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Interview

DLRG Oberberg
War die Rettungsaktion an der Bruchertalsperre übertrieben?

Lesezeit 6 Minuten
Uniformierte Männer mit Booten am Ufer der Talsperre.

Rund 100 Einsatzkräfte suchten an und in der Bruchertalsperre vergeblich nach einer Person, die untergegangen sein sollte.

Es war ein außergewöhnlicher Einsatz am 24. Mai an der Bruchertalsperre. Am Ende wurde keine Person entdeckt. Also viel Rauch um nichts?

Reiner Thies sprach darüber mit dem Wipperfürther Sinan Kahl (29), dem Leiter der Verbandskommunikation und stellvertretenden Leiter der Einsatzabteilung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft im Oberbergischen Kreis. Er hat den Einsatz nachbereitet.

Rund 100 Einsatzkräfte von DLRG und Feuerwehr waren am 24. Mai an der Talsperre stundenlang im Einsatz, zudem drei Hubschrauber und Drohnen über und unter Wasser. Und das alles, weil ein Passant eine winkende Hand gesehen haben will. War der Aufwand gerechtfertigt?

Sinan Kahl: Ich habe Verständnis dafür, dass man sich diese Frage in der Bevölkerung stellt. Für uns ist wichtig: Wie konkret sind die Hinweise? Die Sichtung eines Menschen im Wasser oder auch nur einer Hand wie in diesem Fall ist ja schon sehr viel konkreter als beispielsweise der Fund von herrenloser Kleidung am Ufer, die vielleicht nur vergessen wurde. Eine Sichtung wird also erstmal als begründeter Verdacht für einen schnellen und ausgeweiteten Such- und Rettungseinsatz gesehen. Weiterführende Ermittlungen der Polizei zu einem abgestellten Pkw oder auch eine Vermisstenmeldung können diesen Verdacht bestätigen oder entkräften.

Und dann muss Großalarm ausgelöst werden?

Die Suche und Rettung von Menschen unter Wasser fordert ähnlich wie die Rettung aus großen Höhen oder Tiefen oder auch aus beschädigten Gebäuden einen erheblichen Einsatz von Spezialkräften. Das Ausmaß am vergangenen Samstag ist also nicht ungewöhnlich, im Oberbergischen Kreis zum Glück aber eher selten erforderlich. In jedem Fall sind wir froh, dass für den Fall der Fälle entsprechende Einsatzkräfte verfügbar und gut ausgebildet sind.

Ein junger Mann in DLRG-Uniform.

Sinan Kahl (29) ist Leiter der Verbandskommunikation und stellvertretenden Leiter der Einsatzabteilung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft im Oberbergischen Kreis.

Warum kommt so etwas in Oberberg nicht häufiger vor?

Offenbar haben wir das Glück, dass sich die Menschen seltener überschätzen oder alkoholisiert ins Wasser gehen. Zudem sorgen die DLRG-Aufsichten bei den Badetagen an den Talsperren für Sicherheit und verhindern präventiv solche Großeinsätze. Dass es in Köln, Bonn oder Düsseldorf 50 solche Einsätze pro Jahr gibt, liegt allerdings vor allem auch daran, dass der Rhein mit seinen tückischen Strömungen für Schwimmer viel gefährlicher ist.

Wer entscheidet, welche Einsatzmittel sinnvoll sind?

Die Alarmierung der verschiedenen Einsatzkräfte geht von der Kreisleitstelle in Marienheide-Kotthausen aus, und zwar nach festgelegten Stichworten. Die Einsatzleitung liegt bei der örtlichen Feuerwehr. Deren Einheiten sind als erste vor Ort und haben ein Boot dabei. Die Wasserrettungseinheiten der DLRG kommen als Spezialkräfte zum Einsatz und unterstützen die Feuerwehr. Darüber hinaus berät der Führungsdienst der DLRG den Einsatzleiter der Feuerwehr und koordiniert die DLRG-Kräfte.

Wie lauten die Kriterien?

Kriterien sind das Notfallgeschehen, das Ausmaß und der zeitliche Druck. Bei der Rettung eines Menschen kommt es auf die Minute an. Und deshalb wird der Notruf niedrigschwellig bewertet. Wir nehmen die Meldung ernst bis zum Beweis des Gegenteils. Es gilt: Auch der Zeuge sollte nicht zu lange darüber nachdenken, ob er etwas gesehen hat, und schnell die 112 anrufen, wenn er es ernst meint. Wenn es dann doch ein Fehlalarm war, wird ihn niemand zur Verantwortung ziehen. Es ja am Ende besser, wenn kein Notfall vorlag. Und umgekehrt könnte es eine unterlassene Hilfeleistung gewesen sein.

