„Ich bin emotional aufgewühlt“THW-Präsident Albrecht Broemme über seine Amtszeit

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THW-Präsident Albrecht Broemme. (Archivbild)

  • Nach 13,5 Jahren als THW-Präsident geht Albrecht Broemme Ende des Jahres in Pension.
  • Die größte Herausforderung in seiner Amtszeit war das Thema Flüchtlinge.
  • Ein Interview.

In seinem Büro in der Provinzialstraße in Lengsdorf stapeln sich die Umzugskartons. Auch der gerahmte Antrag auf Eintritt in das Technische Hilfswerk (THW), den er als 17-jähriger Schüler in Darmstadt unterschrieb, lehnt schon bruchsicher verpackt an der Wand. Denn Ende dieses Jahres geht THW-Präsident Albrecht Broemme in Pension. Daniela Greulich sprach mit ihm über seine Amtszeit.

Herr Broemme, mit welchem Gefühl verabschieden Sie sich nach 13,5 Jahren als THW-Präsident in den Ruhestand?

Broemme: Emotional bin ich ziemlich aufgewühlt, auch wenn man mir das nicht ansieht. Ich bin froh über den Ruhestand, aber traurig, dass ich beim THW nach fast 50 Jahren aufhöre. Die Frage ist, ob ich dann wirklich ganz aufhöre: Das möchte ich eigentlich nicht.

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Was haben Sie denn vor?

Broemme: Mein Hauptplan ist, dass ich keinen Plan habe, denn zurzeit bin ich jeden Tag von früh bis spät verplant und durchgetaktet. Aber ich mache mir natürlich Gedanken. So möchte ich gerne die Stiftung THW unterstützen. Da werden Projekte gefördert, die man aus den normalen Haushaltsmitteln nicht stemmen könnte. Ich möchte einerseits helfen, ein Profil zu entwickeln, welche Projekte gefördert werden sollen. Andererseits möchte ich mit meinen vielen Kontakten als Präsident a.D. auch helfen, dass die Stiftung mehr Finanzmittel bekommt.

Was war das prägendste Ereignis Ihrer Amtszeit?

Broemme: Die größte Herausforderung war das Thema Flüchtlinge. In Deutschland haben wir sehr viel dabei geholfen, Flüchtlingsunterkünfte herzurichten, ob das nun der Aufbau von Betten und Zelten war oder das Herrichten von Turnhallen und der Umbau eines ehemaligen Flugzeughangars. Eine Zeit lang war ich auch der „Sonderbeauftragte der Bundesregierung zur Umsetzung der Erklärung der Europäischen Union mit der Türkei zur Migration“. Da war ich nur unterwegs. Ich kenne alle Flüchtlingslager in Griechenland und der Türkei, im Nordirak und in Jordanien.

Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Broemme: Wenn man ein Flüchtlingslager besucht, in dem mehr als die Hälfte der Bewohner Kinder und Jugendliche sind, und man weiß, dass sich dort in den nächsten Jahren nicht viel tun wird und sie kaum Schulbildung bekommen, fragt man sich, was hier für eine Generation heranwächst. Die vielen Erlebnisse mit Flüchtlingen und die Einzelschicksale haben mich sehr berührt. Aber es haut einen auch um, wenn man ein Flüchtlingslager wie Al-Za‘atari in Jordanien sieht, das innerhalb von sieben Monaten aufgebaut worden ist. Dort lebten 140 000 Menschen.

War das THW dort beteiligt? Sie sind ja nicht nur im Inland aktiv.

Broemme: Wir haben den Aufbau technisch unterstützt. Bei Bedarf werden wir im Auftrag der Bundesregierung und auf Anforderung in die ganze Welt geschickt. Aktuell läuft zum Beispiel ein Einsatz, über den ich mich persönlich sehr freue, weil wir in einer schrecklichen Situation helfen können. In Bosnien-Herzegowina bauen wir eine Kaserne so aus, dass sie für Flüchtlinge nutzbar ist. Und zwar für die Menschen, die bislang auf der ehemaligen Müllkippe in Bihac ausharren mussten. Wenn wir dabei helfen können, dass sie den Winter unter einigermaßen menschenwürdigen Umständen überstehen, ist das gut. Das würde ich gerne auf Lesbos oder Samos genauso machen.

