HochwasserkatastropheTelekom setzt in Kreis Euskirchener Flutgebieten auf Glasfaser

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Der Knotenpunkt Gemünd wird abgerissen. Gerd Wolter ist für den Wiederaufbau mit Glasfaser zuständig. 

Kreis Euskirchen – Wasser, Strom, Gas, Telefon – alles funktioniert auf Knopfdruck, einfach, selbstverständlich. Warum das so ist, wissen nur die wenigsten. Große Teile der wichtigen Infrastruktur sind in der Erde verborgen. Wie wenig selbstverständlich es ist, haben die Menschen in den Flutgebieten erfahren, als all das über Nacht nicht mehr da war. Das Wasser hat Straßen aufgerissen, Leitungen zerstört, Schaltkästen hinfortgespült, Knotenpunkte geflutet.

Für Versorger wie die Telekom ist der Wiederaufbau ein Mammutprojekt, das viele Millionen verschlingen wird. Wie hoch die Schäden sind, kann Telekom-Pressesprecher Maik Exner noch gar nicht beziffern. „Jenseits der 100 Millionen Euro“, ist die einzige, noch recht vage Angabe.

Auch der Telekom galoppieren die Preise im Bausektor davon

Warum das noch gar nicht genauer möglich sein kann, erklärt Gerd Wolter. Der Dreiborner ist als Teamleiter für den Breitbandausbau von der belgischen Grenze bis zum Rhein zuständig – und damit auch für den Wiederaufbau in den Flutgebieten.

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Zum einen, sagt Wolter, treten auch heute noch neue Schäden zutage. Zum anderen ist der Aufbau in vollem Gange. Und nicht zuletzt hat die Telekom wie alle anderen mit den davongaloppierenden Preisen im Bausektor zu kämpfen.

In der Gemünder Betriebsstelle stieg Wasser auf zwei Meter

Bereits in der Flutnacht, so Wolter, habe er sich Gedanken über die direkt an der Urft liegende Betriebsstelle in Gemünd gemacht. Die ist neben Euskirchen und Kall Knotenpunkt für Festnetz und Internet im Kreis. Über die Immobilienabteilung habe er versucht, Kollegen nach Gemünd zu bekommen, die das Gebäude vielleicht mit Sandsäcken sichern könnten.

Heute ist er froh, dass das nicht mehr gelang: „Gott sei Dank – die wären vielleicht nicht mehr rausgekommen.“ Dass das Wasser dort auf zwei Meter ansteigen sollte, hätte er sich nicht träumen lassen.

Nach der Flut die Reste der Kabel im Schlamm gesucht

Ab dem Morgen des 15. Juli ist das Handy sein elementares Arbeitsmittel. Tage dauert es, bis er Gewissheit über das Schicksal der Kollegen hat, von denen viele durch die Flut betroffen sind. Viele Wochen, bis ein recht belastbares Schadensbild vorliegt.

Doch so lange kann und will die Telekom nicht warten. Wenn auch provisorisch und notdürftig: Kommunikationsmöglichkeiten müssen so schnell wie möglich hergestellt werden. „Wir haben die Reste der Kabel im Schlamm gesucht“, sagt Wolter: Mit der Unterstützung von THW, Bundeswehr und auch der Landwirte, die Flutmüll flugs beiseite geräumt haben, habe man Provisorien eingerichtet.

Fünf provisorische Mobilfunkmasten im Kreis 

Ersatzteile dafür wurden „in aller Herren Länder herbeigesucht – so viel hat niemand auf Lager“. Save-T heißen dazu die Container, die die Telekom bundesweit vorhält, um bei (Zer-)Störungen schnell eine Betriebsstelle „nachbauen“ und eine Infrastruktur schaffen zu können. Für Festnetz wie für Mobilfunk werden die in die Katastrophengebiete nach NRW und Rheinland-Pfalz geschafft.

Alleine fünf provisorische Mobilfunkmasten sind es laut Exner im Kreis: je zwei in den Städten Bad Münstereifel und Schleiden, einer in Schweinheim. Die Telekom-Kunden sind dadurch versorgt – die anderer Netzbetreiber nicht, dafür sind die Anlagen nicht ausgelegt.

In Euskirchen ist die große Betriebsstelle in den Herrenbenden, die den gesamten Nordkreis versorgt, ausgefallen. Die maßgebliche Technik ist geflutet. Man hat sich mit der Feuerwehr kurzgeschlossen: Die hat schnell dafür gesorgt, dass der Keller ausgepumpt wird und ist mit Telekom-Mitarbeitern nach Kall gefahren, um dringend benötigte Ersatzteile zu holen.

„Die Zusammenarbeit Hand in Hand war einfach super“, sagt Wolter. Das Resultat: In den Knotenpunkten Euskirchen und auch Kall kann der Betrieb recht schnell hochgefahren werden. Für Gemünd ist das aussichtslos: Das Gebäude ist ausgeräumt, es wird abgerissen.

Derzeit stellt die Container-Technik die Kommunikation sicher, künftig wird sie von Kall aus geliefert.

