Energien hoch- statt runterfährt?

„Ihr Gott ist Öl und Gas“, sagt John Beard. Früher hätte Beard „unser“ statt „ihr“ sagen müssen, denn der 67-Jährige verdiente sein Geld selbst in der Branche. Inzwischen ist er Umweltaktivist für seine Gemeinde Port Arthur im Südosten von Texas und kämpft gegen den Bau eines neuen Export-Terminals für Flüssigerdgas. Das soll mit Unterstützung deutscher Banken gebaut werden, um LNG unter anderem zum Terminal Brunsbüttel in Schleswig-Holstein zu schaffen.

Also, Mister Beard, was ist mit Joe Biden? Klar, der sei besser als Donald Trump, aber in die Geschäfte der Big Companys greife der Präsident nicht ein, sagt der Aktivist. Und so würden die Firmen Öl fördern, bis kein Tropfen mehr im Boden sei. „Und erst dann, wenn es viel zu spät ist, werden sie sagen: ,Wir müssen echt was gegen den Klimawandel unternehmen!’“

Eine breite Klimabewegung ist in Port Arthur nicht in Sicht, obwohl die flache Küstenregion immer häufiger von Stürmen und Überflutungen heimgesucht wird. Davon zeugt auch ein kilometerlanger „Oil Train“, ein Zug voll beladen mit Erdöl, der regelmäßig mitten durch die Ortschaften rollt. Fridays for Future kennt man in Port Arthur nicht. „Es gibt leider immer noch welche, die den Klimawandel für Unfug halten. Die meisten hier kämpfen damit, einigermaßen über die Runden zu kommen“, sagt Beard. Die Beteiligung bei der letzten Kommunalwahl lag bei 10 Prozent.

200 Kilometer weiter östlich, am Strand von Cameron im benachbarten US-Staat Louisiana, zeigt John Allaire auf einen Monster-LNG-Tanker, der zum Calcasieu Pass Terminal (CP1) fährt. Allaire lebt seit 25 Jahren am Golf und nennt die Sumpfmoskitos seine Haustiere. Er fischt, schießt Enten, fängt Wildschweine, ganz selten auch Alligatoren. Der Aussteiger, Lebenskünstler und Energiemarkt-Beobachter hat vor kurzem per Zoom mit vier demokratischen Senatoren darüber beraten, wie der Bau eines neuen Terminals (CP2) noch gestoppt werden kann.

Der Golf von Mexiko hat sich beim letzten Hurrikan schon 70 Meter von Allaires Strand einverleibt. Wird das neue Terminal CP2 gebaut, werden riesige Sumpfgebiete und die Affeninsel in der Nähe vernichtet. Weitere natürliche Schutzmechanismen gegen die nächsten Fluten und Dürren würden der LNG-Industrie geopfert.

„Zur Wahrheit gehört, dass Deutschland im vergangenen Jahr die weltweit höchsten Preise für LNG gezahlt hat und damit den Gas-Boom bei uns befeuert“, sagt Allaire und fährt mit dem Finger über eine Tabelle der US-Regierung. „Die Gewinnmargen sind hochgeschossen.“ Und es geht weiter so. Der deutsche Energieversorger EnBW hat mit dem CP2-Betreiber Global Venture nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe einen Vertrag über die Lieferung von 27,2 Milliarden Kubikmeter Flüssiggas geschlossen. Die Vertragslaufzeit: 20 Jahre.

Die US-Regierung muss das neue Terminal noch genehmigen. Joe Biden könnte CP2 stoppen. Wird er es tun? „Ach, der alte Biden“, sagt Allaire. „Der hat noch immer nicht kapiert, was die Stunde geschlagen hat.“ Allaire ist überzeugt: Würde die Politik Ernst machen, könnten die USA dank Sonnen- und Windkraft, dank Geothermie und mit kleinen Atomkraftwerken binnen zehn Jahren ohne Gas und Öl auskommen. Aber die Politik mache nicht Ernst. Und deswegen werde gebohrt und gefrackt und das Zeug in die ganze Welt verkauft, komme, was wolle.

„Wir klagen und kämpfen“

Bidens Ziel, die USA bis 2050 auf „Net Zero“ zu bringen, also kein zusätzliches Treibhausgas in die Atmosphäre zu blasen, hält praktisch niemand, den man danach fragt, für erreichbar. Die europäischen Klimaschutz-Ambitionen werden dafür ernst genommen – obwohl Europa so viel US-Gas kauft. „Euer Instrument, Klimagas zu verteuern, CO2 zu bepreisen, das ist gut“, sagt John Beard aus Port Arthur, der demnächst an einer LNG-Konferenz in Brüssel teilnehmen will. „Die Anstrengungen der EU sind groß. Wir tun das Gegenteil und bringen damit alle in Gefahr.“

Wird sich das nie ändern? Die größte Chance, die die beiden Johns haben, ist, dass es mit dem Petro-Business doch schneller den Bach heruntergeht als erwartet – weil die internationale Nachfrage (auch die deutsche) wegbricht, weil die anderen Weltregionen schneller dekarbonisieren. Und ist das möglich? Vielleicht schon. Der Fachdienst „Carbon Brief“ hat vor kurzem berechnet, dass die Emissionen in China – dem größten aktuellen CO2-Verschmutzer – ab dem kommenden Jahr sinken werden.

Das wären sechs Jahre früher als angekündigt und gilt in Expertenkreisen als ziemlich sensationell. Grund sei das spektakuläre Tempo beim Aufbau von erneuerbaren Energien und Atomkraft sowie emissionsmindernder Technik, heißt es im Carbon Brief. Auch in Indien und Afrika geht es vielerorts Richtung Solar statt Kohle, Gas oder Öl: weil es billiger wird und vieles sauberer, leiser und angenehmer macht.

„Wenn die Gewinne ausbleiben, dann stoppen sie das“, sagt John Allaire und zeigt auf den LNG-Tanker am Horizont. „Zurzeit leben sie noch mit der Lüge, es könnte ewig weitergehen.“ Und John Beard in Port Arthur sagt: „Wir tun alles, damit sie keinen Profit mehr machen. Wir klagen und kämpfen und lassen ihre Investitionen stranden. Und dann zwingen wir sie, die Natur wieder zu heilen und zu verschwinden. Der Tag wird kommen.“

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