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Interview mit Christian und David HannesSchiedsrichterzeit ist Bruderzeit

Lesezeit 7 Minuten
Schiedsrichterbrüder Hannes

Seit dem Sommer gehören die Reichshofer Handball-Schiedsrichter Christian und David Hannes (29) zu den  fünf deutschen Gespannen, die auf IHF-Ebene  pfeifen.

Die Reichshofer Handball-Schiedsrichter Christian und David Hannes (29) gehören zu den fünf deutschen Gespannen, die auf IHF-Ebene pfeifen. Im Interview erzählen sie, was das für sie bedeutet und welche Auflagen es gibt, in Zeiten der Corona-Pandemie Spiele  zu leiten.

Sie leben in Frankfurt und Aachen und gehen einem Beruf nach. Ist es da in Zeiten der Corona-Pandemie nicht schwierig, auch noch Schiedsrichter zu sein?

David Hannes: Nein, es ist nur aufwendiger durch die wöchentlichen Tests. Auf der anderen Seite haben wir aber das Privileg, unseren Sport noch ausführen zu dürfen.

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Wie organisieren Sie das, Sie haben doch sicher dieselben Auflagen wie die Spieler, die sich zwei Tage vor der Partie testen lassen müssen?

Christian Hannes: Das ist auch bei uns so. Als wir vor kurzem am Freitagabend in Dormagen das Zweitliga-Spiel gepfiffen haben, bin ich am Mittwochmorgen vor der Arbeit von Aachen, wo ich als Doktorand im Fachbereich Entscheidungsforschung an der RWTH arbeite, zum Düsseldorfer Flughafen gefahren. Ich war morgens um 7 Uhr einer der ersten, die getestet wurden und anschließend fast pünktlich zurück bei der Arbeit.

David Hannes: Bei mir ist es ähnlich. Ich lebe in Frankfurt, fahre an den entsprechenden Tagen früh zum Flughafen, um um 8 Uhr an meinem Arbeitsplatz in der Forschung bei Fresenius Medical Care zu sitzen. Trotzdem ist Handball in Zeiten von Corona auch für uns eine große Umstellung.

Was meinen Sie damit?

Christian Hannes: In den leeren Hallen fehlt uns wie den Spielern die Stimmung. Wenn tausende Zuschauer in der Halle sind, ist dein Adrenalin-Level automatisch hoch und du bist voll fokussiert. Ohne Zuschauer müssen wir andere Wege finden, den Fokus das ganze Spiel aufrecht zu halten. Das fängt schon beim Warmmachen an. Wir haben mehr Sprinteinheiten eingebaut, um den Körper auf das Spiel noch besser vorzubereiten. Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt und es geht viel besser. Zudem haben wir mit der ehemaligen Schiedsrichterin Jutta Ehrmann-Wolf eine tolle Coachin, die mit uns arbeitet und mit der wir unsere Spiele analysieren. Als im März der erste Lockdown kam, waren Sie gerade international unterwegs.

Christian Hannes: Wir waren für vier Tage beim Europacup-Spiel der Frauen auf Madeira, hatten dort die Möglichkeit vor dem Lockdown noch Sonne zu tanken und anschließend Glück, noch über Lissabon zurück fliegen zu dürfen. Kollegen von uns haben in Afrika gepfiffen und saßen erst einmal fest.

Sie haben über das EHF-Young Referee Project den Sprung in den europäischen Kader geschafft, haben international und in der Bundesliga gepfiffen, als der Lockdown kam – sozusagen von 100 Prozent auf Null. War das nicht schwer zu verkraften?

Christian Hannes: Zunächst war es eine Wohltat für den Körper. Genau wie die Spieler hat man als Schiedsrichter seine Blessuren, die man über die Zeit ansammelt. Unser Programm war in den letzten Jahren sehr fordernd. Direkt im Anschluss an die Saison 2018/19 ging es für uns zur Weltmeisterschaft der Emerging Nations. Das bedeutet drei Wochen am Stück Handball-Boot-Camp. Die Tage beginnen um halb Acht und enden meist nicht vor 23 Uhr. In der Zeit lernen wir sehr viel, es wird jedoch auch viel verlangt. Drei Wochen nach diesem Turnier haben wir erstmals bei einer Jugendeuropameisterschaft gepfiffen. Wieder eine sehr schöne und sehr intensive Zeit. In Deutschland angekommen, waren die meisten Teams schon voll in der Vorbereitung zur Saison.

Wie sah da die Vorbereitung der Schiedsrichter aus?

Christian Hannes: Wir hatten einen dreitägigen Vorbereitungslehrgang inklusive Lauf-, Regel- und Videotests. Direkt im Anschluss ging es mit den Vorbereitungsspielen und der Saison los. Da hatten wir kaum Möglichkeiten durchzuschnaufen und das merkt man, trotz unseres jungen Alters und unserer Fitness doch, wenn man morgens aufsteht und die ersten Schritte am Tag schmerzen. Dementsprechend kam die Zwangspause eher unerwartet, tat jedoch zu Beginn auch gut.

Wie haben Sie sich fit gehalten?

