Seherin Lilo von KiesenwetterEin Leben in Siegburg geprägt von der „Gabe“

Lesezeit 5 Minuten
Lilo von kiesenwetter seherin siegburg

Über die Dächer von Siegburg blickt Lilo von Kiesenwetter aus ihrer Maisonettewohnung. (Archivbild)

Siegburg – An der Wohnzimmerwand hängt ihr Pop-Art-Konterfei, schräg gegenüber ein Ölgemälde mit ihrem Profil auf tiefblauem Grund: „Damit man auch direkt weiß, wo man ist“, sagt Lilo von Kiesenwetter in ihrer Siegburger Wohnung. Ebenfalls an den Wänden hängen zwei Ölbilder, die ihre Vorfahren zeigen: eine Dame im Reifrock, ein Herr in Rüstung. Wie sie heißen, weiß von Kiesenwetter nicht auswendig: „Der Herr ist aber nicht mein berühmter Vorfahre Otto von Kiesenwetter, der Hofastrologe des Hauses Hessen-Darmstadt“, sagt sie. Im 17. Jahrhundert wurden ihm hellseherische Fähigkeiten nachgesagt, heute ist seine Nachfahrin Lilo von Kiesenwetter eine der bekanntesten Hellseherinnen Deutschlands.

An einem Montag während des Lockdowns denkt von Kiesenwetter über ihr Interieur nach. Zum Beispiel über ihr Sofa. Ein weißer Siebensitzer, in der Mitte des Raums: „Ganz schrecklich finde ich das, da sitzt nie jemand drauf. Das ist ja nicht der Sinn eines Sofas“, sagt sie mit rauer Stimme und rheinischem Zungenschlag.

Dabei wünscht sich die Hellseherin, dass ihre Gäste sich bei ihr wohlfühlen. Besuchern bietet sie sofort Kaffee an, Gebäck steht bereit. Ihre Fürsorge begründet von Kiesenwetter mit ihrer Liebe für Menschen – und ihre Geschichten. Zu ihr kommen viele, darunter auch Prominente. „Ich selbst bin nicht prominent, höchstens bekannt“, sagt sie. Seit 40 Jahren ist sie die „Seherin vom Rhein“. „Ich habe das alles nicht geplant“, sagt die 66-Jährige. „Aber wenn ich jetzt tot umfalle, habe ich im Leben wirklich alles mitgenommen!“

Die Prognosen: Was hält die Zukunft für zwei Prominente bereit?

Christoph Brüske, Kabarettist (Niederkassel)

„Ich sehe nicht alles bei ihm, was auch damit zu tun haben kann, dass Herr Brüske mich wohl nie aufsuchen würde. Ich sehe aber ein Kind um ihn herum; er hat Züge eines fürsorglichen Familienvaters. Ich suche aber vergebens eine Frau. Herr Brüske ist behütet aufgewachsen und wollte nicht immer Komiker werden. Er musste sich alles erarbeiten und hat nichts geschenkt bekommen. Außerdem sehe ich, dass er ein Buch schreiben wird – Ideen sehe ich genug. Er ist kein großer Weltreisender, möchte aber manchmal einfach weg. Dass das gerade nicht geht, ist auch für ihn nicht leicht.“

Mirko Bäumer, Sänger der Bläck Fööss (Hennef)

„Er bringt dort, wo er hingeht, frischen Wind mit. Auch als Sänger der Band ist er nun vollends akzeptiert. Er hat noch viel im Kopf, daran feilt er noch. Es kann sein, dass die Bläck Fööss unter seinem Einfluss rockiger werden, oder aber, dass er aus seinen Ideen allein etwas macht. Außerdem sehe ich einen Umzug oder einen Umbau; etwas ist mit seinem Haus. Gerade zu Hause ist er eher ein strenger Familienvater, obwohl man das im ersten Augenblick nicht so denkt. Er hält es aber auch nicht immer durch, ernst und streng zu bleiben. Oh, und er sollte nächstes Jahr mal einen Augenarzt aufsuchen.“ 

