Personalmangel„Wie ein Lockdown“ – Notstandsmodus ist in vielen Kitas in Rhein-Sieg ein Dauerzustand

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Eine Mutter sitzt mit ihren beiden Kindern an einem Tisch. Vor ihnen liegen Malstifte und Papier.

Matteo hat seit August keinen Kindergartenplatz: Er wurde wegen Personalmangels gestrichen. Mutter Romina Demer (mit Baby Alba) betreut den Vierjährigen Zuhause.

Der Personalmangel in den Kitas schränkt Eltern ein – und treibt Erzieher an die Belastungsgrenze. Berichte aus einem kollabierenden System.

Matteo spielt mit einer Lokomotive am Tisch, springt auf, holt einen Anhänger, klettert zurück auf den Stuhl, schlägt mit einem Stock auf ein Spielzeug unter dem Tisch, klettert auf dem Stuhl herum, geht zum Bett, auf dem Baby Alba schläft und kitzelt es.  Seine Mutter Romina Demer muss die Augen überall haben: Der Vierjährige hat seit August keinen Kindergartenplatz mehr, ihm fehlt die Gruppe, er langweilt sich.

Die Hennefer Familie ist Opfer des Betreuungsnotstands geworden, den so viele Kindergärten und -tagesstätten im Rhein-Kreis haben. Und das nicht erst seit August, als der für Matteo bereitstehende Platz abgesagt wurde. Bereits im Frühjahr hatte die Kita Wolkenburg in Uckerath, die zu dem Zeitpunkt auch noch Matteos ältere Schwester Sophia besuchte, auf Notbetreuung umgeschaltet.

Betreuungszustand fühlt sich für Hennefer Familie an wie „zweiter Lockdown“

„Im Endeffekt wurden unsere beiden Kinder nur eine Woche im Monat in der Kita betreut. Und das war auch völlig unplanbar“, schildert es Romina Demer. Jeden Morgen zwischen 6 und 6.30 Uhr sei eine Nachricht auf das Handy geschickt worden, ob die Betreuung der Kinder gewährleistet werden könne. „Das war eine Katastrophe, hat sich angefühlt wie ein zweiter Lockdown“, sagt die Mutter. Demer arbeitet für eine Werbeagentur in Bonn und trotz der Möglichkeit des Homeoffices sei eine solche ad-hoc-Betreuung kaum leistbar gewesen.

Daher beantragte die Familie zum neuen Kindergartenjahr über das Portal Little Bird des Kreisjugendamts einen Wechsel in den Waldorfkindergarten in Dahlhausen, wo es einen Platz für Matteo gab. „Und dann hieß es plötzlich, er könne zum 1. August nicht aufgenommen werden, aber im Herbst“, berichtet Demer. So lange sei sie auch bereit gewesen zu warten, doch es passierte nichts.

Dann wurde sie zum dritten Mal Mutter, musste sich im Wochenbett um den vierjährigen Sohn kümmern. Seine Schwester Sophia wurde eingeschult, Vater Carlo Spilotros war beruflich viel unterwegs. „Da bin ich  körperlich an meine Grenzen gekommen“, erinnert sich Demer. 

Matteo hat mit vier Jahren schon vier Kitas klennengelernt

Mehrfach habe sie beim Jugendamt angerufen, sogar Personalvorschläge gemacht, doch der Waldorfkindergarten habe weiterhin Aufnahmestopp. Zuletzt habe man ihr beim Jugendamt Aussicht auf einen frei werdenden Platz in einer Kita in Lichtenberg gemacht, für den sie sich schnell bewerben solle.

„Ab 1. Dezember haben wir dort nun einen Platz“, berichtet die Mutter erleichtert. Es sei natürlich auch schön, so viel Zeit mit ihrem Sohn zu haben, aber dem Vierjährigen fehle die Struktur im Tag, das Zusammensein mit den vielen anderen Kindern. Auf die Frage, ob er sich auf den neuen Kindergarten freue, schüttelt Matteo jedoch den Kopf. „Er hat bereits vier Kitas kennengelernt“, erklärt Demer, eigentlich viel zu viele Wechsel für ein kleines Kind.