Christian Hannes: Eigentlich so wie fast immer, aber kontaktfrei. Wir haben vom Deutschen Handball-Bund (DHB) einen Laufplaner bekommen, der alle acht Wochen angepasst wird. Über eine Uhr, die wir ebenfalls erhalten haben, werden die Daten regelmäßig hochgeladen und an den DHB gesandt, der die Trainingspläne anpasst. Zudem bekommen wir über ein gemeinsames Projekt vom DHB und der Uni Oldenburg Hilfe beim Training.

Was steckt dahinter?

Christian Hannes: Es wird das Entscheidungsverhalten der Schiedsrichter unter körperlicher Belastung untersucht. Das ist das Konditionstraining, aber auch wie man lernt, unter Stress zu arbeiten. Dinge, ohne die man es nicht schafft, ein Erstligaspiel zu leiten. Die Belastung als Schiedsrichter ist eine ganz andere als die der Spieler, die ständig unter Körperkontakt agieren. Man muss hochkonzentriert sein und es ist auch läuferisch anstrengend. Viel geht über Adrenalin, doch spätestens auf der Rückfahrt im Auto merkt man, wie kaputt man nach einem Spiel ist.

Sie sind Zwillinge, ist das ein Vorteil für ein Schiedsrichtergespann?

Christian Hannes: Auf jeden Fall, denn das Pfeifen bedeutet einen großen Aufwand und da ist es schön, die Zeit mit dem Bruder zu verbringen. Wir haben zusammen angefangen beim TuS Reichshof Handball zu spielen und wir sind als Schiedsrichter zusammen erfolgreich. Wir sind beide sehr ehrgeizig und diskutieren bei der Videoanalyse oft hitzig. Unterm Strich haben wir aber eine gemeinsame Linie.

David Hannes: Es gibt bei den Schiedsrichtern ja einige Brüderpaare. Es funktioniert einfach gut, weil man weiß, wie der andere denkt. Wir sind ja auch nicht in allem gleich, sondern einer ist Rechts- und einer Linkshänder. Wir wohnen in Frankfurt und Aachen und da bin ich einfach froh, dass wir einen Weg gefunden haben, zusammen unterwegs zu sein.

Wie sind Sie zu Schiedsrichtern geworden?

David Hannes: Wir haben 2005 den Schiedsrichterschein gemacht. Dass wir Lust bekommen haben, noch mehr zu pfeifen, lag vor allem an Daniel Köpplin, dem damaligen Schiedsrichterwart des Oberbergischen Kreises, der heute dieses Amt im Handballverband Mittelrhein bekleidet. Er hat uns von Beginn an gefördert. Schon damals gab es nach dem Spiel eine Videoanalyse und dadurch haben wir extrem viel gelernt.

Was macht Ihnen so viel Spaß am Pfeifen?

Christian Hannes: Wir freuen uns einfach auf jedes Spiel. Dabei kommen mehrere Dinge zusammen wie Verantwortung übernehmen, sportlich aktiv zu sein und die Möglichkeit sich weiterzuentwickeln. Als Schiedsrichter bekommt man ziemlich unvermittelt Feedback, muss schnell entscheiden, mit Druck klar kommen und zu den Dingen stehen, die man macht. Das hilft uns auch enorm im Job und im Leben. Wenn ich montags ein schwieriges Personalgespräch habe, helfen mir meine Fähigkeiten als Schiedsrichter, es zu einem einfachen Gespräch zu entwickeln.

David Hannes: Genau, oder falls es zu Konflikten kommt, ist man dies gewohnt. Wenn man einmal von tausenden Zuschauern ausgepfiffen wurde, ist die kleine Streitigkeit am Arbeitsplatz nur noch halb so schlimm.

Wird es für Sie jetzt weiter so steil nach oben gehen?

David Hannes: Wir müssen jetzt erst einmal Erfahrung sammeln, sei es in der Bundesliga und international. Wir pfeifen erst in der zweiten Saison in der Bundesliga und vieles geht nur über Erfahrung.

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Sie sind nicht nur als Schiedsrichter erfolgreich, sondern auch im Beruf. Wie bringen Sie das unter einen Hut?

David Hannes: Wir nutzen gerade für die internationalen Einsätze fast alle unsere Urlaubstage. Ich arbeite bei einem Großkonzern und wir haben Gleitzeit, sodass ich die Stunden steuern kann. Aber ohne Unterstützung im Job geht es nicht.

Christian Hannes: Ich werde von meinem Doktorvater unterstützt. Es ist manchmal stressig, allem gerecht zu werden. Als wir vor wenigen Wochen bei einem Europapokal-Spiel auf Zypern waren, habe ich Aufgaben auch im Homeoffice erledigt.

Weihnachten steht vor der Tür, was wünschen Sie sich?

Christian Hannes: Vor allem Gesundheit, denn wir sehen ja in diesen Tagen was für ein hohes Gut das ist, und dass wir die zweite Welle der Pandemie so gut überstehen wie die erste. Wie schlimm es auch Leistungssportler treffen kann, hat sich in Bietigheim gezeigt. Das Virus hat gestandene und gesunde Sportler einfach umgehauen. Das hat uns sehr berührt, als wir dort gepfiffen haben.

David Hannes: Ich wünsche mir, dass wieder alle zum Handball kommen können, dem Sport, den wir so lieben. Das gilt nicht nur für die Profis sondern vor allem auch für alle anderen und besonders für die Kinder.

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