Mehr als 1000 Kilometer Glasfaser

Da auch heute noch weitere Schäden zutage treten, können die Telekom-Verantwortlichen vielfach nur Schätzwerte angeben. Für die Städte Bad Münstereifel und Schleiden sind die Angaben genauso pauschal wie einfach und logisch. Wie viele Hausanschlüsse sind zerstört, wie viele Schaltkästen? „Alle in der Tallage.“

Wie viele Hausanschlüsse zerstört sind, lässt sich schlicht nicht beziffern. Erneuert und mit Glasfaser ausgestattet werden nach derzeitiger Einschätzung der Telekom rund 6000 im Kreis, alleine rund 2200 in der Stadt Schleiden, mehr als 1300 in Bad Münstereifel und mehr als 1100 in Euskirchen. 377 Schaltkästen – das sind die grauen Gehäuse an den Straßen – wurden durch die Flut zerstört, alleine 300 davon in der Stadt Euskirchen. Einzig in Dahlem und Heimbach verzeichnet die Telekom in dem Bereich keine Schäden.

Ein Mammutprojekt ist der Wiederaufbau: Knapp 150 Kilometer Gräben werden dafür nach aktueller Einschätzung im Kreis gezogen und deutlich mehr als 1000 Kilometer Glasfaserkabel verlegt. Gut 53 Kilometer Gräben für fast 500 Kilometer Kabel sind es quer durchs Schleidener Tal, knapp 40 Kilometer Gräben für 175 Kilometer Leitungen in Bad Münstereifel, mehr als 28 Kilometer Gräben und 110 Kilometer Kabel in Euskirchen, 19 Kilometer Gräben für 134 Kilometer Glasfaser in Weilerswist und knapp 11 Kilometer Gräben und fast 200 Kilometer Kabel sind es in Kall. Keine neuen Glasfaserleitungen, die als Folge von Flutschäden verlegt werden, sind für die Kommunen Blankenheim, Dahlem, Hellenthal, Mechernich, Nettersheim, Zülpich und Heimbach vorgesehen.

Mitte August ist es etwa, als Wolter mit seinen Chefs den Wiederaufbau bespricht. Schnell steht fest: In den Flutgebieten wird Glasfaser gelegt. Alles andere hätte aus Wolters Sicht keinen Sinn gemacht, da an den alten Kupferleitungen immer wieder Korrosionsschäden auftreten würden: „Dann wären wir irgendwann fertig und hätten ein altes, geflicktes Netz.“

Das hat jedoch weitreichende Konsequenzen – für das Unternehmen und die Kunden. „In das Kupfernetz wird kein Cent mehr gesteckt“, so Wolter. Und: „Es wird abgeschaltet. Wir können nicht zwei Netze unterhalten.“ Wann das sein wird, steht noch in den Sternen und hängt von mehreren Faktoren ab. So sind etwa Absprachen mit Mitbewerbern, die Telekom-Leitungen angemietet haben, zu treffen.

Vielerorts wird derzeit gearbeitet: Leitungen werde verlegt, Hausanschlüsse installiert. In Schweinheim ist man laut Wolter schon fertig, in Urft und Sötenich fehlen noch ein paar Häuser, in Gemünd sind 30 bis 40 Prozent erledigt. In Flamersheim ist der Start der Arbeiten im August vorgesehen, für Metternich sind die Planungen noch nicht abgeschlossen.

„Es gibt eben kein Handbuch für so eine komplexe Aufgabe“

Wann das gesamte Projekt abgeschlossen ist, ist ebenfalls noch vollkommen unklar. „Es gibt eben kein Handbuch für so eine komplexe Aufgabe“, sagt Wolter. Wie ein Neubaugebiet auf der grünen Wiese könne das nicht geplant werden.

„Wir sind hier im Bereich Manufaktur, nicht in der Massenfertigung“, ergänzt Pressesprecher Maik Exner. Zudem gebe es zahlreiche Unwägbarkeiten, die zu Verzögerungen führen können: von beschränkten Kapazitäten, vor allem im Bereich Tiefbau, über aufwendige Koordinationen mit den anderen Versorgern, die ihre Leitungen zuerst in die Erde bringen müssen, bis hin zu Corona-Ausfällen.

Darüber hinaus werden einige Dinge nun anders geplant: Die sensible Technik in den Betriebsstellen Kall und Euskirchen etwa wird aus dem Keller in sichere Etagen verlegt. Schaltkästen werden teils in höher gelegenen Bereichen neu aufgebaut.

Oder die Leitungsführung entlang der Brücken: Das wird so möglichst nicht mehr praktiziert. Stattdessen werden die Glasfaserleitungen bevorzugt – und wie aktuell in Oberhausen geschehen – unter den Flüssen hindurch geführt. Das ist jedoch erheblich aufwendiger und jeweils mit der Unteren Wasserbehörde abzustimmen.

Insgesamt 40.000 Haushalte im gesamten Katastrophengebiet in NRW und Rheinland-Pfalz werden durch den Neuaufbau der Infrastruktur in den Flutgebieten einen Glasfaseranschluss erhalten, mancherorts profitieren auch nicht betroffene, angrenzende Gebiete.

Die Werbetrommel hat der Konzern dafür nicht gerührt – man habe, so Exner, nicht den Eindruck erwecken wollen, mit dem Leid der Kunden Geschäfte machen zu wollen. Jedoch müssen alle Kunden einen neuen Vertrag abschließen – mit der Telekom oder einem anderen Anbieter.

Mehrkosten kommen laut Wolter auf die Telekom-Kunden nicht zu, wenn sie die gleiche Bandbreite buchen. Einzig die Registrierung für den neuen Anschluss sei wichtig. Das kann online geschehen oder an den mobilen Infopunkten, die auch in den kommenden Wochen in den Flutgebieten unterwegs sein werden. Deren Standorte sind ebenfalls auf der Flut-Sonderseite hinterlegt.

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