Die Stadt Hennef, die zuletzt mit einer großen Werbeoffensive auf die Suche nach Betreuungspersonal für die städtischen Kitas ging, ist nicht allein mit der Personalsituation. Die Gemeinde Windeck, die Träger von acht voll belegten Kitas ist, kämpft beim Personal mit Fluktuation und Unterbesetzung. „Wir suchen dauernd Fachkräfte, und das schon seit vielen Jahren“, so Nadia Yasin von der Gemeindeverwaltung. „Der Beruf ist leider immer noch sehr frauendominiert“, sagt sie, häufig fielen Erzieherinnen wegen Schwangerschaft aus.

Kita Sonnenberg in Windeck-Obernau hat eine Personalampel eingeführt

448 Kinder werden derzeit in den gemeindlichen Einrichtungen betreut, 232 Kinder in vier weiteren Kitas, die unter anderem von Elterninitiativen getragen werden. Die Wartelisten seien lang. Allerdings gebe es auch immer zwei bis drei freie Plätze für Eltern, deren Kinder dringend einen Platz benötigen. Grund dafür kann etwa ein Inklusionsanspruch sein.

Yasin hält die Betreuungssituation in Windeck derzeit aber nicht für dramatisch, da habe es schon deutlich schlimmere Jahre gegeben. Es mussten etwa noch keine Gruppen dauerhaft zusammengelegt werden. Trotzdem komme es wegen Personalmangels vor, dass manche Kitas tageweise schließen müssten oder nur noch halbtags öffneten. Sehr zum Ärger der Eltern, die das oftmals sehr spontan mit ihrem Arbeitgeber absprechen müssen.

Die Kita Sonnenberg in Windeck-Obernau habe für die unübersichtliche Lage eine charmante Lösung gefunden: Eine Personal-Ampel zeigt die aktuelle Personalsituation an. Die Eltern können also je nach Farbe planen, ob sie ihr Kind in die Kita schicken.

Notstandsmodus ist Dauerzustand in vielen Einrichtungen in Rhein-Sieg

In Windeck-Rosbach schließe die Kita Vogelnest bei Personalmangel einfach Räume. Möglich ist das, weil die Kita ein sogenanntes offenes Konzept fährt. Hier gibt es keine festen Gruppen, sondern verschiedene Räume, wie in einem Wohnhaus. Wenn es nicht genügend Erzieher gibt, die die Räume beaufsichtigen, werden sie vereinzelt geschlossen. 

Die einzige wirkliche Lösung sieht Yasin jedoch in mehr Fachkräften. „Derzeit haben wir viele Quereinsteiger, die eigentlich als Kinderkrankenpflegerinnen gearbeitet haben.“ Doch auch um diese ausreichend zu schulen und richtig einzuarbeiten, brauche es viele Ressourcen.

„Der Notstandsmodus ist in vielen Einrichtungen zum Dauerzustand geworden“, sagt Angelika Brodesser der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Fachkräfte in den Kitas des Kreises würden das Boot so gut es geht über Wasser halten. „Sie kämpfen aber ständig mit Kompromissen“, beschreibt die 55-Jährige.

GEW vermisst klares gesellschaftliches Bekenntnis für Kitas

Kitas müssten zum Teil jeden Tag Gruppen schließen – unter diesen Gegebenheiten verlässliche Strukturen aufzubauen sei kaum möglich. „Speziell für Kinder mit besonderem Förderbedarf ist das katastrophal“, sagt das Mitglied der Fachgruppe Sozialpädagogische Berufe bei der GEW.

Allen Widrigkeiten zum Trotz müsste der Betrieb trotzdem aufrechterhalten werden. „Die Fachkräfte, die Kitas unter diesen Bedingungen über Wasser halten, brechen unter der Belastung selbst zusammen und erhöhen den Fachkräftemangel“, sagt Brodesser.

Klar sei, so die 55-Jährige, dass die „Fachkraft-Kind-Relation“ dringend korrigiert werden müsse. „Gruppen müssen kleiner und Einrichtungen mit mehr Personal ausgestattet werden.“ Ebenso wichtig sei, dass die Gesellschaft mehr für das Recht auf Bildern von Kindern eintreten müsse. „Die Wichtigkeit des Beitrags, den gut ausgestattete Kitas leisten können, ist von vielen Teilen der Gesellschaft noch nicht erkannt worden.“

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