Wie hat sich die Arbeit des THW während Ihrer Amtszeit verändert?

Broemme: Das THW hat sich in den vergangenen dreieinhalb Jahren stark verändern müssen und können. Zum einen haben wir mit einer Verwaltungsreform Reibungsverluste abgestellt, die es vorher beim Wechsel zwischen dem „Ruhemodus“ ohne Großeinsätze und dem Einsatzmodus gab. Zum anderen haben wir erkennbar mehr mit dem Thema kritische Infrastruktur zu tun, also mit Störungen bei der Versorgung mit Strom, Gas und Wasser.

Was heißt das?

Broemme: In dem Zusammenhang rede ich gerne von den „Terroristen des Alltags“, also zum Beispiel Baggerfahrern, die Kabel oder Wasserrohre beschädigen. Das sind lokale Ereignisse wie dieses Jahr in Berlin-Köpenick, wo immerhin 30 Stunden lang der Strom weg war. Aber natürlich ist auch ein richtig großer Stromausfall vorstellbar. Das THW bereitet sich gerade mit dem Aufstellen von neuen Einheiten und dem Beschaffen von weiteren Notstromaggregaten und Trinkwasseranlagen für diese Szenarien noch besser vor.

Wie ist das THW denn personell aufgestellt?

Broemme: Wir zählen momentan etwa 80 000 Mitglieder, darunter knapp 40 000 Aktive und erfreulicherweise auch 17 000 Jugendliche. Beim Personal gab es große Veränderungen durch die Aussetzung der Wehrpflicht. Bis 2011 kamen von ganz alleine viele junge Männer zu uns, die sich bei uns verpflichten wollten, statt zur Bundeswehr zu gehen. Inzwischen sind wir eine reine Freiwilligenorganisation und müssen um Helfer werben. Positiv daran ist, dass dadurch der Frauenanteil gewachsen ist, im Bundesdurchschnitt liegt er inzwischen bei 14 Prozent. Seit diesem Jahr dürfen wir auch bis zu 2000 Bundesfreiwilligendienstleistende einstellen. Wir hoffen natürlich, dass sie nach dem einen Jahr dabeibleiben.

Haben Sie genügend Freiwillige?

Broemme: Bundesweit gesehen ja, lokal gibt es manchmal Probleme. Zum Beispiel hat der Berliner Ortsverband Charlottenburg-Wilmersdorf Wartelisten von bis zu zwei Jahren, während in Hamburg Helfer fehlen. Das Freizeitangebot ist gewachsen, die Menschen interessieren sich nicht nur für eine Sache, sondern für viele. Da müssen wir uns Mühe geben, um mithalten zu können, etwa im Ortsverband gute Übungen machen, damit die Leute gerne zum THW gehen. Hinzu kommt, dass das Familienleben wieder eine größere Rolle als früher spielt. Für die Gesellschaft ist das eine gute Entwicklung, aber für die Organisationen wird es schwieriger. Wir müssen also auf die Menschen zugehen und den Bekanntheitsgrad des THW steigern.

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Wo fehlen denn Freiwillige?

Broemme: Das kann man nicht verallgemeinern.  Das ist keine Frage von Großstadt oder Land. Es ist auch keine Frage von Ost oder West. Aber wir haben natürlich in Mecklenburg-Vorpommern ähnliche Probleme wie die Feuerwehr, weil ein großer Teil unseres Klientels unter der Woche woanders arbeitet und nur am Wochenende nach Hause kommt. Wir ermöglichen daher auch die Doppelmitgliedschaft, wie es einige Feuerwehren ebenso machen. Jemand kann also zu Hause in Pasewalk beim THW sein und auch in Osnabrück, wo er arbeitet. Außerdem haben wir ein „Programm 60+“ aufgelegt. Denn es gibt viele Leute, die nach dem Berufsleben noch ganz munter sind und sich fragen, was sie nun mit ihrer Zeit anfangen wollen.

Zur Person

Albrecht Broemme trat dem Technischen Hilfswerk als Schüler mit 17 Jahren in Darmstadt bei. Später studierte er  Elektrotechnik und begann danach als Brandreferendar bei der Berliner Feuerwehr. Dort verbrachte er einen großen Teil seiner Berufslaufbahn – von 1992 bis 2006 war er Landesbranddirektor und damit Leiter der Berliner Feuerwehr.