Ein Leben, das ohne die Entdeckung ihrer Gabe – wie sie ihre Fähigkeit nennt – wohl anders verlaufen wäre. Diese liegt mehr als 50 Jahre zurück. Von Kiesenwetter hatte gerade ihr Psychologiestudium in Bonn abgebrochen, um sich auf Ibiza auszuprobieren. Freie Liebe, Musik und auch das ein oder andere zum Rauchen. Die 70er eben. Dort lernte sie ihren späteren Freund kennen. Er bemerkte, dass sie anderen die Zukunft vorhersagen konnte. „Ich habe da nicht richtig dran geglaubt und dachte, die Bilder seien anderen Substanzen geschuldet.“ Als ihre Visionen aber nicht verschwunden seien, habe sie Angst bekommen: „Die Zukunft ist eben nicht immer rosig.“

Im ersten Moment sei ihre Gabe eine Last gewesen, weil sie die Bilder damals nicht habe kontrollieren können. „Ich sehe dann eine Diashow hinter der Person, wie an eine Wand projiziert. Dabei ist es abhängig von der Person, was ich sehe oder wie weit ich in die Zukunft sehen kann.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Katastrophen oder Pandemien könne sie nicht vorhersagen, nur die Zukunft einzelner Menschen. Längst könne sie selbst bestimmen, wann sie die Bilder sehen wolle. Sie verspricht: „Bei mir gibt es keine Beschönigungen. Ich sage immer alles, was ich sehe, aber auch, wenn ich nichts sehe.“ Bei ihr selbst ist das anders: „Ich kann die Zukunft von mir und denen, die mir nahe stehen, nicht sehen, auch nicht bei großen Gefahren“, sagt von Kiesenwetter und macht eine Pause. Dann erzählt sie vom Tod ihres Freundes aus Ibiza. Er starb nur ein Dreivierteljahr nach der gemeinsamen Emigration in die USA bei einem Verkehrsunfall. Das habe sie nicht sehen können. „Ich habe ihn sehr geliebt.“

Zurück in Deutschland hatte sie ein Ziel: sich als Seherin etablieren. „Meine Mutter war entsetzt. Sie hat sich bis zu ihrem Tod gefragt, wie man damit Geld verdienen kann.“

Tochter arbeitet ebenfalls als Seherin

Aber es gelang. Erst durch Mundpropaganda, später mit der Hilfe ihres Ehemanns, Reiner Wirtz, der sie als Journalist unterstützte. Unter anderem riet er ihr dazu, Perlenketten zum Markenzeichen zu machen. Wirtz starb 2014. „Ich bin ihm für vieles dankbar.“ Mit ihm zog sie ihre beiden Töchter, Julia und Maria, groß. Maria ist inzwischen 28 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter zusammen; auch sie ist Seherin. „Sie erreicht über Social Media eher jüngere Leute“, erzählt von Kiesenwetter. „Mein Kundenstamm hingegen hat kein bestimmtes Alter.“

Wenn sie für einen Kunden in die Zukunft sieht, passiert das im zweiten Stock der Wohnung. Hier hängen Fotos der Seherin mit Prominenten: Matthieu Carrière, Peter Maffay, Bettina Böttinger. Der Kunde setzt sich auf ein schwarzes Sofa. Von Kiesenwetter nimmt im Sessel gegenüber Platz und beschreibt, was sie sieht. Eine Sitzung dauert gut eine Stunde, den Preis verrät die Seherin auf Anfrage.

Wie lange sie noch von Siegburg aus arbeiten wird, weiß von Kiesenwetter nicht: „Weil ich wohl immer ein alter Hippie bleiben werde, würde ich gerne langfristig nach Ibiza gehen. Ich wäre auch jetzt dort.“ Vorerst beschäftigt sie sich also weiter mit dem Siegburger Interieur. Sie wünscht sich einen großen Esstisch mit vielen Stühlen – für viele Freunde. Mit ihrer Tochter arbeitet sie an einem eigenen Fernsehformat. Genaues verrät sie nicht: „Das“, sagt sie und lacht, „wird die Zukunft zeigen“.

Rundschau abonnieren