1. FC Köln vor AbstiegDer Rückhalt der Fans ist vorerst aufgebraucht

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Antreten zum Rapport: Die Mannschaft des 1. FC Köln reiht sich nach dem Debakel gegen Darmstadt vor der Südkurve auf.

Antreten zum Rapport: Die Mannschaft des 1. FC Köln reiht sich nach dem Debakel gegen Darmstadt vor der Südkurve auf.

Der 1. FC Köln taumelt dem Abstieg entgegen. Bei der Heimpleite gegen Darmstadt gerät Sportchef Christian Keller ins Zentrum der Fan-Kritik. 

Torsten Lieberknecht war am Samstag ein wunschlos glücklicher Mensch. Das lag zum einen daran, dass der SV Darmstadt 98 von einer schier endlos erscheinenden Negativserie erlöst worden war. Das 2:0 (0:0) im Kellerduell der Fußball-Bundesliga beim 1. FC Köln bedeutete den ersten Sieg des abgeschlagenen Schlusslichtes nach 22 erfolglosen Versuchen in Folge und schob die Besiegelung des Abstieges ein wenig auf.

Zum anderen war der bekennende BAP-Liebhaber Lieberknecht vor dem Anpfiff in den Genuss gekommen, seinem Idol Wolfgang Niedecken die Hand schütteln zu dürfen. „Da habe ich direkt an ‚Verdamp lang her‘ gedacht. Es ist wirklich verdammt lang her, dass wir mal einen Sieg eingefahren haben“, sagte der Lilien-Coach in Anspielung auf den Klassiker der Kölsch-Rocker aus dem Jahr 1981.

Auf der Gegenseite machte sich Untergangsstimmung breit. Nach einer bodenlosen Leistung und dem wohl entscheidenden Tiefschlag im Abstiegskampf schlug die Stimmung bei einem Großteil der 50 000 Zuschauer um. „Wir haben die Schnauze voll“, schallte es durch Müngersdorf. Im Zentrum der Kritik stand Sportchef Christian Keller, dessen Entlassung erstmals mit deutlich vernehmbaren „Keller raus“-Rufen gefordert wurde. „Wir haben eine sehr, sehr schlechte Leistung abgerufen in einem brutal wichtigen Spiel. Daher verstehe ich den Ärger der Zuschauer. Ich bin hauptverantwortlich, dann ist das nachvollziehbar. Es ist okay, wenn die Leute den Frust herauslassen“, zeigte Keller Verständnis für die Unmutsbekundungen.

Sie haben gesagt, dass sie nicht zufrieden sind, wir weiter alles heraushauen sollen, aber sie uns jetzt erstmal nicht sehen wollen.
Florian Kainz, FC-Kapitän, über den Rapport bei den Fans

Auch die Spieler bekamen ihr Fett weg. Schon zur Pause hatte die völlig verunsicherte Kölner Elf mit einem gellenden Pfeifkonzert und der Aufforderung „Wir wollen euch kämpfen sehen“ einen Denkzettel verpasst bekommen. Nach der peinlichen Heimpleite wurde es noch deutlicher, als die aktive Fanszene das Team zu sich zitierte. Einige Fans kletterten auf den Zaun, Ordner zogen auf. „Sie haben gesagt, dass sie nicht zufrieden sind, wir weiter alles heraushauen sollen, aber sie uns jetzt erstmal nicht sehen wollen“, schilderte Kapitän Florian Kainz. Es war der Bruch nach Monaten bedingungsloser Unterstützung, die von den Ultras unter das Motto „He weed nit resigniert“ gestellt worden war.

Christian Keller fand schonungslose Worte für das Versagen der von ihm zusammengestellten Mannschaft im bis dato wichtigsten Saisonspiel. „Das, was wir auf den Platz gebracht haben, war kein Bundesliga-Niveau. Diesen Gegner muss man, wenn man Bundesliga-Anspruch hat, zuhause besiegen“, schimpfte der Sportchef nach einer erschütternden Darbietung und blickte finsteren Zeiten entgegen: „Jetzt wird es die letzten vier Spiele noch unangenehmer. Aber: Es ist nach wie vor möglich.“

Zu keiner Zeit war es der führungslosen Kölner Mannschaft gelungen, ein Gefühl von Abstiegskampf zu vermitteln und den Funken auf die Ränge überspringen zu lassen. Es fehlte an Grundtugenden wie Bissigkeit in den Zweikämpfen, zudem an Bewegung ohne Ball und an spielerischen Lösungen mit Ball. Wohlgemerkt gegen die mit Abstand schwächste Defensive der Liga. Vorne reichten den ebenfalls arg limitierten Hessen sehr wenige gute Momente, um den FC durch Christoph Klarer (79.) und Oscar Vilhelmsson (90.) mit eineinhalb Beinen in die Zweite Liga zu stoßen.

Vielleicht ist genau jetzt der Punkt erreicht, wo man von Natur aus alles von sich werfen und eine gewisse Scheißegal-Stimmung initiieren kann, um ins nächste Spiel befreiter reinzugehen.
Timo Schultz, FC-Trainer

Einmal mehr war der Tabellenvorletzte dem Druck nicht gewachsen gewesen. „Der Kopf hat eine Riesenrolle gespielt. Ich hätte erhofft und erwartet, dass wir deutlich überzeugter spielen. Aber die Angst vorm Verlieren war zu groß“, musste Christian Keller nach dem Offenbarungseid eingestehen. Innenverteidiger Timo Hübers wählte einen philosophischen Ansatz, um den Zusammenbruch irgendwie erklärbar zu machen: „Es ist ein menschliches Naturell, dass es nicht leistungsfördernd ist, wenn man etwas zu verlieren hat. Es ist die Kunst, das in positive Energie umzuwandeln. Das haben wir nicht geschafft.“

Timo Schultz war es wie schon beim glücklichen Last-Minute-Erfolg gegen Bochum nicht gelungen, seine Spieler mit einer Sieger-Mentalität auszustatten. „Es fehlte vom Start an die Überzeugung, man hat in allen Aktionen die Angst gesehen“, erklärte ein konsternierter FC-Coach, der sich „maßlos enttäuscht“ zeigte. Zumal die Kölner im März extra in ein Trainingslager nach Spanien gereist waren, um sich auf die selbst ausgerufene „Crunchtime“ mental einzustimmen. Es hatte schon etwas Verzweifeltes, als Schultz versuchte, aus der nun nahezu ausweglosen Situation Hoffnung zu schöpfen: „Vielleicht ist genau jetzt der Punkt erreicht, wo man von Natur aus alles von sich werfen und eine gewisse Scheißegal-Stimmung initiieren kann, um ins nächste Spiel befreiter reinzugehen.“

Das Kellerduell am Sonntag (17.30 Uhr) beim FSV Mainz 05 hat für die Kölner finalen Charakter. Geht auch die Partie bei den formstarken Rheinhessen verloren, könnte der siebte Bundesliga-Abstieg der Vereinsgeschichte im nächsten Heimspiel am 4. Mai gegen den SC Freiburg besiegelt werden. „Wir haben nur noch eine Chance und müssen in Mainz gewinnen“, sagte Rückkehrer Mark Uth, der ein gänzlich anderes Auftreten forderte: „Wenn wir da so spielen, kriegen wir vier Dinger.“

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