Im Jahr 2006 wurde er zum Präsidenten der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) mit Sitz in Bonn berufen. Als er anfing, gab es dort 800 hauptamtliche Mitarbeiter, inzwischen sind es 2000. Der Haushalt stieg in seiner Amtszeit von 140 Millionen Euro pro Jahr auf 260 Millionen Euro. Ende des Jahres geht der 66-Jährige in Pension. grd

Wie stehen Sie zur Dienstpflicht?

Broemme: Ich formuliere gerne ein klares Ziel: Ein gutes Ziel wäre, dass die Menschen wieder begreifen, dass der Staat nicht nur für die Menschen, sondern die Menschen auch für den Staat da sein müssen. Unter diesem Aspekt ist die allgemeine Dienstpflicht ein ganz hervorragendes Mittel. Wenn man sich dann fragt, wie sie genau funktionieren soll, wird man aber schnell ein paar Probleme erkennen, etwa was die Zahl der Einsatzstellen betrifft. Also: Die Dienstpflicht wäre gut, aber man müsste erst über die Ausführung reden. Und wenn die Dienstpflicht nicht kommt, muss man sich überlegen, wie man dann die Menschen, die in Deutschland leben, dazu bringen kann, sich für den Staat zu interessieren.

Haben Sie da eine Idee?

Broemme: Nächstes Jahr habe ich Zeit, darüber nachzudenken. Wenn man  bei der Dienstpflicht zum Beispiel von Jahrgängen ausgeht, reden wir über jeweils 100 000 oder 200 000 Plätze. Man muss schauen, wie man so ein System überhaupt installieren könnte, ohne dass es eine Verdrängung auf dem  Arbeitsmarkt gibt  oder man den Mindestlohn unterläuft.

Stichwort Klimawandel: Steigen die Herausforderungen durch Naturereignisse?

Broemme: Die Naturereignisse werden mehr. Die Frequenz von sogenannten Jahrhundertereignissen ist groß. Ich habe in meiner Dienstzeit in den vergangenen 50 Jahren ungefähr acht Jahrhundertereignisse erlebt, bin aber keine 800 Jahre alt. Bislang hatten wir noch insofern Glück, dass die Schäden zwar schrecklich, aber vor allem lokaler Natur waren. In den meisten Fällen war auch die Prävention an vielen Stellen mangelhaft. Das ist etwas, wo wir noch besser werden müssen.

Wie viele Einsätze haben Sie im Schnitt?

Broemme: Im Inland haben wir jedes Jahr um die 12 000 Einsätze, Tendenz steigend. Das liegt zum einen an der Zunahme von Naturereignissen, aber die Feuerwehr zieht uns auch öfter als früher hinzu, weil wir andere Gerätschaften haben.

Der inzwischen zurückgetretene Feuerwehrpräsident hat kürzlich eine große Diskussion in seinem Verband ausgelöst, weil er davor gewarnt hat, dass Rechtsnationale die Feuerwehr unterwandern könnten. Sehen Sie diese Gefahr auch für das THW?

Broemme: Wir haben dieses Problem schon vor zehn Jahren erkannt. Deshalb haben wir Schulungen auf allen Leitungsebenen gemacht, um überhaupt zu erkennen, wer zu so einer Gruppe gehört und was man dann tun kann. Unsere Personalnot ist nicht so groß, dass wir jeden nehmen. Es sind auch Leute ausgeschlossen worden. Beim THW haben wir zwar keinen Amtseid, aber die Verpflichtung zur Einhaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Wer das nicht macht, kann bei uns nicht sein.

Bleiben Sie dem Rheinland erhalten, wenn Sie Ihr Büro geräumt  haben?

Broemme: Während meiner Amtszeit habe ich ungefähr 420 von 700 Ortsverbänden besucht. Ich war viel unterwegs, vergangenes Jahr war ich 200 Nächte nicht zu Hause. Und ich habe zwei Zuhause. In Bonn wohnen meine Mutter und meine Schwester, das bleibt. Mein gedanklicher Lebensmittelpunkt aber ist Berlin. Nächstes Jahr fange ich dort an, die Miete auch einmal abzuwohnen.

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