Die Erfolgsaussichten für eine erfolgreiche Rettung sind besser als man denkt. Studien sprechen von bis zu 30 Minuten unter Wasser. Einzelberichte bei Kindern sogar von 60 Minuten unter Wasser ohne neurologische Schäden.
Sinan Kahl, DLRG Oberberg

Wie stehen grundsätzlich die Chancen, eine versunkene Person zu finden?

Zu den Erfolgsaussichten lassen sich nur schwer pauschale Aussagen treffen. Grundsätzlich ist ein sofortiger Notruf über die 112 und damit ein Beobachten des Notfalls oft essenziell, hier also die vermeintliche Beobachtung einer versinkenden Hand im Wasser. Ist eine Person schon eine Stunde beim Baden nicht mehr gesehen worden, kann die Notsituation trotzdem erst wenige Minuten zurückliegen, sodass die Einsatztaktik hier die gleiche ist. Schlechter sind die Aussichten, wenn jemand erst nach Stunden vermisst gemeldet wird. Wichtige Faktoren sind also: Wurde der Notfall beobachtet? Kann das Suchgebiet örtlich eingegrenzt werden? Wie sind die Sichtverhältnisse für Hubschrauber, Sonar und Einsatztaucher?

Wie lange geht man von einer möglichen Rettung aus? Warum und wie lange wird danach noch weiter gesucht?

Es kommt auf die Wassertemperatur in tieferen Schichten an. Mit der Temperatur sinkt nämlich der Sauerstoffbedarf des Gehirns. Die Erfolgsaussichten für eine erfolgreiche Rettung sind besser als man denkt. Studien sprechen von bis zu 30 Minuten unter Wasser. Einzelberichte bei Kindern sogar von 60 Minuten unter Wasser ohne neurologische Schäden. In jedem Fall möchte man bei hinreichendem Verdacht aber sichergehen, dass sich keine Person im Wasser befindet, sodass deutlich länger gesucht wird. Zu einem Ende der Suche beraten sich Feuerwehr, DLRG, Rettungsdienst und Polizei intensiv und müssen bei jedem Einsatz individuell entscheiden.

Die Talsperren sind tief, das Wasser trüb. Wie aussichtsreich sind die Versuche, mit Tauchern oder Drohnen etwas zu finden?

Am Grund der Talsperre können Taucher nur tastend suchen. Das ist natürlich extrem personalintensiv. Die Sonarortung ist darum aktuell die Schlüsseltechnologie. Das Gerät ist in Wipperfürth stationiert. Wir scannen damit das Gewässer und markieren auffällige Punkte mit GPS und Bojen. Diese Punkte werden anschließend mit Unterwasserdrohnen abgefahren, die mit Kameras ausgestattet sind und Aufnahmen in den Einsatzleitwagen übertragen. Erst die Rettung der Person erfolgt dann gezielt durch die Einsatztaucher. Die DLRG im Oberbergischen Kreis konnte erst kürzlich ein neues moderneres Sonargerät sowie einen Unterwasserdrohne durch Spenden beschaffen. Deren Bedienung erfordert umfangreiche Schulungen. Beim Einsatz an der Bruchertalsperre hatten wir Unterstützung Kollegen aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis und dem Bezirk Süd-Sauerland, die schon länger über eine Unterwasserdrohne verfügen.

Wie sollte sich ein Passant verhalten, der an einer Talsperre eine Beobachtung macht? Unter welchen Umständen sollte er selbst helfen?

In jedem Fall sollten Passanten den Notruf 112 wählen, das ist das Allerwichtigste. Lassen Sie die Person nicht aus den Augen und bleiben Sie am Ufer immer in Sichtweite! Die Lokalisierung des Unglücksorts ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Bei den eigenen Rettungsversuchen sollte man nach dem englischen Grundsatz „Reach, Throw, Row, Go“ verfahren. Das bedeutet in erster Priorität, einen langen Gegenstand wie einen Ast oder ähnliches anzureichen, wenn die Person nahe am Ufer untergegangen ist. In zweiter Priorität kann man ein Hilfsmittel zur Rettung zuwerfen, etwa einen Rettungsring oder eine Leine. Erst danach sollte man erwägen, sich selbst mit einem Surfbrett oder anderen Hilfsmittel schwimmend auf den Weg zu machen. Der Eigenschutz steht immer an erster Stelle. Und der schwimmerische Einsatz darf nicht unterschätzt werden. Es empfiehlt sich darum, eine Ausbildung zum Rettungsschwimmer zu absolvieren, um die eigenen Fähigkeiten besser einschätzen zu können und sicher zu handeln. Die DLRG lädt dazu ein.