Die Union will die Wahl von Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin von der Tagesordnung absetzen. Die Bundesratspräsidentin ist schockiert vom Vorgang.
Bundesratspräsidentin äußert scharfe KritikSchwarz-Rot nicht einig – Richterwahl im Bundestag wird komplett verschoben

Teile der Fraktion der Partei Die Linke und der SPD drehen dem Redner Martin Sichert von der AfD im Plenum des Bundestags bei der Debatte zum 30. Jahrestag des Völkermords von Srebrenica den Rücken zu. Kurz darauf forderte die Union, die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin von der Tagesordnung des Bundestags abzusetzen.
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Der Bundestag sollte am Freitag eigentlich über die Neubesetzung drei freiwerdender Stellen beim Verfassungsgericht befinden. Doch noch vor der Wahl ist es am Morgen zu einem Eklat gekommen. Die Unionsfraktion forderte kurzfristig die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf und verwies auf Plagiatsvorwürfe. Gegen die Juristin hatte es schon zuvor massive Vorbehalte bei CDU/CSU wegen ihrer liberalen Haltung beim Thema Abtreibung gegeben.
Die Grünen verlangten anschließend die Verschiebung aller drei für diesen Freitag geplanten Wahlen für Richter am Bundesverfassungsgericht. Kurz darauf äußerten auch CDU/CSU und SPD und Grüne die Absicht, die für heute angesetzten Wahlen zu vertagen, wie die Sitzungsleiterin im Plenum mitteilte.
Weil sich Union und SPD nicht auf die Wahl der von der SPD vorgeschlagenen Brosius-Gersdorf einigen können, werden somit alle geplanten Neubesetzungen für das höchste Gericht von der heutigen Tagesordnung genommen. Die letzte Bundestagssitzung vor der parlamentarischen Sommerpause endet für die schwarz-rote Koalition somit in einem Fiasko.
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Eklat im Bundestag: Union will Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf kurzfristig von Tagesordnung nehmen
In der Unionsfraktion war die Forderung, die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Bundesverfassungsrichterin von der Tagesordnung des Bundestags abzusetzen, zuvor mit einem Plagiatsverdacht gegen sie begründet worden. Dieser ziehe die fachliche Expertise von Brosius-Gersdorf in Zweifel, hieß es aus der Unionsfraktion. Das sei aber zentrales Argument für die Wahl der Kandidatin gewesen. Brosius-Gersdorf sowie die Universitäten Potsdam und Hamburg sind für eine Stellungnahme angefragt.

Frauke Brosius-Gersdorf, sollte eigentlich am Freitag zur Verfassungsrichterin gewählt werden. Ob es dazu kommt, ist fraglich.
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Eine angehende Verfassungsrichterin müsse über jeden Zweifel erhaben sein, hieß es in der Fraktion weiter. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) sowie Bundeskanzler und CDU-Chef Friedrich Merz hätten der SPD die Entscheidung mitgeteilt. Der CDU-Politiker Klaus-Peter Willsch sagte der „Bild“: „Jetzt kommen auch noch Zweifel an ihrer akademischen Redlichkeit hinzu.“
Widerstand gegen Brosius-Gersdorf in der Union
In der Union gibt es schon länger Widerstand gegen die SPD-Kandidatin, unter anderem unter Verweis auf ihre Äußerungen zum Abtreibungsrecht. Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte sich Mitte der Woche klar für ihre Wahl ausgesprochen, doch der Unmut in den Reihen der Unionsfraktion über Brosius-Gersdorf wuchs dem Vernehmen dennoch.
Gebraucht wird für die Wahl der neuen Richter am Bundesverfassungsgericht eine Zweidrittelmehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Mitglieder des Bundestages. Dafür sind neben den Abgeordneten von Union und SPD auch Stimmen von Grünen, Linken oder AfD nötig.
Ich finde es auch ausdrücklich bedauerlich, wie man hier mit einer Richterin und einer Frau umgeht
Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger (SPD) kritisierte den Umgang mit der SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf, scharf. „Ich finde es auch ausdrücklich bedauerlich, wie man hier mit einer Richterin und einer Frau umgeht“, sagte Rehlinger am Freitag am Rande einer Bundesratssitzung.
Bundesratspräsidentin äußert deutliche Kritik an CDU-Vorgehen
Rehlinger nannte den Eklat um die Richterwahl „ein außerordentlich missliches Verfahren“. Sie fügte hinzu: „Und beschädigt ist ein Stück weit auf jeden Fall auch schon durch dieses Verfahren die Person, um die es geht.“
Kritik kam auch von den Grünen, die der Unionsführung schwere Fehler bei der Organisation der Wahl neuer Verfassungsrichter vorwarfen. „Mit dem Bundesverfassungsgericht spielt man kein Roulette“, schrieb die Ko-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann am Freitag im Onlinedienst X. Sie warf sowohl Unionsfraktionschef Jens Spahn als auch Kanzler Friedrich Merz „Versagen“ vor. Die ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, fragte mit Blick auf die offensichtlichen Uneinigkeiten in der noch jungen Großen Koalition: „Ist die SPD noch in der Regierung?“
Ines Schwerdtner von der Linkspartei nannte die CDU eine „Chaostruppe“. „Nach einer beispiellosen Kampagne von rechts gegen eine Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht, entscheidet sich die CDU heute vermutlich erneut, Zufallsmehrheiten zu kassieren und den Januar zu wiederholen“, schrieb die Parteivorsitzende auf X.
Der Bundestag hatte noch vor der Wahl seine Plenarsitzung unterbrochen, mehrere Fraktion kamen in der Pause zu Beratungen zusammen. Dass am heutigen Tag nicht mehr gewählt wird, stand schlussendlich um kurz vor 12 Uhr fest. (pst/dpa/afp)